Ich schenke dir den Tod. Ralf Gebhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf Gebhardt
Издательство: Bookwire
Серия: Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958131125
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dann hätte sie es Wollwärme genannt. Es ist fast so, als wenn es brennt, in ihrem Hals, im Kopf, überall. Wie eine alles umhüllende Fiebertemperatur. In einem der kurzen Momente, in denen sie nicht bewusstlos ist, erinnert sie sich in Bruchstücken an den Rest ihres Körpers, versucht etwas zu spüren. Aber keine ihrer Mühen wird belohnt, keine einzige Bewegung gemacht. Dumpf hämmert der Schmerz. Dann döst sie weg, viel zu schwach, um Träume zu sehen.

      Etliche Stunden darauf ist der Kampf entschieden. Sie lebt. Auch wenn ihr noch alles fehlt, ihre Erinnerungen, Bewegungen und Gefühle. Vorerst hat sie nur ihre Instinkte. Ihren Kopf kann sie nicht drehen und auch keine Hände oder Füße bewegen. Etwas hält sie fest. Mit aller Kraft versucht sie, die Augen aufzureißen. Vergebens. Der Schmerz bleibt dabei gleich, egal was sie tut. Verzweifelt testet sie, den Mund zu öffnen, immer wieder, es will ihr nicht gelingen. Als sie dann einen Laut im Hals formt, weiß sie nicht, ob sie es sich doch nur wieder eingebildet hat. Auf die Idee, zu weinen, kommt sie nicht. Noch nicht. Später ist es wie ein kleiner Erfolg, als sie ihren Atem bewusst steuern kann. Sie riecht den Moder der Erde und die Wolle, die ihr Gesicht umhüllt. Zeit aber spielt jetzt keine Rolle mehr. Sie hat das Erlebte verdrängt. Unbewusst träumt sie sich weg. Jeder andere Ort ist besser als hier.

      »Nicht schon morgen, aber bald, mein Kind, weißt du, wer du bist und wie du heißt. Schlaf dich aus, denn du wirst deine Kraft noch brauchen. Ganz bestimmt … und nun gute Nacht, schlaf schön …«

      Durch die geschlossenen Lider sieht sie ein sanftes Licht, das zuerst auf das linke und dann auf das rechte Auge fällt. Sie bemerkt nicht, dass es der Schein einer Taschenlampe ist. Erneut versucht sie, die Augen zu öffnen. Etwas streicht sanft über ihr Gesicht, ohne sie wirklich zu berühren. Wie ein leichter Stoff oder auch nur wie ein Windhauch.

      Ihre Schmerzen spürt sie nur leicht. Irgendwann entsteht das Gefühl, als würde sie sich zur Seite drehen. Die Zeit bis zum Einschlafen reicht nicht, um den kurzen Druck in beiden Armen zu bemerken. Viel lieber gibt sie sich wieder der Müdigkeit hin.

      Etwas hat sie geweckt, ohne dass sie es hätte beschreiben können. Der Schlaf hat nichts Erholsames gehabt. Er hatte sie nur ein weiteres Mal alles vergessen lassen. Sie weiß nicht, wer sie ist. Sie dämmert nur. Die Wachphasen werden länger. Bewegungen sind noch nicht möglich, sie empfindet nichts. Sie starrt stumpfsinnig in die tiefschwarze Dunkelheit. Irgendwann bemerkt sie wieder einen spitzen Druck an beiden Armen, der jedoch schnell verschwindet.

      Wieder ein Hauch über ihrer Haut, ein Luftzug wie ein unabsichtliches Vorbeistreicheln. In grauen Schatten zeichnen sich Konturen ab. Was sie verschwommen sieht, ist die hohe Decke eines Raumes. Es ist angenehm, mehr als Nichts zu sehen. Und dieses Gefühl gibt ihr die Gelegenheit, beruhigt einzuschlafen. Im schwachen Licht, das für einen Moment auf sie fällt, streicht jemand den Stoff neben ihr glatt.

      »So ist es gut, mein braves Kind, schlaf dich aus, sammle Kraft und werd gesund. Nachher habe ich mehr Zeit für dich. Ich werde dir helfen. Ganz vorsichtig, das verspreche ich dir. Gute Nacht, mein Kind …«

      Telefonisch war Staatsanwalt Bernhard Nagel nicht zu erreichen. Er konnte nur einen Rückrufwunsch hinterlassen. Die beiden Zeuginnen hatte Störmer vernommen, ohne neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die Befragung des Jünglings würde er an seine Assistentin Sabine delegieren. Er war froh, dass er sie hatte. Wenn ihn jemand bitten würde, sie zu beschreiben, dann konnte er sie uneingeschränkt als zielsterbig, loyal und zurückhaltend bezeichnen. Sabine blieb dabei im Hintergund, hielt ihm den Rücken frei und bügelte seine Unzulänglichkeiten und Launen aus. Sie war schüchtern und zweifelte oft an sich selbst. Jede neue Herausforderung bei einer Ermittlung bereitete ihr Sorgen und gab ihr gleichzeitig Kraft. Ganz am Anfang ihrer Zusammenarbeit hatte sie sich gewünscht, nie direkt ermitteln zu müssen, immer in der zweiten Reihe bleiben zu dürfen. Störmer wusste kaum etwas von ihrem Privatleben, das sie komplett hinter den Dienst zurückgestellt hatte. Ihre treffsichere Intelligenz bei der Verfolgung komplexer Tathergänge und ihre Liebe zur Schreibtischarbeit füllten ihr Leben aus. Zwischen ihnen bildete sich schnell ein besonderes Vertrauensverhältnis und das gegenseitige Wissen, sich blind aufeinander verlassen zu können. So oft er konnte, beschützte er sie vor der Welt außerhalb der Polizeidienststelle. Sie mochten einander und wirkten auf Außenstehende oft wie ein altes Ehepaar. Und tatsächlich waren sie auch so aufeinander angewiesen.

      Was wohl einen Sechzehnjährigen an einem Sexabenteuer mit den effektiv viel zu alten Damen reizte? Ansonsten erhoffte er sich davon kaum brauchbare Informationen. Der Kerl hatte die Leiche nur zufällig gefunden und mit dem Rest höchstwahrscheinlich nichts zu tun.

      Er fuhr nach Halle zurück, um sich um seine Tochter Verena zu kümmern. Eigentlich. Sie hatte ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, er sollte heute Abend zurückrufen. Er hatte seine Tochter lange nicht gesehen, im letzten Jahr maximal ein- bis zweimal. Nun wollte sie ihn plötzlich besuchen, zum ersten Mal überhaupt. Sie plante, für ein ganzes Wochenende zu kommen. Was aber sollte er zwei volle Tage mit einer Teenagerin anfangen?

      Der neue Fall ging vor, Störmer versuchte, sich zu konzentrieren. Bestimmt würde es helfen, zu Hause einen detaillierten Bericht zu schreiben. Genau in diesem Moment klingelte sein Handy.

      »Hallo Richard, ich wünsche dir einen schönen Sonntag!« Das Lachen des Staatsanwaltes Nagel am anderen Ende war deutlich zu verstehen.

      »Vielen Dank auch, trotzdem gut, dass du zurückrufst. Sag mal, Bernhard, hast du schon von unserem Fund im Mansfelder Land gehört?«

      »Aber sicher, mein Guter, ich war unterwegs, konnte aber das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Du weißt, ich bin auf der Suche nach einem neuen Auto. Jetzt habe ich ein Audi-Cabriolet zur Probefahrt, nicht schlecht, alter Schwede. Soll ich dich vielleicht abholen und wir drehen eine Runde? Bei mir ist nette Begleitung an Bord.«

      Störmer vernahm ein Kichern.

      »Prinzipiell gern, aber dafür habe ich leider keine Zeit, fahre gerade zurück nach Halle.«

      »Ach so, klar, nächstes Wochenende habe ich dann einen BMW, ich rufe dich an, okay? Die PS werden dir gefallen!«

      »Wenn es passt, wäre es mir ein Vergnügen. Nun erzähl schon.«

      »Was? Okay, sorry, ich hörte davon und war gleich im Institut der Gerichtsmedizin. Es sind wirklich Katzenknochen, dafür hättest du keinen eiligen Kurier schicken müssen.«

      Wegen der letzten Bemerkung verzog Störmer das Gesicht.

      »Die genaue Analyse sollten wir noch abwarten, wir schätzen das Alter auf circa fünf Jahre vom Todeszeitpunkt an gerechnet. Wer weiß, ob das was zu bedeuten hat. Sag mal, was war das überhaupt für eine Gegend, kannst du mir das beschreiben?«

      »Na ja, reiner Waldboden, Mischwald. Etwas höher gelegen, damit nicht ganz so feucht. Du kennst die kleine Wochenendsiedlung hinter dem Sportplatz.«

      »Da oben, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen? Scherz beiseite, klar. Gibt’s die Häuser immer noch?«

      »Natürlich, viele wurden nach der Wende modernisiert. Sieht gut aus, was die Städter da für ein Idyll gezaubert haben.«

      »Ich nehme an, die meisten Bewohner stammen aus Halle?«

      »Denke ich auch, zumindest war das früher so. Aber sag mal, was ist mit der gefundenen Grablampe?«

      »Das ist schon deutlich interessanter. Dort ist tatsächlich menschliche Asche drin. Nahezu in reiner Form, kaum mit Erde vermischt. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen, es war ein erster Schnelltest der Kollegen. Am besten, du sprichst selbst mit dem Labor.«

      »Danke dafür, ich weiß, dass Sonntag ist.«

      »Sage ich doch …«

      Ein erneutes Kichern im Hintergrund.

      »Ich vermute mal, dass wir keine brauchbare DNA haben, Asche eben. Die Beigaben, sprich der Schmuck, helfen uns leider ebenso wenig. Das Zeug ist echt, also nicht nur Modeschmuck. Trotzdem gibt es sowas an jeder Ecke zu kaufen, ohne persönliche Gravur, Initialen, Datum, etc. Lediglich