Dieses seltsame Geschöpf schien sogar im Wunderhofe die Herrschaft mit ihrer Anmuth und Schönheit auszuüben. Gauner und Diebinnen traten bei ihrem Eintritte ruhig auf die Seite, und ihre thierischen Gesichter erheiterten sich bei ihrem Anblicke.
Sie näherte sich mit schnellem Schritte dem Delinquenten. Ihre niedliche Djali folgte ihr. Gringoire war mehr todt, als lebend. Sie betrachtete ihn einen Augenblick schweigend.
»Ihr wollt diesen Mann hängen?« sagte sie düster zu Clopin.
»Ja, Schwester,« entgegnete der König von Thunes, »wofern du ihn nicht zum Manne nimmst.«
Sie machte mit der Unterlippe ihre reizende schnippische Bewegung.
»Ich nehme ihn,« sagte sie.
Gringoire glaubte in diesem Augenblicke fast, daß er seit dem Morgen nur geträumt habe, und daß, was jetzt geschah, die Fortsetzung dieses Traumes sei.
Der plötzliche Wechsel, wiewohl angenehm, war in der That heftig.
Man knüpfte die Schlinge los und ließ den Dichter vom Schemel herabsteigen. Er mußte sich niedersetzen, so heftig war die Gemütsbewegung.
Der Herzog von Aegypten brachte, ohne ein Wort zu sprechen, einen irdenen Krug herbei. Die Zigeunerin reichte ihn Gringoire hin. »Werft ihn zur Erde,« sagte sie zu ihm.
Der Krug zerbrach in vier Stücke.
»Bruder,« sagte hierauf der Herzog von Aegypten und legte Beiden die Hände aufs Haupt, »sie ist dein Weib; Schwester, er ist dein Gatte. Auf vier Jahre. Gehet.«
7. Eine Hochzeitsnacht.
Nach Verlauf einiger Minuten befand sich unser Dichter in einem kleinen, gothisch gewölbten, wohl verschlossenen und gut geheizten Zimmer; er saß an einem Tische, welcher deutlich zu sagen schien, man möge einige Anleihen bei dem ganz in der Nähe hängenden Speiseschränkchen machen; ein gutes Bett hatte er vor sich; zusammen war er mit einem hübschen Mädchen. Das Abenteuer grenzte an Zauberei. Er fing an, sich allen Ernstes für eine Person aus den Feenmärchen zu halten; von Zeit zu Zeit warf er die Blicke um sich her, wie um zu suchen, ob der von zwei Drachen gezogene Flammenwagen, der ihn allein so schnell aus der Unterwelt in das Paradies hatte versetzen können, noch da wäre. Manchmal auch heftete er seine Blicke hartnäckig auf die Löcher seines Wammses, um sich an die Wirklichkeit anzuklammern und um den Boden unter seinen Füßen nicht ganz und gar zu verlieren. Sein in der Traumwelt irrender Verstand hielt sich nur noch an diesem Faden fest.
Das junge Mädchen schien gar nicht auf ihn zu achten; sie kam, ging, verstellte einen Schemel, plauderte mit ihrer Ziege und verzog dann und wann den Mund. Schließlich setzte sie sich neben den Tisch und Gringoire konnte sie nach Belieben in Augenschein nehmen.
Lieber Leser, du bist Kind gewesen, und du bist vielleicht so glücklich, es noch sein zu können. Mehr als ein Mal wohl (und ich für meinen Theil habe ganze Tage, ja die schönsten meines Lebens damit zugebracht) bist du von Strauch zu Strauch, am Ufer eines muntern Baches, an einem sonnigen Tage hinter einer schönen grünen oder blauen Libelle hergesprungen, wenn sie im schnellen Zickzack herumschwirrte und die Spitzen aller Zweige berührte. Du erinnerst dich, mit welch lieblicher Neugierde dein Gedanke, dein Blick an diesem pfeifenden und summenden Gaukler hingen, der mit seinen purpurfarbigen und azurnen Fittichen, mit seinem unfaßbaren Leibe fast in der Schnelligkeit seiner Bewegung verschwand. Das luftige Wesen, das undeutlich in dem Schwirren seiner Fittiche hervorblitzte, erschien dir eingebildet, erträumt, unfaßbar, unsichtbar. Aber wenn sich die Libelle schließlich auf der Spitze eines Rohrhalmes niederließ, und du mit verhaltenem Athem die langen Gazefittiche, den langen Emailleib, die zwei Krystallkugeln betrachten konntest, welch Erstaunen empfandest du nicht und welche Furcht, das zarte Wesen von neuem als Schatten und Traum verschwinden zu sehen! Vergegenwärtige dir diese Eindrücke, und du kannst dir leicht von dem Rechenschaft geben, was Gringoire empfand, als er in sichtbarer und greifbarer Gestalt diese Esmeralda betrachtete, die er bis dahin nur in einem Strudel von Tanz, Gesang und Lärm gesehen hatte.
Immer mehr in seine Träume versunken, sagte er sich, als er ihr flüchtig mit den Augen folgte: »Das also ist diese ›Esmeralda‹! Ein himmlisches Geschöpf! Eine Straßentänzerin! So viel und so wenig! Sie ist es, die heute Morgen meinem Schauspiele den Todesstoß versetzt hat, und heute Abend hat sie mir das Leben gerettet. Mein böser Genius! Mein guter Engel! ... Ein reizendes Weib, meiner Treu! ... und die närrisch in mich verliebt sein muß, daß sie mich in dieser Verfassung genommen hat. Da fällt mir ein,« sagte er, indem er in jener Empfindung der Wahrheit, die das Wesen seines Charakters und seiner Philosophie ausmachte, sich aufrichtete, »ich bin ja ihr Mann!«
Mit diesem Gedanken im Kopfe und in den Blicken, näherte er sich dem jungen Mädchen in so muthiger Liebhaberweise, daß sie zurückwich.
»Was wollt Ihr denn von mir?« sagte sie.
»Könnt Ihr mich darnach fragen, anbetungswürdige Esmeralda?« antwortete Gringoire mit solch leidenschaftlichem Tone, daß er selbst erstaunte, als er sich reden hörte.
Die Zigeunerin machte große Augen. »Ich verstehe nicht, was Ihr sagen wollt.«
»Ach was!« entgegnete Gringoire, der immer feuriger wurde und meinte, daß er es jetzt nur mit einer Unschuld aus dem Wunderhofe zu thun habe, »gehöre ich nicht dir, süße Freundin? du nicht mir?«
Und er griff sie ganz dreist um den Leib.
Das Leibchen der Zigeunerin glitt wie eine Aalhaut in seine Hände. Sie sprang mit einem Satze in die andere Ecke der Zelle, bückte sich und richtete sich mit einem kleinen Dolche in der Hand wieder in die Höhe, ehe Gringoire nur Zeit gehabt hatte, zu sehen, woher dieser Dolch kam; – gereizt und stolz, mit aufgeworfenem Munde und weiten Nüstern, hochgerötheten Wangen und blitzenden Augen stand sie da. Zugleich stellte sich das weiße Zickchen vor ihr auf und neigte drohend ihre zwei kleinen, sehr spitzen und vergoldeten Hörner gegen Gringoire. Alles das geschah in einem Augenblicke. Das Mädchen wurde zur Wespe, und wünschte nichts sehnlicher, als zuzustechen.
Unser Philosoph stand sprachlos da und betrachtete blöden Auges bald die Ziege, bald das junge Mädchen. »Heilige Jungfrau!« sagte er endlich, als die Ueberraschung ihm die Sprache wiedergab, »das sind mir zwei entschlossene Geschöpfe!«
Die Zigeunerin brach ihrerseits das Schweigen:
»Du mußt ein sehr dreister Narr sein!«
»Verzeiht, gutes Mädchen,« sagte Gringoire lächelnd, »aber warum habt Ihr mich denn zum Manne genommen?«
»Sollte ich dich hängen lassen?«
»So?« entgegnete der in seinen verliebten Hoffnungen ein wenig enttäuschte Dichter, »Ihr habt, als Ihr mich zum Manne nahmt, keinen anderen Gedanken gehabt, als mich vom Galgen zu retten?«
»Und welch andern Gedanken sollte ich gehabt haben?«
Gringoire biß sich auf die Lippen. »Wohlan,« sagte er, »ich bin noch nicht so siegreich mit Cupido, wie ich glaubte. Aber wozu hat man denn eigentlich den armen Krug zerbrochen?«
Währenddessen verhielten sich der Dolch der Esmeralda und die Hörner der Ziege immer noch abwehrend.
»Jungfer Esmeralda,« sagte der Dichter, »wir wollen uns vertragen. Ich bin kein Gerichtsschreiber am Châtelet und werde Euch nicht deswegen schikaniren, daß Ihr innerhalb von Paris, und allen Befehlen und Verboten des Herrn Oberrichters zum Trotz, einen Dolch bei Euch führt. Ihr wißt aber doch wohl, daß Noël Lescrivain vor acht Tagen zu einer Strafe von zehn Pariser Sols verurtheilt worden ist, weil er ein Stilet getragen hat. Doch geht das mich nichts an; ich komme jetzt zur Hauptsache. Ich schwöre Euch bei meinem Antheile am Paradiese, ohne Genehmigung und Erlaubnis Euch nicht zu nahe zu treten; aber gebt mir zu essen.«
Im Grunde war Gringoire, wie Herr Despréaux, »sehr wenig wollüstig«. Er besaß nicht jene ritterliche und soldatische Art, welche junge Mädchen im Sturme