Das Asam Vermächtnis. Rüdiger Woog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rüdiger Woog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969177112
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eingewickelte Lanze heraus. Sie war von der flachen, geschmiedeten Spitze bis zum hölzernen Schaft gänzlich schwarz und hatte einen Durchmesser von etwa vier Zentimetern. Im oberen Drittel des Schafts wies eine Fissur daraufhin, dass das Holz schon einmal gebrochen und wieder geleimt worden war. Auf der einen Seite der Spitze war eine Art Stift oder Nagel derart eingearbeitet, dass sich die dünnen, schnurartigen Eisenbänder wie Lederriemen ausnahmen. Leo drehte und wog die Lanze mit einer Hand. Die Waffe war überraschend leicht. Er tippte auf Eschenholz.

      »Können Sie damit etwas anfangen oder irgendwie mit Ihrem Freund in Verbindung bringen?«, fragte die Landshuter Kommissarin.

      »Er ist … er war nicht mein Freund. Wir haben uns seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Ich habe wirklich keine Ahnung, wo da ein Zusammenhang bestehen könnte«, antwortete Dietz.

      »Sie sieht irgendwie römisch oder frühmittelalterlich aus, finde ich«, sagte Hoffmann-Bühl.

      Leo nickte.

      »Mmh, wahrscheinlich stammt sie von irgendeinem Römeroder Ritterfest. Da kann man solche nachgemachten Waffen und alles Mögliche kaufen. Ich wollte mir auch schon einmal ein Langschwert, so eines wie in Braveheart, zur Deko kaufen, aber meine Freundin hätte mich wahrscheinlich rausgeworfen oder gleich mit dem Ding erschlagen.«

      Die Kommissarin lächelte kurz und mechanisch.

      »Dann sind Sie ja ein Spezialist mittelalterlicher Waffen. Denken Sie, es könnte auch ein Artefakt sein?«

      »Sie meinen, dass die Lanze wirklich alt ist? Bestimmt nicht. Ich kann Ihnen eine ganze Reihe Kunstschmiede nennen, die Ihnen so etwas für einen Fünfziger basteln. Die Frage ist nur, wer mit so einem Ding durch die Gegend läuft und Menschen umbringt.«

      »Stimmt, genau das ist die Frage, die ich mir stelle.«

      Sie betonte ich mit einem Nachdruck, der Leo ganz und gar nicht gefiel.

      »Vielen Dank für den Wink mit dem Zaunpfahl, Frau Kollegin. Ich werde Ihnen schon nicht reinpfuschen.«

      Damit reichte er der Kommissarin die Hand.

      »Also dann, ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Aufklärung; und natürlich können Sie mich jederzeit anrufen, wenn ich Sie doch noch irgendwie unterstützen könnte. Ich wohne übrigens nur ein paar Kilometer von hier entfernt.«

      Er hatte sich schon zum Gehen umgedreht, als sie ihn am Arm festhielt – am Arm festgehalten zu werden war etwas, das Leo auf den Tod nicht verknusen konnte, umso mehr verwunderte ihn diese barsche Geste von der bisher so reservierten jungen Polizistin.

      »Cherr Kollege, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Sie waren wahrscheinlich einer der Letzten, der mit dem Opfer Kontakt hatte.«

      »Ich? Ich habe den Tim mindestens zwanzig Jahre nicht mehr getroffen. Sie haben ja gesehen, dass ich ihn nicht einmal mehr erkannt habe. Vor zwei Tagen haben wir das erste Mal nach all der Zeit wieder miteinander geredet, und das eine Minute lang.«

      Die Kommissarin machte ein gleichgültiges Gesicht.

      »Und jetzt ist er tot. Komisch, nicht wahr? Wie auch immer, chalten Sie sich bitte zu unserer Verfügung bereit. Wir werden sicher noch die eine oder andere Frage an Sie chaben.«

      Langsam wurde es Leo zu bunt.

      »Zur Verfügung bereithalten? Was soll denn das heißen? Bei aller Liebe, Frau Hoffmann-Bühl, ich habe Ihnen gerade meine Hilfe angeboten und Sie wollen, dass ich mich für Ihre Fragen zur Verfügung stelle, wie ein … wie ein Verdächtiger? Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein!«

      Ein Hauch von Röte zog über Hoffmann-Bühls Gesicht.

      »Ich verstehe ja, dass Sie durch den Verlust Ihres Freundes –«

      »Er – war – nicht – mein Freund!«, unterbrach Leo sie um einiges lauter, als er beabsichtigt hatte.

      »Wie auch immer, Sie chören von uns. Schönen Tag noch, Cherr Kollege.«

      Damit drehte sie ihm den Rücken zu und wandte sich an die Leute vom Kriseninterventionsteam.

      Bevor Leo wegfuhr, lehnte er sich an den Defender und blickte lange auf den unaufhaltsam vorüberziehenden Fluss. Wie oft war er, schon als Kind, hier vorbei geschwommen, gepaddelt oder am jenseitigen Ufer geradelt? Wahrscheinlich über hundert Mal. Und jedes einzige Mal hatte er dieselbe Ehrfurcht vor diesem Ort empfunden. Wenn ihn die Strömung an den Mauern des anderthalb Jahrtausende alten, wenn nicht noch älteren Klosters vorübertrieb, dann sah er einen Ort zeitloser Beständigkeit. Er fühlte sich wie in einem tickenden Kettenkarussell, das immerzu um einen steten Mittelpunkt kreist, und dieser Mittelpunkt war das Kloster Weltenburg – eine Feste inmitten der rastlosen Welt, die sich außerhalb der Klostermauern unentwegt weiterdrehte, sich veränderte, verging und wieder erstand, eine Welt, die so beständig war wie das Sonnenglitzern auf den Donauwellen an heißen Sommertagen.

      Und nun stand er an seinem Fluss und fragte sich, was da an ihm vorbeigezogen sein mochte, was er nicht mitbekommen hatte. Was war mit Tim Gräber passiert und wie kam diese überambitionierte Kollegin dazu, ihn wie einen Schuljungen zu behandeln und sogar – hatte sie das wirklich? – in den Kreis der Verdächtigen mit aufzunehmen? Moment mal: Was für ein Kreis? Galt er sogar als einziger Verdächtiger? Leo schüttelte mit einem bitteren Lächeln den Kopf und bückte sich nach einem flachen Kieselstein. Er schleuderte ihn aus der Hüfte heraus auf das Wasser, um ihn darüber tanzen zu lassen, aber anstatt vier-, fünfoder sechsmal über die Wasseroberfläche zu hüpfen, versank er nach dem zweiten Sprung mit einem hohlen Plattscher für immer und ewig in den unergründlichen Tiefen des Donaudurchbruchs.

      5

      Adi rührte in seinem Teeglas und sah dabei angewidert auf Leos Kaffeehaferl, auf dem die Kelheimer Befreiungshalle auf der einen und die Regensburger Walhalla auf der anderen Seite, beides Bauwerke Leo von Klentze, abgebildet waren.

      »Ich werde nie verstehen, wie du dieses Automatengesöff runterkriegst«, sagte er zu Dietz.

      »Und mir geht nicht ein, was man nur an Tee finden kann. Ich gebe zu, dass er immer richtig lecker riecht, aber letztendlich schmeckt er dann doch nur nach heißem Wasser.«

      »Das ist auch kein normaler Tee, du Kulturbanause«, rief Adnan.

      »Das ist echt türkischer Kaçkar. Was Besseres gibt es nicht auf der Welt!«

      Aber Leo hörte schon nicht mehr zu. Er hatte an seinem PC die Fenster mit den aktuell zu bearbeitenden Fällen, sprich unzähligen Formularen, Anträgen und Anfragen, kleingemacht und Bilder von historischen Lanzen aufgerufen. Nach einer Weile stieß er auf eine Waffe, die ziemlich so aussah, wie die am vergangenen Freitag in Weltenburg, mit der Gräber ermordet worden war. Leo machte das Bild größer und klickte auf Drucken. Da der Drucker in der Mitte ihrer beider Tische stand, sah Adnan den Ausdruck und blickte fragend zu seinem Kollegen hinüber.

      »Ist das so eine Lanze wie die in Weltenburg, von der du mir erzählt hast?«

      Dietz nickte.

      »Eigentlich hätte ich sie fotografieren sollen, aber dann hätte mir die Landshuter Schnepfe wahrscheinlich noch Handschellen angelegt.«

      Adi zog das Bild aus der Druckerausgabe.

      »Weißt du was, die sieht aus wie die Lanze des Longinus. Da gibt’s doch hunderte Filme drüber.«

      Leo verstand nicht sofort, was sein Kollege meinte.

      »Geht’s jetzt um Das Leben des Brian, oder was meinst du?«

      »Ich sag’s ja, du bist einfach ein Kulturbanause!«, lachte Adi.

      »Nein, Mann. Dies hier ist eine Abbildung der Lanze, mit der der römische Soldat Longinus Jesus am Kreuz in die Seite stach, um zu sehen, ob er noch lebte«, erklärte er.

      »Ach so, ja, klar, die Geschichte kenne ich schon. Die deutsch-römischen Kaiser hatten ja immer behauptet, sie in ihrem Besitz zu haben …«

      Leo