Ich bin nahe dran, ihm von Katharina zu erzählen.
„Hast du was mit einer Frau?“
Ich seufze. „Das ist kompliziert. Zumindest dachte ich sehr lange, ich sei so was von hetero. Aber vielleicht verliebt man sich ja auch in ganz bestimmte Menschen, und wenn der mal zufällig das eigene Geschlecht hat … wie gesagt, es ist kompliziert.“
„Und James?“
„Ich liebe ihn. Nach wie vor. Alles andere geht einfach nicht.“
„Ich verstehe. Ich vermute, es geht um Katharina.“ Scheiße. Wieso kann ich bloß nicht meine dämliche Schnauze halten? „Komm schon, Fiona, das war jetzt nicht schwer zu erraten. Dauert es noch an?“
„Es hat nie … angedauert. In … ach, auch egal, jetzt kann ich dir die ganze Geschichte erzählen.“ Das Ende vom Lied ist, dass ich mich mal an seiner Schulter ausheulen kann. Dennoch bringt es keine Erleichterung. Kann ja auch nicht. Wie denn? Dazu bräuchte es ein Wunder. Und Wunder gibt es nicht, das habe ich inzwischen gelernt. Die Magie der Realität ist unromantisch.
„Trefft ihr euch denn noch?“, erkundigt sich Ben, und in seiner Stimme klingt echtes Mitgefühl.
„Nein. Sie ist verheiratet, ich bin verheiratet, sie hat eine Tochter ...“
„Das allein wäre noch kein Grund.“
„Ja, das stimmt.“ Ich blicke ihn an. „Es … die Verborgene Welt ist so anders, so völlig anders. Unbeschwert, selbst wenn sie düster ist, düsterer noch als hier. Und dennoch … da ist eine Leichtigkeit drin, die hat diese Welt nicht. Aber man nennt diese Welt ja auch die Gefrorene Welt. Die Welt, in der selbst die Atome Gefangene sind. Und … es kann nicht so sein, wie es war.“
„Dessen bist du dir ganz sicher?“
Ich schüttle den Kopf und denke an unsere erste und einzige Erfahrung in der Gefrorenen Welt. Es war genauso. Überwältigend, berauschend, ekstatisch. Auch für sie. Deswegen geht sie mir seitdem aus dem Weg, vermeidet jede Begegnung, ist fast nie auf ihrem Anwesen. Ich hatte ihre Augen gesehen, bevor ich aus dem Auto stieg am Ende jener Nacht.
„Oh, oh“, sagt Ben. „Das ist ja heftig. Du hättest grad dein Gesicht sehen sollen.“
Scheiße. Ich mag nicht weinen, aber die Tränen brechen sich sturzflutartig Bahn. Wenn es bloß Erleichterung bringen würde …
Diesmal sorge ich dafür, dass es aufhört. Ben hat noch Taschentücher, ich putze meine Nase, mein Gesicht und werfe das Taschentuch in den Eimer. Es schwimmt oben. Dann lasse ich mir eine Zigarette und Feuer geben und gehe auf und ab.
Allerdings nicht lange, denn ich höre plötzlich Schritte, gleich darauf dreht sich ein Schlüssel im Schloss und die Tür geht auf.
Zuerst kommen zwei der hüpfenden Dämonen rein, mit riesigen Äxten in den Händen, die sie drohend in meine Richtung schütteln. Ich hebe die Hände. „Bleibt ruhig, ich bin nur am Rauchen.“
Dann folgt sie. Schneewittchen. Emily. Aber Schneewittchen passt wirklich gut. Tiefschwarze Haare, ein sehr ebenmäßig geschnittenes Gesicht, hellgrüne Augen. Sie ist von schlanker, hochgewachsener Gestalt.
Und sie ist ungewöhnlich schön.
Sie bleibt vor der Tür stehen und starrt mich an. „Was hast du im Mund?“
„Freut mich, dich kennenzulernen. Ich heiße Fiona“, erwidere ich.
Sie stutzt, dann lächelt sie. „Ich bin Emily. Was hast du da im Mund?“
„Das ist eine Zigarette. Willst du auch eine?“
„Ja!“
Ich sehe Ben an. Er reicht mir die Schachtel und das Feuerzeug. Ich nehme eine Zigarette raus, dann betrachte ich die Dämonen.
Emily versteht sofort. „Die Gopfs werden dir nichts tun, außer du versuchst etwas, was nicht gut für mich wäre. Dann … du weißt schon.“
„Oh ja, ich weiß.“ Ich mustere die kleinen Kerle. Gopfs heißen sie also. Na gut. Ich trete an Emily heran. „Das sind Zigaretten, die raucht man. Weißt du, wie Rauchen geht?“
„Nur aus Pfeifen.“
„Na schön. Hier brennt das Papier. Wenn ich gleich die Zigarette anzünde, musst du kräftig dran ziehen, sonst funktioniert das nicht. Bist du bereit?“
Sie nickt und ich schiebe ihr die Zigarette zwischen die Lippen. Vielleicht könnte ich sie sogar töten, aber ob Ben dann noch lange am Leben bliebe, ist mehr als zweifelhaft. Also bin ich ganz brav. Ihre Lider zucken kurz, als ich das Feuer anmache, ansonsten bleibt sie ruhig. Sie beobachtet mich, während ich die Zigarette anzünde und nimmt einen tiefen Zug. Für einige Sekunden scheint sie wie erstarrt zu sein, dann bläst sie langsam den Rauch aus.
„Gefällt mir“, sagt sie.
„Super.“ Ich stecke Zigaretten und Feuerzeug ein, dann zeige ich ihr, wie eine edle Dame die Zigarette nicht hält. Schweigend rauchen wir und beobachten uns gegenseitig. Ich glaube, wir wissen beide, dass wir unser Gegenüber nicht unterschätzen dürfen.
„Es macht Spaß, mit dir zu rauchen“, stellt Emily schließlich fest. „Ich glaube, Ben ist ein guter Freund von dir. Aber er ist viel schwächer als du. Wenn du also willst, dass er gesund bleibt, tust du nichts, was die Gopfs falsch verstehen könnten. Dass du keine Angst vor dem Tod und vor Schmerzen hast, weiß ich.“
Eine ungewöhnliche Frau. Sie weiß nicht nur genau, was sie will, sie kann das auch noch kurz und präzise zum Ausdruck bringen. Ich werde neugierig.
„Und was hast du mit uns vor?“, erkundige ich mich.
„Ihr habt bestimmt Hunger. Kommt mit.“ Damit dreht sie sich um und verlässt den Raum. Die Gopfs deuten an, dass wir ihr folgen sollen, sie wiederum gehen hinter uns her. Draußen erst bemerke ich zwei weitere Gopfs.
„Wo sind die anderen drei?“
Emily wendet mir im Gehen ihr Gesicht zu. „Wie kommst du darauf, dass es noch mehr gibt?“
„Schneewittchen und die 7 Zwerge.“
Jetzt lächelt sie sogar. „Du hast recht. Sie sorgen dafür, dass uns niemand überrascht.“
„Wieso nennst du dich eigentlich Schneewittchen?“
Sie zuckt die Achseln. „David meinte, ich wäre wie Schneewittchen.“
„Wer ist David?“
„Bald ein toter Mann“, erwidert sie düster.
„Das klingt nach einem Beziehungsdrama. Schließlich nannte er dich Schneewittchen und nicht die böse Stiefmutter.“
„Gibt es eigentlich etwas, wovor du Angst hast?“, fragt Emily, während wir den Speisesaal betreten, erkennbar am großen, gedeckten Tisch.
„Vor der Dummheit meiner Mitmenschen.“
„Ah … kann ich verstehen.“
„Und, was ist jetzt mit David?“
„Ich sagte schon, er ist bald tot. – Nehmt Platz! Und keine Sorge, das Essen ist … menschlich.“
„Aus Menschen?“
„Nein, obwohl es dann besser schmecken würde. Es ist aus der Vorratskammer dieses Hauses.“
„Oh, oh ...“ Ich beäuge misstrauisch die Töpfe, aus denen Dampfschwaden aufsteigen.
„Mach dir keine Sorgen. Ich habe schon als Kind Kochen gelernt und kann schlechte Sachen von guten unterscheiden. – Bedient uns!“ Das gilt den Gopfs. Zwei von ihnen werden aktiv, einer hält den Topf, der andere schöpft etwas, was Ähnlichkeit mit Suppe hat, in die Teller. Dann verteilen sie Brotscheiben. Ich muss zugeben, dass tatsächlich alles gut riecht und aussieht. Trotzdem warte ich ab, bis Emily anfängt zu essen. Ihr