Ich schenke dir den Tod. Ralf Gebhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf Gebhardt
Издательство: Bookwire
Серия: Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958131125
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Hände berührten dabei aber das Holz. Zum Ende des Gebetes küsste er den Schrein. So, wie er das schon immer gemacht hatte, jeden ersten Tag im Monat.

      An einem Ersten nämlich war sie von ihm gegangen. Und so fügte es sich, dass heute wieder Mamas Todestag war.

      Er stand auf und sah sich um.

      Den Kellerraum hatte er mit unzähligen Holzregalen liebevoll ausgebaut. In jedem der kleinen Kästchen brannte ein Licht aus schwarzem Wachs, ruhig und gleichmäßig. Alle ruhten sie auf selbstgebauten Unikaten: Sämtliche Kerzenständer waren etwas Besonderes, kein weiteres Mal zu finden. Dort, wo noch Regalböden leer waren, würde er für Nachschub an neuen Kerzenständern sorgen. Die letzte Nacht hatte ihm gleich sieben gebracht.

      Er ging hinüber zum Korb, griff ohne hinzusehen hinein und zog die erste Katze heraus. Er war sich darüber im Klaren, erst kurze Zeit hier unten zu sein, denn das Kribbeln in seiner Nase und das Augen-Tränen hatte noch nicht eingesetzt. Er wusste, dass er sich beeilen musste.

      Bedächtig streichelte er über das grau-schwarze Fell, drückte den zitternden Körper auf den Fuß des Schreins und schlug mit der Axt zu. Für einen Moment schien es, als würde die enthauptete Katze aufspringen wollen. Aber es war nur die letzte Elektrizität, die ihren Muskeln entwich. Den ausblutenden Körper warf er auf das Sieb einer Blechwanne, den Kopf in eine Obstschale. Er würde später einen neuen Kerzenständer bilden. Innerhalb kürzester Zeit kümmerte er sich in dieser Weise um die anderen Tiere.

      Schließlich war es völlig still. Kein Fauchen, Jaulen oder Kratzen. Er nahm den ersten Kopf aus der Obstschale und saugte das verbliebene Blut heraus. Dann widmete er sich auf gleiche Art den weiteren Köpfen, bevor er sie vorsichtig in ein Einweckglas mit einer Säurelösung steckte. In weniger als einem Monat würden die Knochen vollkommen blank sein. Auch hier war er zu einem Meister geworden, denn zu Beginn hatte er die Köpfe noch mühsam abgekratzt und ausgekocht. Die Ältesten blieben ihm dennoch die liebsten. Sie standen deshalb als Kerzenhalter auf der untersten Stufe des Schreins, dort, wo Mamas Asche ruhte.

      Die Kadaver waren, abgesehen vom ausgelaufenen Blut, nicht zu gebrauchen. Er warf sie in einen Müllsack und stellte diesen neben den Benzinkanister an der Tür. Kurz vorher hatte er eine grobmaschige Strumpfhose über das Nudelsieb gelegt, durch das er die Reste des aufgefangenen Blutes gegossen hatte. Er war darauf bedacht, so wenig wie möglich zu verschütten. Jeden Tropfen tupfte er mit seinem rechten Zeigefinger auf, um ihn anschließend andächtig abzulecken.

      Inzwischen war der Behälter zu mehr als einem Drittel mit Blut gefüllt, ausreichend, um damit das Holzkreuz auf dem Schrein zu streichen. Er tanzte wie ein Kind singend durch den Keller und freute sich über den intensiven, metallisch-sauren Geruch.

      Als er mit dem Bemalen fertig war, legte er den Pinsel in das Einmachglas zu den Katzenköpfen. Daneben stand ein weiteres leeres Glas, das einst Gewürzgurken beheimatet hatte. Bald würde er es mit Säure füllen. Aber bis dahin fing er bestimmt mit den Fallen noch genügend andere Tiere.

      Schließlich ging er zurück zum Kissen, kniete sich nieder und betete. Nach kurzer Zeit füllten sich seine Augen mit Tränen. »Mama, ich weiß nicht, ob du meinen Brief lesen kannst, deshalb lese ich ihn dir vor.« Er griff in seine Hosentasche und holte einen sorgfältig gefalteten Zettel heraus. »Meine liebe Mama, es gab keinen einzigen Tag in den letzten dreißig Jahren, an dem ich nicht an dich gedacht habe, keinen einzigen Tag, an dem du mir nicht gefehlt hast. Deine Seele ist gegangen, hat mich zurückgelassen und gezwungen, stark zu werden. Ich habe es versucht. Und ich habe dir auch versprochen, die zu bestrafen, die böse zu mir waren. Und heute, Mama, mache ich aus diesem Versprechen einen Schwur. Wenn ich am nächsten Monatsersten wieder hier bei dir bin, beweise ich es dir.«

      Er setzte die scharfe Schneide der Axt auf sein Handgelenk und tunkte den Daumen in das hervorquellende Blut, um ihn wie ein Siegel auf den Brief zu drücken. Anschließend nahm er den Zettel und hielt ihn in die nächstgelegene Flamme einer schwarzen Kerze. Seine Schultern bebten, als er versuchte, seine Tränen zu trocknen.

      Er stand auf, strich über das Kissen, küsste den Schrein und verneigte sich.

      »Meine Zeit ist gekommen. Ich schwöre es dir. Amen«

      Er bekreuzigte sich und ging mit festen Schritten zum Ausgang, griff den Müllbeutel und den Benzinkanister.

      Na dann, zum Wohle!«

      »Prost.«

      Die beiden Männer genossen den Feierabend in der Sternstraße, der halleschen Kneipengasse. Das gemeinsame Bier war für sie ein Ritual. Ebenso, dass Staatsanwalt Nagel mit Fragen stichelte und Störmer sich alles aus der Nase ziehen ließ. »Und?«

      »Was und?«

      »Nun hab dich doch nicht …«

      »Schon gut, es gibt keine Neuigkeiten. Oder doch, ich habe eine sehr kurze Liste mit Vermissten vom LKA bekommen.«

      »Hm …«

      Sie tranken schweigend ein weiteres Pils.

      »Also haben wir erst mal nichts außer einem Grablicht mit menschlicher Asche, Schmuck, Beigaben, Katzenknochen, keine DNA …«

      »Genau. Weißt du, das mit den Katzenknochen geht mir kaum aus dem Kopf.«

      »Mir auch, ich habe eine Liste mit meiner Meinung nach möglichen Lösungen in die Akte gelegt. Erstens: Zufall. Zweitens: Asche und Katze haben gar nichts miteinander zu tun. Drittens: Der oder die Täter nutzten die Grube, um eine gestorbene Katze gleich mit zu beerdigen. Oder viertens: Das ist ein Ritus.«

      »Viertens scheint mir vorerst zu passen.«

      »Aber schau, es gibt keine Vermissten, nichts.«

      »Du weißt wie ich, dass die Leiche von woanders stammen kann.«

      »Klugscheißer …« Nagel prostete ihm zu.

      »Immerhin wissen wir, dass die Tat ungefähr fünf Jahre her sein muss. Das hat uns die Katze verraten.«

      »Bedank dich doch bei ihr. Ach übrigens, um dich mal auf andere Gedanken zu bringen, du denkst doch noch an meine Einladung?«

      »Ähm, klar doch, aufs Schloss …«

      »Genau, Klassentreffen. Das ist übrigens auch immer alle fünf Jahre.«

      »Na dann … Vielleicht fehlt einer aus der Runde?«

      Sie schmunzelten.

      »Werden wir sehen. Freue mich. Die Mädels sind schon eine Nummer für sich.«

      »Wie weit ist es eigentlich konkret vom Schloss bis zur Wochenend-Waldsiedlung, also zum Fundort?«

      »Nicht weit, das ist unmittelbare Nachbarschaft, lass es vielleicht sechs oder sieben Kilometer sein, kaum mehr.«

      »Hm … Das mit den fünf Jahren werde ich weiter verfolgen, ich schaue mir an, was so in dieser Zeit passiert ist. Dabei kann ich mal einen Blick auf deine Mitschüler und natürlich auch auf deine Mitschülerinnen werfen.«

      »Halt dich zurück und achte auf meinen Ruf als Staatsanwalt!«

      Jetzt mussten sie herzhaft lachen.

      »Einige werden hier nicht mehr wohnen, klar. Aber es ist ein Anfang, und die, die du hier triffst, solltest du fragen, was losgewesen ist. Hake bitte noch mal nach wegen der erweiterten Vermisstenliste, ja? Und ruf mich an, wenn es was Neues gibt.«

      Störmer nickte.

      »Früher war das hier eine coole Gegend, wir haben uns von niemandem was sagen lassen, waren die Kings. Es gab Banden. Nein, nicht wie du denkst, gemäßigt, die letzten Ostjahre, da gab es kaum Gewalt und so. Aber wir waren immer auf Achse, Mädels, Motorräder, Bier, Zigaretten.«

      »Kann ich mir gut vorstellen, und das mit den Mädels geht noch bis heute.«

      »Prost.«

      Störmer wischte sich den Schaum am Sackoärmel