Sinfonie des sonnigen Tages. Anja Hilling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Hilling
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961191789
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Er seinen nicht. Der Lärm der Umgebung bewegt die Flüssigkeit.

       Ricarda

      Bitte.

       Zwei Hütten weiter wird sich geliebt, direkt nebenan läuft ein Film in fremder Sprache, und der Ozean, unterbrochen von den Bässen der letzten Strandbars, dröhnt ins Rattern der Gedanken.

       Ricarda

      Dreh dich um.

       Über ihnen schwirrt ein Ventilator. Unter ihnen rasen die Wanzen durch den Schaumstoff der letzten zwanzig Jahre.

       Ricarda

      Bitte Ralf.

       Sie greift nach seinem Whiskyglas. Will das Glas umkippen. Seins in ihrs. Lässt es sein. Es wär immer noch zu viel. Von ihm in ihrem Glas.

       Ricarda

      Bitte. Dreh. Dich. Um.

       Sein Atem schlägt in ihren Nacken. Laut. weich. Feucht. Mit der linken Hand knallt sie einen Moskito an die hellhörige Wand.

       Ralf

      Wie lieb von dir.

       Ricarda

      Du musst dich umdrehen.

       Ralf

      Warum.

       Ricarda

      Dein Atem kriegt hier so was Säuerliches.

       Ralf

      Rassist.

       Er dreht sich um. Die Luft des Ventilators schlägt schnell und hart auf den Kreis seines Haarausfalls.

       Ricarda

      Warum schläfst du so viel.

       Ralf

      Ich hab was Verrücktes geträumt Ric.

       Ricarda

      Das hab ich nicht gefragt.

       Ihr Blick rast in einen Mückenstich in seinem Nacken. Mit den Augen öffnet sie den Stich, rutscht durch das Gift in die Leere seiner Gänge.

       Ralf

      Ich hab geträumt.

      Jemand reißt mir den Magen auf.

      Von unten mit einem Taschenmesser.

       Für einen Moment ist nichts zu hören außer dem Klang ihrer unausweichlichen Gegenwart, zwei sich widersprechende Rhythmen, magnetisch und abstoßend zugleich. Zwei eigenständige Melodien, die sich, ohne einander, verlieren würden im Raum.

       Ralf

      Wo gehst du hin.

       Ricarda

      Joggen.

       Ralf

      Wir sind hier um uns zu erholen.

       Ricarda

      Von was denn.

       Der Blick rast, am Körper vorbei, über die Terrakottaterrasse, verirrt sich im Labyrinth der Übersichtlichkeit, unter brummenden Strommasten über den Rollrasen, durch die Anlage, vorbei am Stoff trocknender Strandtage, durch Terrassenfelder bunter Bikinis, bleibt kurz hängen an einer gemieteten Geländemaschine. Kreuzt eine Straße. Weiter über sandigem Boden. Rauscht durch die Häuser einer anderen Anlage. Nicht teurer, nur näher am Meer. Rast weiter. Lauter, dunkler über den Strand. Erschrickt das Fell zweier schlafender Hunde. Rast durch den weißen Sand, fällt ins Meer. Weiter weiter dunkler stiller. Lautlos. Bis zum Aufklatschen auf der anderen Seite.

      - Auf der anderen Seite

      Achtzig Euro vom Meer entfernt

      - Ein Pick-up wird beladen.

      - Kartoffeln Kalaschnikows Schafe Menschen Gedanken. Ineinander verschlungen für den unbezahlbaren Lift zum Strand.

      - Eine Frau landet auf einem Ersatzreifen.

      - Sie wird weitergedrückt. Weg vom Reifenbett.

      - Über Gesichter Sandsäcke Gliedmaßen. Kommt zur Ruhe über dem linken Vorderrad

      - Dort wo die Tiere reisen.

      - Sie sieht einem Schaf ins Auge. Spricht mit ihm. Den rasenden Puls zähmend im Angesicht der schwarzen Gleichgültigkeit im Blick.

      - Es ist nichts.

      Mir ist nur kalt.

      - Der Wind vom Osten lässt den Schweiß des Tages auf der Haut erfrieren.

      - Die Pupille des Schafs tritt still nach draußen.

      - Ein Mann im gelben Netzhemd ist dabei dem Tier den Magen aufzureißen.

      - Langsam.

      - Mit einem Taschenmesser das so sanft durch seine Finger flattert wie die Haut einer Frau.

      - Im Lauf der Bewegung darf man davon ausgehen dass seine Frau nicht mehr lebt.

      - Im Lauf der Finger.

      - Im leisen Überfall auf das fremde Organ.

      - Das Messer teilt das Fell. Berührt die Haut an der Oberfläche. Fühlt sich ein. Fühlt mit der Kante nicht mit der Spitze. Streift durch die Gänge der Rippen. Sucht den weichen Bereich zwischen Herz und Scham. Ertastet den Hohlraum des Skeletts.

      - Sticht rein.

      - Langsam.

      - Lässt das Blut austreten in schwerfälligem Lauf. Kreist weiter im großen Bogen. Produziert das wertvolle Klaffen das gehemmt wird durch das Kreisen des Messers.

      - Die Masse stößt gegeneinander und verdickt.

      - Die Kunst ist. Im Moment des Todes das Blut warm zu halten.

      - Die Frau berührt das Schaf hinter den Ohren.

      - Die Stelle die den Schmerz ableitet. Mitten in sie.

      - Es müsste schön sein wie ein Tier zu sterben. Ohne Trauer um sich selbst.

      - Das Schaf sieht sie an. Bewegt sich nicht.

      - Nur durch sein linkes Auge zieht ein Blitz. Schneidet das Glas und lässt den Geruch seiner Innereien durch die Splitter der Netzhaut treten.

      - Das Messer kommt aus dem Tier an die Luft.

      - Voilà.

      - Der Mann im gelben Netzhemd bietet der Frau an ihre Füße in den Magen des Schafs zu stecken.

      - Wie heißt du.

      - - - -

      - Weil Dankbarkeit ihr die Stimme raubt nimmt sie sein Messer und ritzt drei Buchstaben in ihren linken Handballen.

      - L.O.U.

      - Lou berührt ihren warmen Knöchel im toten Schaf.

      - Sie weiß. Das war das Netteste, das je ein Mensch für sie getan hat

       Das Rohrblatt einer Klarinette vibriert dunkel in drei Buchstaben, schafft Platz für die Zirkulation des Bluts, kommt tiefer und lässt das Eigene ins Tierische fließen.

      Der