Wir waren für die Qualifikation zur WM 1990 in Italien in keine leichte Gruppe gelost worden – die UdSSR, die Türkei, die DDR und Island waren unsere Gegner. Vor dem letzten Gruppenspiel gegen die DDR am Mittwoch, 15. November 1989, waren wir, gegen alle öffentlichen Erwartungen, sogar in der Lage, uns aus eigener Kraft für das WM-Turnier zu qualifizieren. Dafür war ein Sieg notwendig, und idealerweise durfte die Türkei gleichzeitig bei der Sowjetunion nicht gewinnen. Das war die faktische Ausgangslage.
Dann traten aber unvorhersehbare Störfeuer auf, die nicht unwesentlich zum Entstehen der besagten Anekdote beitrugen. Das Nationalteam war in der Sportschule Lindabrunn zur Vorbereitung kaserniert. Und nachdem das Match gegen die DDR für den österreichischen Fußball ein historisches sein sollte, war für mich klar, dass die Medien, allen voran der ORF, bereits im Vorfeld auch entsprechend darüber berichten würden. Die wichtigste Sportsendung im TV war damals »Sport am Montag«. Zwei Tage vor dem entscheidenden Spiel gab es folglich überhaupt keinen Zweifel, dass zumindest im Großteil der Sendezeit das DDR-Match im Mittelpunkt stehen würde. Spieler und Trainerstab saßen daher versammelt vor dem Fernseher und konnten nicht glauben, was wir dort vorgesetzt bekamen. Mit keinem Wort wurde das Länderspiel erwähnt. Hauptthema war die erotische Ausstrahlung von Fußballern. Eine glatte Themenverfehlung! Wir waren sprachlos und beschlossen im ersten Zorn, dem ORF am Mittwoch nach dem Schlusspfiff keine Interviews zu geben.
Sechs Tage nach einem der weltgeschichtlich wesentlichsten Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, dem Fall der Berliner Mauer, gastierte nun die Nationalelf der Deutschen Demokratischen Republik in Wien. Es sollte das letzte Bewerbsspiel dieser Mannschaft werden. Wer allerdings annahm, dass Sammer, Kirsten, Thom & Co. mit den Gedanken schon im Westen waren, irrte gewaltig. Sie wollten sich unbedingt als zweites deutsches Team neben der BRD für die WM qualifizieren und am liebsten gegen die West-Elf in Italien antreten. Die Mannschaft von Trainer Eduard Geyer war zwar kein Ensemble der eleganten Techniker, aber spielstark, athletisch und kampfkräftig. In jedem Fall ein schwerer und unangenehmer Gegner.
Toni Polster, der beim Vorstellen der Mannschaft durch den Stadionsprecher minutenlang ohrenbetäubend ausgepfiffen wurde – so etwas hatte ich noch bei keinem Länderspiel in Österreich erlebt –, beendete mit seinen drei Treffern fast im Alleingang die WM-Träume der Ostdeutschen. Vom Buhmann, Versager und Deppen der Nation in nicht einmal 90 Minuten zum gekrönten Volkshelden, den alle »vergöttern« – das gibt es nur im Fußball. Klaus Lindenberger hatte allerdings auch großen Anteil am Sieg, denn nach einer halben Stunde, beim Stand von 2:0, wehrte er einen Elfmeter ab und verhinderte dadurch ein mögliches Wiedererstarken der DDR.
Und als knapp vor Ende des Spieles der Stadionsprecher verkündete, dass die Sowjets die Türken besiegt hatten, explodierte die Stimmung im ausverkauften Stadion endgültig. Wir waren bei der Weltmeisterschaft in Italien, alle lagen sich in den Armen und sangen »Immer wieder Österreich!«. Aus berechtigtem Zorn schwänzte Polster nach dem Schlusspfiff die Stadionrunde zu den Fans. Die Spieler gaben auf der Laufbahn oder am Rasen den Journalisten Interviews – übrigens auch hochprofessionell dem ORF. Der Sender hatte aber technische Probleme, und die meisten Interviews konnten nicht gesendet werden. Und nun nahm das Übel seinen Lauf, zumindest für den völlig unschuldigen Peter, der direkt aus dem Ausland von einer Dienstreise ins Stadion kam und vom Fauxpas in »Sport am Montag« nichts wusste.
Ich muss an dieser Stelle noch zwei Punkte zum besseren Verstehen der Geschehnisse einfügen. Es war mir schon als Spieler höchst zuwider, wenn sich nach einem Match in der Kabine die Journalisten tummelten. Das war zwar in den 1960er und 1970er Jahren Usus, ich wollte aber nach einem Spiel immer Ruhe haben. Außerdem behauptet Peter heute noch, dass ich ihm irgendwann zugestanden hätte, er dürfe bei einem ganz besonders wichtigen Spiel, das mit einem Sieg fürs Team endet, in die Kabine und Interviews machen. Ich erinnerte mich allerdings schon damals nicht mehr daran.
Als ORF-intern die Misere mit den Interviews für Entsetzen im Ü-Wagen sorgte, erinnerte sich Peter an meine angebliche Zusage und setzte sich mit einem Kameramann Richtung ÖFB-Kabine in Bewegung, um der Fußballnation doch noch Live-Statements der neuen Sporthelden senden zu können. Der Fußballbund hatte für alle Fälle aber vor der Kabinentür einen Aufpasser postiert, damit die Mannschaft in Ruhe ihren ruhmreichen Erfolg feiern konnte. Pech für Peter Elstner. Der Eintritt wurde ihm live auf Sendung verwehrt, alle Zutrittsversuche scheiterten. Ich bekam zwar am Rande die hitzigen Diskussionen am Eingang mit, wusste aber nicht, dass Peter im Mittelpunkt der Aufregung stand. Der »Sport am Montag« war bei allen noch immer im Gedächtnis, und außerdem hatten wir ja dem ORF Interviews gegeben. Von den technischen Problemen wussten wir in diesem Augenblick nichts. Also kein Grund, die Kabine zu öffnen. Hunderttausende Fernsehzuschauer litten mit Peter Elstner und schüttelten den Kopf über den arroganten Teamchef Hickersberger, der die Fußballnation in dieser Stunde des historischen Triumphs völlig grundlos aussperrte.
Am nächsten Tag zeigten sich die Zeitungsjournalisten mit ihrem TV-Kollegen Peter Elstner solidarisch und stempelten mich zum Schuldigen. Die Hintergründe waren völlig uninteressant. Kurze Zeit später traf ich Peter im Rahmen eines Fußballspiels der Journalistenmannschaft von Hans Hofstätter. Nach wenigen Minuten war unser freundschaftliches Verhältnis wiederhergestellt.
Abschließend möchte ich noch betonen, dass mir Peter in all den Jahren einer der liebsten journalistischen Wegbegleiter war. Hohes Fachwissen (er war selbst ein passabler Kicker) und kritische, aber faire Berichterstattung zeichneten ihn aus. Er besuchte sehr oft die Team- und Klubtrainings und informierte sich immer aus erster Hand. Freude am Sport und Freude am Beruf sowie Respekt vor den Fans und den Akteuren waren und sind bei Peter die Basis seiner genialen Arbeit. Lieber Peter, vielen Dank für alles. Ich wünsche dir mit dem vorliegenden Buch viel Erfolg und Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, kurzweilige, spannende und humorvolle Stunden.
Ihr Pepi Hickersberger
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Einleitung zur Titelgeschichte
Liebe Leserin, lieber Leser!
Ein Phänomen, das zu den menschlichen Sonderbarkeiten zählt, ist die Tatsache, dass ein großer, aber normaler Erfolg nicht immer so viel Aufsehen erregt wie das Misslingen einer Aktion.
Dies ist auch der Nährboden für den Titel dieses Buches. Da will einer die Freude einer Mannschaft über einen großen Erfolg durch das Fernsehen der Öffentlichkeit näherbringen, aber eine verschlossene Türe lässt ihn scheitern. Das Negative hat in diesem Fall das Positive besiegt. Wer würde sich noch an das entscheidende WM-Qualifikationsspiel Österreich gegen DDR, trotz der drei Tore von Toni Polster, erinnern, wenn nicht ein Reporter live auf Sendung am Versuch in die Kabine der Österreich zu gelangen, ausgesperrt geblieben wäre.
Das Scheitern brachte also mehr Popularität als eine »normale« Reportage. Das ist schon ein seltsames Wunder unserer Gesellschaft.
Das wird durch einige andere Episoden unterstrichen:
Hermann Maiers Sturz bei den Olympischen Spielen in Nagano 1998: Dieser Abflug machte ihn zum »Herminator«, also noch größer und populärer, als er ohnehin schon war. Carl Yarbrough, der Fotograf, dem als Einzigem die Aufnahme mit »Flying Hermann« gelungen war, wurde damit nicht nur weltberühmt, er hat dadurch auch finanziell ausgesorgt, wurde zum Millionär.
Seltsamerweise kommt der nächste Beweis dieser These, ein Ereignis, das einen negativen Touch hat, wieder aus dem Alpinen Lager: Die Disqualifikation von Karl Schranz 1972 in Sapporo erregte noch mehr Aufsehen als der Sturz des Herminators – eine ganze Nation fühlte sich verraten und um Gold betrogen.
»Jo, san die denn deppert, oder wos – hearst? Wo san die die Offn – hearst?« Ein verzweifelter Rudi Mitteregger auf der Soloabfahrt vom Gaberlpass, als er auf der 3. Etappe bei der Österreich-Rundfahrt