Die Brüder Karamasow. Федор Достоевский. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Серия: Große verfilmte Geschichten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955012083
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Sie sich nicht‹, erwiderte ich. ›Ich werde es niemandem sagen. Sie wissen ja, daß ich in solchen Dingen stumm wie ein Grab bin. Aber ich wollte Ihnen sozusagen für alle Fälle nur noch eines sagen: Wenn Ihrem Papa die viertausendfünfhundert Rubel abverlangt werden und sich herausstellt, daß er sie nicht hat, dann lassen Sie es, bitte, nicht dazu kommen, daß er vor Gericht gestellt und auf seine alten Tage zum Gemeinen degradiert wird, schicken Sie lieber Ihr Institutsfräulein heimlich zu mir! Ich habe gerade Geld bekommen, ich werde gern viertausend Rubel geben und das Geheimnis wie ein Heiligtum hüten ...‹ – ›Ach, was sind Sie für ein Schuft!‹ So drückte sie sich aus. ›Was sind Sie für ein dreckiger Schuft! Wie können Sie sich unterstehen, so etwas zu sagen!‹ Sie ging empört weg, und ich rief ihr noch einmal nach, das Geheimnis würde heilig und unverletzlich bewahrt. Die beiden Frauen, Agafja und ihre Tante, zeigten sich, wie ich im voraus bemerken will, in dieser ganzen Geschichte als wahre Engel. Nur vergötterten sie geradezu die stolze Schwester Katja. Sie erniedrigten sich vor ihr und waren ihre Dienstboten. Agafja erzählte ihr trotzdem von unserem Gespräch. Ich erfuhr das später ganz genau. Sie verheimlichte es nicht, und so hatte ich es auch gewollt.

      Auf einmal traf der neue Major ein, um das Bataillon zu übernehmen. Er übernahm es. Der alte Oberstleutnant wurde plötzlich krank, konnte sich nicht bewegen, saß zwei Tage lang zu Hause und gab die Staatsgelder nicht ab. Unser Arzt Krawtschenko versicherte, er sei tatsächlich krank. Ich wußte jedoch insgeheim schon lange aus guter Quelle, daß das Geld nach einer Revision seitens der vorgesetzten Dienststelle jedesmal für gewisse Zeit verschwand und so schon seit vier Jahren. Der Oberstleutnant lieh es einem zuverlässigen Mann, einem hiesigen Kaufmann mit goldener Brille und Bart, einem alten Witwer, namens Trifonow. Dieser fuhr damit auf den Jahrmarkt, setzte es dort um, wie es ihm paßte, und erstattete das Geld dem Oberstleutnant wenig später wieder zurück; zugleich brachte er ihm ein hübsches Geschenk mit und auch Prozente. Diesmal gab Trifonow nach seiner Rückkehr vom Jahrmarkt nichts zurück; das erfuhr ich zufällig von einem halbwüchsigen Bengel, dem widerwärtigen Söhnchen Trifonows, dem liederlichsten Bürschchen, das die Welt je hervorgebracht hat. Der Oberstleutnant stürzte zu ihm. ›Ich habe nie etwas von Ihnen erhalten und durfte auch gar nichts erhalten!‹ war die Antwort. Na, so saß denn unser Oberstleutnant zu Hause, ein Handtuch um den Kopf gewickelt, und alle drei Frauen legten ihm Eis an die Schläfen. Auf einmal erschien eine Ordonnanz mit dem Befehlsbuch: Das Staatsgeld sei sofort abzuliefern, unverzüglich, innerhalb von zwei Stunden! Er unterschrieb (ich habe die Unterschrift später gesehen), stand auf, angeblich um sich seine Uniform anzuziehen, lief in sein Schlafzimmer, nahm sein doppelläufiges Jagdgewehr, lud es, zog den Stiefel vorn rechten Fuß, stemmte das Gewehr gegen die Brust und suchte mit dem Zeh nach dem Hahn. Agafja jedoch erinnerte sich an meine Worte, schöpfte Verdacht, schlich ihm nach, sah alles noch rechtzeitig. Sie stürzte hinein, warf sich von hinten auf ihn, umschlang ihn, und das Gewehr entlud sich nach oben, in die Decke, ohne jemand zu verwunden. Die übrigen kamen herbeigelaufen, nahmen ihm das Gewehr weg und hielten ihm die Hände fest. Dies habe ich später in allen Einzelheiten erfahren ...

      Ich befand mich gerade zu Hause. Es war gegen Abend, und ich wollte gerade ausgehen. Ich hatte mich angezogen, frisiert und parfümiert und griff nach meiner Mütze, als sich plötzlich die Tür öffnete und Katerina Iwanowna vor mir, in meiner Wohnung, stand.

      Es passieren manchmal sonderbare Dinge. Niemand auf der Straße hatte damals bemerkt, daß sie zu mir ging, so daß dies in der Stadt völlig unbekannt blieb. Ich wohnte bei zwei steinalten Beamtenwitwen, die auch die Aufwartung bei mir verrichteten. Sie hatten vor mir großen Respekt, gehorchten mir in allem und schwiegen, wenn ich es befahl, wie Bordsteinkanten ...

      Ich begriff natürlich sofort. Sie kam herein und sah mir ins Gesicht; ihre dunklen Augen blickten entschlossen, ja sogar kühn, aber auf den Lippen und um sie herum lag ein Ausdruck von Unentschlossenheit, das sah ich.

      ›Meine Schwester hat mir gesagt, Sie würden viertausendfünfhundert Rubel geben, wenn ich sie ... selber abhole. Ich bin gekommen ... Geben Sie das Geld!‹ Sie konnte es nicht länger ertragen, die Luft blieb ihr weg, ihre Angst wuchs, die Stimme versagte ihr, und die Mundwinkel und die Linien um die Lippen zuckten ... Aljoscha, hörst du zu, oder schläfst du?«

      »Mitja, ich weiß, daß du die ganze Wahrheit sagen wirst«, sagte Aljoscha erregt.

      »Die werde ich sagen. Ich werde die ganze Wahrheit sagen, ich werde mich selbst nicht schonen. Mein erster Gedanke war ein Karamasowscher. Mich hat einmal eine Tarantel gestochen, Bruder, zwei Wochen lag ich damals im Fieber – genauso fühlte ich in jenem Augenblick! Als ob mich eine Tarantel ins Herz stach, so ein böses Insekt, verstehst du? Ich maß Katerina Iwanowna mit den Augen. Hast du sie gesehen? Sie ist eine Schönheit. Aber nicht dadurch war sie damals so schön. Schön war sie in jenem Augenblick dadurch, daß sie edel war – und ich ein Schuft. Dadurch, daß sie großmütig und bereit war, für den Vater ein Opfer zu bringen, während ich eine Wanze war. Und sie hing von mir ab, von der Wanze und dem Schuft, vollständig, mit Seele und Leib. Sie kam mir vor wie ein zum Fällen bezeichneter Baum. Ich sage dir geradeheraus: Dieser Tarantelgedanke packte mein Herz dermaßen, daß es vor Qual fast verging. Ein innerer Kampf schien gar nicht mehr stattfinden zu können, es trieb mich, zu handeln wie eine Wanze, wie eine böse Tarantel, ohne jedes Mitleid. Es verschlug mir sogar den Atem. Paß auf, ich wäre selbstverständlich gleich am folgenden Tag hingegangen und hätte um ihre Hand angehalten, um alles sozusagen auf die anständigste Weise zum Abschluß zu bringen. Denn ich bin zwar ein Mensch mit niederen Trieben, aber doch ein ehrenhafter Mensch. Und da schien mir in derselben Sekunde plötzlich jemand ins Ohr zu flüstern: Und wenn du morgen mit deinem Heiratsantrag kommst, wird ein solches Mädchen dich nicht einmal empfangen, sondern dem Kutscher befehlen, dich vom Hof zu jagen. Das würde bedeuten: Magst du mich auch in der ganzen Stadt in üblen Ruf bringen – ich fürchte dich nicht! Ich sah das Mädchen an. Meine innere Stimme hatte nicht gelogen: so würde die Sache sicherlich verlaufen. Man würde mich mit Schlägen fortjagen, das konnte man schon aus dem Ausdruck ihres Gesichts schließen. Die Wut kochte in mir, ich hatte Lust zu einem grundgemeinen, abscheulichen Streich. Sie mit spöttischer Miene anzusehen und ihr, während sie so vor mir stand, mit dem Tonfall eines Kaufmanns mitten ins Gesicht zu sagen: Viertausend Rubel! Was sagen Sie da! Ich habe doch nur gescherzt! Sie sind zu leichtgläubig, gnädiges Fräulein. Zweihundert Rubel könnte ich gut und gern lockermachen, aber viertausend Rubel sind eine Summe, gnädiges Fräulein, die man für einen solchen Leichtsinn nicht wegwirft. Sie haben sich vergebens bemüht ...

      Siehst du, ich hätte natürlich alles verloren, sie wäre weggelaufen, aber dafür hätte ich eine teuflische Rache genommen, die mich für alles übrige entschädigt hätte. Mag ich später mein ganzes Leben vor Reue heulen, wenn ich nur jetzt diesen Streich verübe! Glaub mir, noch nie war es mir begegnet, mit keiner einzigen Frau, daß ich sie in so einem Augenblick haßte. Sie habe ich damals drei oder fünf Sekunden lang furchtbar gehaßt – mit jenem Haß, der von der wahnsinnigsten Liebe nur ein Haar breit entfernt ist! Ich trat ans Fenster, legte die Stirn an die gefrorene Scheibe, und ich erinnere mich, daß das Eis mir an der Stirn wie Feuer brannte. Lange hielt ich sie nicht auf, beunruhige dich nicht! Ich wandte mich wieder um, ging zum Tisch, öffnete den Schubkasten und nahm ein Wertpapier über fünftausend Rubel, fünfprozentiges, nicht auf den Namen ausgestelltes heraus, das in meinem französischen Lexikon lag. Das zeigte ich ihr schweigend, faltete es zusammen, reichte es ihr, öffnete ihr selbst die Tür zum Flur und verbeugte mich vor ihr, ganz tief in der respektvollsten Weise. Ich war tief ergriffen, glaub mir! Sie zitterte am ganzen Körper, sah mich eine Sekunde lang starr an und wurde furchtbar blaß wie ein Tischtuch. Und auf einmal, ebenfalls ohne ein Wort zu sagen, verbeugte sie sich ganz tief und sank mit geradezu zu Füßen, so daß sie mit der Stirn den Boden berührte, nicht mit einer heftigen Bewegung, sondern ganz weich, nicht so wie es im Institut gelehrt wird, sondern auf echt russische Art. Sie sprang auf und lief hinaus. Als sie weg war, zog ich den Degen und wollte mich durchbohren – warum, weiß ich nicht. Es wäre natürlich eine furchtbare Dummheit gewesen. Sicher wohl vor Entzücken. Hast du Verständnis dafür, daß man sich auch vor Entzücken das Leben nehmen kann? Aber ich durchbohrte mich nicht, ich küßte nur den Degen und steckte ihn wieder in die Scheide was ich dir übrigens gar nicht zu erzählen brauchte. Ich bin eben bei der Erzählung meiner Seelenkämpfe wohl ein bißchen