»Und Landstreicher,« entgegnete Clopin, »und Gauner, ist das nichts? Es ist in deinem Interesse, wenn wir dich prügeln, damit du gegen Prügel abgehärtet wirst.«
»Danke vielmals,« antwortete der Dichter.
»Frisch, beeile dich,« sagte der König und trat mit dem Fuße auf das Faß, daß es wie eine türkische Trommel erklang. »Durchsuche die Puppe und mache ein Ende damit. Ich mache dich zum letzten Male aufmerksam, daß, wenn ich eine einzige Schelle vernehme, du die Stelle der Puppe einnehmen wirst.«
Die Gaunerbande gab den Worten Clopins Beifall und drängte sich mit so mitleidlosem Gelächter im Kreise um den Galgen herum, daß Gringoire einsah, seine Lage verursache ihnen so große Lust, daß er das Schlimmste von ihnen zu erwarten habe. Es blieb ihm somit nichts mehr zu hoffen, außer der unsichern Hoffnung, bei dem fürchterlichen Vorhaben, das ihm auferlegt war, glücklich zu sein; er entschloß sich zu dem Wagnis, nachdem er zuvor ein heißes Gebet an die Puppe gerichtet, die er ausplündern sollte, und die wohl leichter zu rühren gewesen wäre, als die Herzen der Gauner. Diese unzähligen Glöckchen mit ihren kleinen kupfernen Zungen erschienen ihm wie ebensoviele offene Viperrachen, bereit zu beißen und zu zischen.
»Ach,« sagte er ganz leise, »ist es möglich, daß mein Leben von der geringsten Bewegung einer dieser kleinen Schellen abhängt?« – »O,« fügte er mit gefalteten Händen hinzu, »Glöckchen, läutet nicht, Schellchen, tönt nicht!«
Er versuchte noch eine letzte Einwirkung auf Trouillefou.
»Und wenn nun ein plötzlicher Windstoß kommt?« fragte er ihn.
»Du wirst gehangen werden,« entgegnete dieser ohne Zögern.
Als er sah, daß keine Frist, kein Aufschub, keine Ausflucht möglich, faßte er sich kühn ein Herz; er schlug den rechten Fuß um den linken, richtete sich auf diesem in die Höhe und streckte den Arm aus ... aber in dem Augenblicke, wo er die Puppe berührte, begann sein Körper, der nur einen Fuß als Stütze hatte, auf dem dreibeinigen Schemel zu wanken; er wollte sich unwillkürlich an die Puppe anlehnen, verlor das Gleichgewicht und fiel in seiner ganzen Länge auf die Erde, völlig betäubt von dem verhängnisvollen Klingen der tausend Glöckchen der Puppe, die, dem Stoße seiner Hand nachgebend, erst eine Drehung um sich selbst beschrieb, dann zwischen den beiden Pfosten majestätisch hin- und herschwankte.
»Verdammt!« schrie er niederfallend und lag wie todt mit dem Gesichte auf der Erde.
Zugleich hörte er das fürchterliche Geläute über seinem Haupte und das teuflische Gelächter der Gauner, nicht weniger die Stimme Trouillefou's, welcher rief: »Hebt mir den Kerl auf und hängt ihn ohne Schonung.«
Gringoire stand auf. Man hatte die Puppe schon abgenommen, um ihm Platz zu machen.
Die Diebe ließen ihn auf den Schemel steigen. Clopin kam auf ihn zu, legte ihm den Strick um den Hals und schlug ihn auf die Schulter: »Adieu, mein Freund. Du kannst jetzt nicht mehr entwischen, selbst wenn du mit den Gedärmen des Papstes verdautest.«
Das Wort »Gnade« erstarb auf den Lippen Gringoire's. Er richtete seine Blicke rings um sich her; aber keine Hoffnung war zu erwarten: alle lachten.
»Bellevigne de l'Etoile,« sagte der König von Thunes zu einem baumlangen Gauner, welcher aus der Menge heraustrat, »klettere auf den Balken.«
Bellevigne de l'Etoile kletterte hurtig auf den Querbalken hinauf, und nach Verlauf einer Minute sah Gringoire, der seine Augen emporhob, ihn mit Entsetzen über seinem Kopfe auf dem Balken hocken.
»Jetzt,« fuhr Clopin Trouillefou fort, »sobald ich in die Hände klatsche, wirst du, Andry le Rouge, den Schemel mit einem Knieschub umwerfen; du, Franz Chante-Prune, wirst dich an die Beine des Halunken hängen; und du, Bellevigne, wirst dich auf seine Schultern werfen, aber alle drei zugleich, hört ihr?«
Gringoire schauderte.
»Seid ihr so weit?« sprach Clopin Trouillefou zu den drei Gaunern, die bereit waren, sich auf Gringoire zu stürzen. Der arme Sünder lebte in einem Augenblicke fürchterlicher Erwartung, während Clopin gleichgiltig mit der Fußspitze einige Weinholzranken, welche die Flamme nicht erreicht hatte, in das Feuer stieß. »Seid ihr so weit?« wiederholte er und öffnete die Hände zum Klatschen. Eine Secunde noch, und es war geschehen. Aber er hielt inne, wie von einem plötzlichen Einfalle gepackt. »Einen Augenblick,« sagte er, »ich vergaß! ... Es ist Sitte, daß wir keinen Mann hängen, ohne vorher zu fragen, ob eine Frau da ist, die ihn zum Manne will. Kamerad, das ist deine letzte Hilfe! Du mußt dich zu einer Landstreicherin entschließen oder zum Strange.«
Dieses Zigeunergesetz, so wunderlich es dem Leser erscheinen mag, steht heute noch ausführlich in der altenglischen Gesetzgebung beschrieben. Man sehe darüber: »Buringtons Observations«.
Gringoire athmete neu auf. Das war das zweite Mal, daß er, seit einer halben Stunde, ins Leben zurückkehrte. Doch wagte er nicht, allzusehr darauf zu bauen.
»Holla!« rief Clopin, der wieder auf sein Faß gestiegen war, »holla! Weiber, Frauenzimmerchen, ist unter euch Landstreicherinnen eine, von der Hexe bis zu ihrer Katze, die diesen Halunken will? Holla, Colette-la-Charonne! Elisabeth Trouvain! Simone Jodouyne! Marie Piédebou! Thonne-la-Longue! Bérarde Fanouel! Michaele Genaille! Claudine Rougeoreille! Mathurine Girorou! Holla! Isabeau-la-Thierrye! Kommt und seht! Ein Mann umsonst! Wer will ihn?«
Gringoire war ohne Zweifel in dieser elenden Verfassung wenig anziehend. Die Landstreicherinnen zeigten sich diesem Vorschlage nur wenig geneigt. Der Unglückliche hörte sie antworten: »Nein! Nein! Hängt ihn, es wird allen Vergnügen bereiten.« Drei indessen traten aus dem Haufen heraus und beschnoberten ihn. Die eine war ein vierschrötiges Frauenzimmer mit breitem Gesicht. Sie untersuchte aufmerksam das elende Wamms des Philosophen. Der Kittel war abgenutzt und durchlöcherter, als eine Pfanne zum Kastanienbraten. Das Mädchen verzog das Gesicht. »Ein alter Lappen!« brummte sie; dann wandte sie sich an Gringoire: »Laß deinen Mantel sehen!«
»Ich habe ihn verloren,« sagte Gringoire.
»Deinen Hut?«
»Man hat ihn mir genommen.«
»Deine Schuhe?«
»Sie haben fast keine Sohlen mehr.«
»Deine Börse?«
»Ach!« stotterte Gringoire, »ich habe nicht einen Pariser Heller mehr!«
»Laß dich hängen, ich danke!« entgegnete die Landstreicherin und kehrte ihm den Rücken zu.
Die andere, alt, schwarz, runzlig, widerlich und von einer Häßlichkeit, die im Wunderhofe Aufsehen erregte, betrachtete Gringoire von allen Seiten. Er erschrak fast davor, daß sie ihn nehmen könnte. Doch murmelte sie zwischen den Zähnen: »Er ist zu dürr« und ging fort.
Die dritte war ein junges, ziemlich frisches und nicht allzu häßliches Mädchen. »Rettet mich!« sagte der arme Teufel mit leiser Stimme zu ihr. Sie sah ihn einen Augenblick mitleidig an, dann schlug sie die Augen nieder, machte eine Falte in ihrem Rocke und stand unentschlossen. Er folgte mit den Augen allen ihren Bewegungen; es war der letzte Hoffnungsschimmer. »Nein,« sagte das junge Frauenzimmer schließlich, »nein! Wilhelm Longuejoue würde mich schlagen.« Sie kehrte zur Menge zurück.
»Kamerad,« sagte Clopin, »du hast Unglück.« Dann richtete er sich auf seinem Fasse in die Höhe: »Will ihn niemand?« rief er, indem er zur allgemeinen Belustigung die Stimme eines Auctionators nachahmte, »will ihn niemand? zum ersten – zweiten – dritten Male!« Dabei drehte er sich mit einem Kopfnicken nach dem Galgen um: »Fort mit Schaden!«
Bellevigne de l'Etoile, Andry le Rouge und Franz Chante-Prune näherten sich Gringoire.
In diesem Augenblicke erhob sich ein Geschrei unter den Gaunern: »Die Esmeralda! Die Esmeralda!«
Gringoire fuhr zusammen und drehte sich nach der Seite um, wo das Geschrei herkam. Die Menge theilte sich