»Was denn?«
»Und nun habe ich dich heute gerufen und hierher geschleppt, am heutigen Tage – merk dir das Datum! –, um dich gleich heute noch zu Katerina Iwanowna zu schicken und ...«
»Was denn?«
»Ihr durch dich sagen zu lassen, daß ich nie mehr zu ihr komme. Brauchst ihr nur zu bestellen, ich lasse sie grüßen ...«
»Ist denn so etwas möglich?«
»Deswegen schicke ich ja dich und gehe nicht selber, weil das unmöglich ist. Wie sollte ich ihr das selber sagen?«
»Und wohin willst du gehen?«
»In die Gasse.
»Also zu Gruschenka?« rief Aljoscha traurig und schlug die Hände zusammen. »Hat Rakitin wirklich die Wahrheit gesagt? Und ich glaubte, du wärst zu ihr gegangen, ohne es ernst zu nehmen, und hättest das Verhältnis schon wieder gelöst.«
»Kann ein Bräutigam denn zu so einer geben? Ist das überhaupt möglich bei so einer Braut und vor den Augen der Leute? Ich habe doch auch meine Ehre, das kannst du glauben. Sowie ich anfing, zu Gruschenka zu gehen, hörte ich auf, ein Bräutigam und ehrenhafter Mensch zu sein, das begreife ich. Warum schaust du mich so an? Siehst du, als ich das erstemal zu ihr ging, tat ich es mit der Absicht, sie zu verprügeln. Ich hatte erfahren und weiß es jetzt zuverlässig, daß diese Gruschenka von dem Stabskapitän, dem Bevollmächtigten des Vaters, einen von mir ausgestellten Wechsel erhalten hatte; sie sollte ihn einklagen, mich so zur Ruhe bringen, es sollte aus sein mit mir, Angst wollten sie mir machen. Ich ging also hin, um Gruschenka zu verprügeln. Ich hatte sie schon früher flüchtig gesehen. Sie hatte nichts Imponierendes. Über den alten Kaufmann wußte ich Bescheid; der ist jetzt krank und liegt darnieder, wird ihr jedoch ein erkleckliches Sümmchen hinterlassen. Ich wußte auch, daß sie gern Geld verdient, daß sie auch wirklich welches verdient. Sie verleiht es gegen hundsgemein hohe Prozente, das durchtriebene, schlaue, rücksichtslose Wesen. Ich ging also hin, um sie zu verprügeln, aber ich blieb dann bei ihr hängen. Es war ein losbrechendes Gewitter, eine Pest. Ich wurde angesteckt, und die Ansteckung dauert bis jetzt, und ich weiß, daß schon alles zu Ende ist und daß es nie mehr etwas anderes geben wird. Der Ring der Zeit hat sich vollendet. So steht es mit mir. Damals mußte es sich gerade treffen, daß ich Bettler dreitausend Rubel in der Tasche hatte. Ich fuhr mit ihr nach Mokroje, das sind fünfundzwanzig Werst, ich ließ Zigeuner und Zigeunerinnen kommen, bestellte Champagner, machte alle Bauernweiber und Bauernmädchen mit Champagner betrunken und warf mit den Tausendern nur so um mich. In drei Tagen war ich kahl, aber froh wie ein Falke. Du denkst vielleicht, der Falke hätte etwas erreicht? Nicht mal von weitem hat sie mir was gezeigt. Ich sage dir, sie hat eine wundervolle Figur. Gruschenka hat Formen – selbst an ihrem Füßchen kommen sie zur Geltung, sogar an der kleinen Zehe des linken Füßchens. Ich habe diese Zehe gesehen und geküßt, aber weiter auch nichts, das schwöre ich dir! Sie sagte: ›Wenn du willst, werde ich dich heiraten, obwohl du ein Bettler bist. Versprich, daß du mich nicht schlägst und mir alles erlaubst, was ich will – dann werde ich dich vielleicht heiraten!‹ Dabei lachte sie. Und auch jetzt lacht sie!«
Dmitri Fjodorowitsch erhob sich plötzlich, wie in einem Anfall von Wut von seinem Platz, er schien auf einmal betrunken. Seine Augen waren blutunterlaufen.
»Und du willst sie wirklich heiraten?«
»Wenn sie will, auf der Stelle. Will sie nicht, bleibe ich auch so bei ihr, als Hausknecht bei ihr auf dem Hof. Du, Aljoscha ...« Er blieb plötzlich vor ihm stehen, packte ihn bei den Schultern. und schüttelte ihn. »Weißt du auch, du unschuldiger Knabe, daß das alles nur Fieberphantasie ist, sinnlose Fieberphantasie? Da liegt eben die Tragik. Weißt du, Alexej, ich kann ein niedriger Mensch sein, mit niedrigen, verderblichen Leidenschaften, aber ein Dieb, ein Taschendieb, so ein elender Dieb, der Mäntel aus den Vorzimmern stiehlt – so einer kann doch Dmitri Karamasow niemals sein, nicht wahr? Nun sollst du aber wissen, daß ich doch ein elender Dieb bin, ein Taschendieb und Vorzimmerdieb! Bevor ich hinging, um Gruschenka zu verprügeln, an demselben Morgen hatte mich Katerina Iwanowna rufen lassen – in größter Heimlichkeit, damit es vorläufig niemand erfuhr, warum, das weiß ich nicht; offenbar hielt sie es so für nötig. Sie bat mich, in die Gouvernementsstadt zu fahren, von dort per Post dreitausend Rubel an Agafja Iwanowna nach Moskau zu senden. In die Gouvernementsstadt sollte ich fahren, damit es hier niemand erfuhr. Und eben diese dreitausend Rubel hatte ich noch in der Tasche, als ich bei Gruschenka war, und für dieses Geld fuhren wir dann auch nach Mokroje. Nachher tat ich so, als wäre ich wirklich in die Gouvernementsstadt gefahren. Die Postquittung legte ich ihr nicht vor. Ich sagte, ich hätte das Geld abgeschickt und würde ihr die Quittung noch bringen. Ich habe sie bis heute nicht gebracht; ich habe es angeblich vergessen. Du sollst also nun heute zu ihr gehen und sagen: ›Er läßt Sie grüßen!‹ Sie wird dich fragen: ›Und was ist mit dem Geld?‹ Du könntest dann sagen: ›Er ist ein niedriger Lüstling, ein gemeines Subjekt, ohne Gewalt über seine Sinnlichkeit. Er hat Ihr Geld damals nicht abgesandt, sondern durchgebracht, weil er sich nicht beherrschen konnte, wie ein niedriges Stück Vieh.‹ Und dann, könntest du, noch hinzufügen: ›Aber ein Dieb ist er doch nicht, da sind Ihre dreitausend Rubel, er schickt sie Ihnen zurück. Senden Sie sie selber an Agafja Iwanowna. Er selbst läßt Sie grüßen!‹ Und dann wird sie auf einmal fragen: ›Wo haben Sie denn das Geld?‹ »
»Mitja, du bist unglücklich, ja! Aber doch nicht so unglücklich, wie du glaubst – bring dich nicht aus Verzweiflung um, bring dich nicht um!«
»Aber was denkst du denn? Daß ich mich erschieße, wenn ich die dreitausend Rubel nicht auftreibe? Das ist es ja eben, daß ich mich nicht erschieße. Jetzt bin ich nicht dazu imstande, später vielleicht. Jetzt gehe ich jedenfalls zu Gruschenka! O schmölze doch dies allzu feste Fleisch!«
»Und was willst du bei ihr?«
»Ihr Mann sein. Sie wird mich würdigen, ihr Gatte zu sein, und wenn ein Liebhaber kommt, gehe ich in ein anderes Zimmer. Ihren Freunden werde ich die schmutzigen Überschuhe reinigen, ich werde ihr den Samowar anfachen, ihr Laufbursche sein ...«
»Katerina Iwanowna wird für alle diese Dinge Verständnis haben«, sagte Aljoscha auf einmal feierlich, »sie wird den tiefsten Grund dieses Kummers verstehen und sich versöhnen lassen. Sie hat einen scharfen Verstand und wird einsehen, daß man nicht unglücklicher sein kann, als du es bist.«
»Alles wird sie nicht verzeihen«, erwiderte Mitja lächelnd. »Es gibt da einen Punkt, Bruder, mit dem sich keine Frau abfindet. Weißt du, was das beste wäre?«
»Nun, was?«
»Ihr die dreitausend Rubel zurückzugeben.«
»Wo willst du sie hernehmen? Hör mal, ich habe zweitausend, Iwan wird ebenfalls tausend geben, das sind dreitausend. Nimm sie und gib ihr das Geld zurück.«
»Aber wann sind sie greifbar, deine dreitausend Rubel? Außerdem bist du noch nicht volljährig. Du mußt ihr jedoch heute, unbedingt noch heute, meinen Gruß bestellen, mit dem Geld oder ohne das Geld! Länger kann ich das nicht hinziehen, die Sache ist am äußersten Punkt angelangt. Morgen ist es schon zu spät. Ich möchte dich zum Vater schicken.«
»Zum Vater?«
»Ja, zum Vater, noch ehe du zu ihr gehst. Bitte ihn um die dreitausend Rubel!«
»Er wird sie nicht geben, Mitja.«
»Natürlich nicht! Ich weiß, daß er sie nicht geben wird. Weißt du, Alexej, was Verzweiflung ist?«
»Ja, ich weiß es.«
»Paß auf. Juristisch schuldet er mir nichts mehr. Ich habe alles von ihm bekommen, alles, das weiß ich. Aber moralisch ist er mir noch etwas schuldig; ist es nicht so? Er hat ja die achtundzwanzigtausend Rubel meiner Mutter als Anlagekapital benutzt und hunderttausend daraus gemacht. Soll er mir nur dreitausend davon geben, nur dreitausend, und er wird meine Seele aus der Hölle erretten; das würde ihm für viele Sünden angerechnet