Ich schenke dir den Tod. Ralf Gebhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf Gebhardt
Издательство: Bookwire
Серия: Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958131125
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wegen Ruhestörung, zumeist am Samstag. Es gibt keine ungeklärten Todesfälle, auch in den umliegenden Kliniken nicht. In Leipzig sind zwei Schwestern verschwunden, Zwillinge, 40 Jahre alt. Sie betreiben ein Restaurant. Die Meldung kam von den eigenen Angestellten, die ihre beiden Chefinnen bereits seit Freitag vermissen. Die Zwillinge haben bis letztes Jahr in Halle gewohnt. Vom ersten Hintergrund her unauffällig, von der Sitte und der Wirtschaft fehlen noch die Antworten auf unsere Anfrage.«

      Gelangweilt drehte Störmer am Kugelschreiber. Er war froh, dass die Woche ruhig anfing. So ruhig, dass man sogar von Vermissten aus der Nachbarstadt berichtete. Die meisten tauchten früher oder später wieder auf. Ihn interessierte das nicht. Er hätte lieber im Maileingang nachgeschaut, ob ihm das LKA schon die gewünschte Vermisstenliste geschickt hatte.

      Staatsanwalt Nagel verteilte weitere Anweisungen und bedankte sich für die Zusammenfassung der Wochenendereignisse. Dann verschwand er zu seiner eigenen Dienststelle.

      Einer der ersten, der den Raum verließ, war Störmer. Als seine Assistentin kurz darauf die Unterlagen brachte, bat er sie an seinen Schreibtisch.

      »Sabine, bist du so nett, das alles in einer Akte zu sammeln? Beschrifte sie bitte mit Magdalena, und frag nicht warum. Mach es bitte, das ist eine Idee von Nagel.«

      »Klar, mache ich. Sonst noch was?«

      »Ich habe dir ein Mail geschickt, fahr bitte ins Krankenhaus und befrage den Zeugen. Er hat unfreiwillig die Asche gefunden. Ich bin gleich unterwegs zum Fundort, muss mich da mal in Ruhe umschauen. Vorher will ich gucken, ob ich bereits eine Vermisstenliste im Posteingang habe. Wir telefonieren, okay?«

      Störmer fuhr den Rechner hoch und trank seinen Kaffee aus. Im Maileingang standen alle Tagebuchnummern des Wochenendes, die etwas mit der Kriminalpolizei zu tun haben könnten. Das Aussortieren überließ er seiner Assistentin. Die erhoffte Vermisstenliste war nicht dabei. Alle in Frage kommenden Fälle seien aufgeklärt. Störmer antwortete direkt. Er bat darum, die Suche auf einen Umkreis von 200 Kilometern auszuweiten. Dann nahm er seine Jacke und ging zum Auto. Nach einem kurzen Blick in die Tiefkühltasche im Kofferraum beschloss er, den Vorrat an Cola aufzufrischen und dafür einen kurzen Abstecher in das benachbarte Einkaufszentrum zu machen. Er wusste, dass sie hier seine Lieblingssorte hatten: mit Kirschgeschmack.

      Das Wetter zeigte sich auch in dieser Wochenendsiedlung des Mansfelder Landes wieder seine freundliche Seite. Störmer genoss die klare Luft, die Ruhe des Waldes. Er hockte sich hin, versuchte, jedes Stück Waldboden in sich aufzunehmen. Anschließend fotografierte er die Fundstelle abermals aus mehreren Perspektiven. Die Bilder würde er später an die Glaswand im Büro heften.

      Der Frühlingswind erzeugte ein beruhigendes Bäumerauschen. Ansonsten herrschte absolute Stille. Der Boden war satt dunkelbraun. Junge Farne stießen durch angesammeltes Laub. Einige Käfer krabbelten in das aufgewühlte Fundloch, Ameisen zogen Stöckchen hinein. Dass sich die Natur das Stückchen Erde zurückholen würde, wusste Störmer. Er ging im Kreis um die Fundstelle, wühlte nochmals mit einem dicken Ast und entfernte dann das Polizei-Absperrband, warf es als zusammengerolltes Knäul in den Kofferraum, schob die Hände in die Taschen und beschloss, noch ein wenig durch die angrenzende Wochenendsiedlung zu spazieren.

      Der Weg gabelte sich. Zwei Wege markierten die Innenringe der Siedlung, die er nacheinander ablief. Dabei traf er niemanden. Die idyllischen Häuser waren zum Wochenbeginn verlassen. Heruntergelassene Rollos und zusammengeklappte Sonnenschirme schienen auf die Rückkehr der Besitzer zu warten. Die meisten Rasenflächen sahen sehr gepflegt aus. Ab und zu war ein Klettergerüst zu sehen. Ansonsten hatten die Bewohner mit Naturhecken eine kleine Abgeschiedenheit geschaffen. Selbst wollte Störmer kein Wochenendhaus. Eigentum verpflichtet, und er hätte keine Lust, jeden Besuch mit Gartenarbeit zu beginnen.

      Als er von seiner Runde zurückkam, sah er von weitem eine Gestalt, die direkt an der Fundstelle stand. Störmer beschleunigte seine Schritte. Schließlich erkannte er das geparkte Auto und auch Staatsanwalt Nagel.

      »Herrliche Gegend hier.«

      Störmer nickte nur, stellte sich neben ihn.

      »Ich wollte mir selbst ein Bild vom Fundort machen. Meine Chefin ist krank, da kann ich mir den Tag einteilen.« Der Staatsanwalt zog ein Päckchen Zigaretten heraus. Von Waldbrandgefahr schien er noch nichts gehört zu haben.

      Sie schwiegen beide, bis Nagel aufgeraucht hatte.

      »Fünf Jahre. Sehr ruhige fünf Jahre. Und nur durch einen Zufall haben wir die Leiche gefunden.«

      »Hm, hier ist wirklich eine ideale Gegend zum Ausruhen oder Aussteigen. Leider können uns die Bäume nicht erzählen, was in all den Jahren passiert ist. Auch wenn sie sicherlich das eine oder andere gesehen haben.«

      »Aber es muss etwas geben, was den Täter dazu veranlasst hat, die Überreste ausgerechnet genau an dieser Stelle zu vergraben.«

      Nagel steckte sich erneut eine Zigarette an. »Du wirst es herausfinden.« Die beiden Freunde betrachteten weiterhin schweigend die Fundstelle. Dann schob Nagel die Kippe mit der Fußspitze in die Erde und sah auf seine Uhr.

      »Ich muss los, das Autohaus will den geliehenen Wagen bis Mittag zurück. Bleibst du noch?«

      »Noch einen Moment.«

      »Dann ruf mich an, okay? Ach so, was machst du eigentlich am kommenden Wochenende?«

      »Mit dir BMW fahren?«

      Nagel lachte. »Klar, das auch, aber ich meine abends. Hast du Zeit?«

      »Eigentlich schon. Kommt darauf an.«

      »Dann komm doch mit, ich lade dich ein, sei meine Begleitung. Drüben auf Schloss Mansfeld haben wir ein Klassentreffen.«

      »Auf dem Schloss?«

      »Klar, das passt, eine wunderbare Mischung aus Jugendherberge und Seminarunterkunft. Wird dir gefallen.«

      »Ich weiß nicht …«

      »Mensch Richard, nun stell dich doch nicht so an. Wir gehen hin, du musst mal raus. Und vielleicht hast du ja bis dahin den Grablampen-Fall bereits gelöst.«

      »Schön wäre es. Also das mit dem Fall und so. Trifft sich dort deine ehemalige Studiengruppe?«

      »Nein, die zehnte Klasse. Ich selbst bin in der Neunten dazugekommen, als unsere Familie hierher gezogen ist. Meine Eltern sind immer der Arbeit hinterher. Aber egal, es wird dir wirklich gefallen, ich kann mich an die Mädels erinnern. Die sind alle deine Zielgruppe!« Er gab Störmer einen Schlag gegen den Oberarm. Nun lachten sie beide.

      »Na gut. Holst du mich ab?«

      »Geht klar, wir zwei alten Junggesellen.«

      Nagel ging sichtlich guter Laune zum Cabriolet zurück.

      Amüsiert beobachtete Störmer ihn. Junggeselle und Nagel, das waren Ausdrücke, die sich definitiv nicht vertrugen.

      Heute war ein guter Tag. Die Ausbeute war außergewöhnlich: sieben Katzen über Nacht. Er trug sie in den selbstgebauten Käfigfallen in den Keller, öffnete dort die Türgitter und warf die Tiere nacheinander in den großen Weidekorb. Das Fauchen und Jaulen ignorierte er. Es war schon erstaunlich, über wie viele Jahre hinweg diese großartigen Fallen ihren Dienst getan hatten. Ursprünglich hatte er sie zum Vergnügen als Rattenfallen gebaut. Aber bereits nach kurzer Zeit verfing sich die erste Katze. Und damit fanden sie schließlich ihre Bestimmung.

      Die letzten beiden Tiere waren Brocken, die ihn ordentlich ins Schwitzen gebracht hatten. Im Keller aber konnte er befreit aufatmen. Hier empfing ihn sein Lieblingsduft, säuerlich und metallisch. Tief sog er ihn ein. Er war gekommen, um diesen Tag zu zelebrieren und ein Versprechen zu erneuern.

      In der Mitte des Gewölbes stand ein mit goldener Farbe gestrichener Schrein. Das Holz war mit groben Schnitzereien verziert. Aber das war ihm egal, stammte es doch noch aus der Zeit seiner eigenen Ungeschicklichkeit,