Flucht. Benjamin Withmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benjamin Withmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783945133941
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49 – Die Geächtete –

       50 – Der Häftling –

       51 – Der Fährtenleser –

       52 – Der Häftling –

       53 – Die Zeitungsleute –

       54 – Die Geächtete –

       55 – Die Wärter –

       56 – Der Häftling –

       57 – Die Geächtete–

       58 – Der Fährtenleser –

       59 – Die Geächtete –

       60 – Der Fährtenleser –

       61 – Die Stadt –

       62 – Der Häftling –

       63 – Die Zeitungsleute –

       Epilog – Die Geächtete –

       »Ein Gefangener ist ein Prediger der Freiheit«

      »Gefängnisse sind dazu da, zu verbergen, dass die ganze Gesellschaft in ihrer ganzen banalen Allgegenwärtigkeit selbst ein Gefängnis ist.«

       Jean Baudrillard

      »Der Witz ist, alle ehemaligen Sträflinge haben etwas gemeinsam – sie haben ihre Zeit da drinnen abgesessen, der Rest von Euch aber hat seine immer noch vor sich.«

       Merle Haggard

       1

       – Der Häftling –

      Einer hat sich in die Hose geschissen. Mopar Horn weiß nicht, ob Wärter oder Häftling, aber das Wohnzimmer stinkt bis zum Anschlag nach Scheiße. Mopar reibt sich die Augen. Hockend klammert er sich an ein Pianino, hält sich an einem der geschwungenen Beine fest, während die Welt unter ihm wegrutschen will.

      »Beruhige dich, verdammt noch mal, dann lockern wir dir das«, sagt Mitch Howard aus dem Flur. Er trägt immer noch die Uniformmütze, die er aufgesetzt hat, damit die Schützen in den Wachtürmen nicht sehen können, dass er schwarz ist. Das Ding ist zu klein für ihn und wackelt, wenn er redet.

      »Was?«, fragt Mopar. »Verdammt, was hast du gesagt?«

      Howards Brille sitzt noch schief von ihrem Sprint. Mit einem Zeigefinger, dick wie ein Babyarm, rückt er sie auf der Nase zurecht. Er ist ein Gewichtheber-Freak. »Ich rede mit denen«, sagt er. Er meint die drei Wärter, die auf dem roten Wohnzimmerteppich knien, Hände auf den Rücken gefesselt, Gesichter rot wie reife Tomaten. Zwei von ihnen haben kapiert, dass sie sich am besten nicht bewegen und sich ums Atmen kümmern, aber der Blonde wetzt seine Handschellen gegen den Absatz seines Stahlkappenschuhs. Er atmet stoßweise durch die Garotte aus Kupferdraht, die eng um seinen Hals liegt. Unter seinem Hemd beulen sich die Schultern, Blut tropft ihm von den Handgelenken und sickert in den Teppich.

      Rotes Blut, rotes Sofa, rote Sessel, rote Vorhänge, eine Tischlampe mit rotem Schirm. Sogar die Lichter am Weihnachtsbaum sind rot. Mopar wischt sich die Stirn mit dem Ärmel seines Uniformhemds ab und blinzelt, um wieder klar zu sehen. Aber immer noch ist alles verfickt rot. Und da ist auch ein Ton. Ein roter Ton. Er summt und pocht wie pumpendes Blut. Wo verdammt kommt der her? Mopar greift sich an den Krawattenknoten, zieht ihn auf, reißt sich das Ding ab und wirft es an die Wand. »Wo sind die alle?«, fragt er. »Verdammt, wo sind die alle hin?«

      Niemand antwortet ihm. Die alte Frau liegt zusammengekauert auf dem Sofa. Ihr verblichenes Haar ist nach hinten zu einem Knoten hochgesteckt. Er sieht aus wie ein Stück Holz, das mit einem Zimmermannsnagel an den Schädel geheftet ist. Wesley Warrington und Bad News Dixon, die anderen beiden Häftlinge, lümmeln sich auf zwei Wohnzimmersesseln. Es gab nicht genügend Wärteruniformen, deshalb stecken sie noch in den blauen Anstaltsjeans und Jacken.

      Aber das sind schon alle, die mit ihm im Raum sind. Dabei sind sie mindestens zu zwölft gewesen, als sie durch das Nordtor hinaus sind. Daran erinnert sich Mopar genau. »Verdammt, wo sind die alle hin?«, fragt er.

      »Die sind weg«, sagt Howard. »Hier sind nur ich, du, Warrington und Bad News. So war der Plan.«

      »Was für ein Plan? Von so einem Plan habe ich nichts gehört. Mist.«

      »Mein Plan«, sagt Howard. »Zerbrich dir bloß nicht deinen schönen kleinen Punkschädel.«

      »Leck mich.« Mopars Gehirn schwillt an, er atmet durch den Mund. Sein Kopf steht unter Druck, gleich platzt er. »Ist die Sirene schon gegangen? Ich hab sie nicht gehört.«

      »Alles in Ordnung, Sportsfreund«, sagt Howard. »Konzentrier dich aufs Atmen.«

      Mopar will ihn am liebsten mit der provisorischen Schrotflinte abknallen. Behandle mich wie einen Deppen, und ich male dir die Wände rot. Noch roter. Immer noch hat er diesen Ton in seinem Ohr, das Summen. Als ob in den Wänden rings um ihn das Blut pocht. Atme.

      Er sieht zum Fenster. Die Berge flackern struppig und grau durch den Schnee. Die Sonne ist eine Laterne, die zwischen den Gipfeln nach unten sinkt. Mopar strengt sich an, ruhiger zu werden. Atme, du Scheißkerl. Es ist der erste Sonnenuntergang, den er seit einem Jahrzehnt gesehen hat. Atme.

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      Der blonde Wärter kämpft immer noch mit seinen Handschellen. Sein Haar ist dünn wie bei einem Neugeborenen, die Kopfhaut ganz rosa. Seine Augen wirken aufgequollen, das linke füllt sich mit Blut, die Äderchen sind geplatzt. Er wirft sich nach vorn, zuckt wie ein Tausendfüßler auf der Herdplatte.

      »Mach ihnen die Garotten ein wenig auf«, sagt Howard zu Mopar. »Locker sie, bevor einer von diesen verdammten Hinterwäldlern sich noch selbst umbringt.«

      Er redet mit mir wie mit einem verdammten Kind. Selbst wenn Mopar könnte, würde er sich nicht vom Fleck rühren. Scheiß auf diese Wärter.

      »Verstanden.« Bad News erhebt sich aus seinem Sessel. Sie haben die Garotten in der Gefängniswerkstatt hergestellt. Aufgewickelter Kupferdraht mit einem Holzgriff, Bad News zieht den blonden Wärter daran hoch. Der Draht schneidet in den Hals, verschwindet im Blut. Das Gesicht des Wärters wechselt von rot zu violett, die Zunge schwillt ihm an. Bad News zieht ihn hoch und lässt ihn wieder herunter auf die Knie, den Griff aber hält er fest.

      »Mach schon«, sagt Howard. »Noch bringen wir diese Hinterwäldler nicht um.«

      »Das würde ich nicht so schlimm finden«, sagt Bad News. Er ist jung und nervös, hat den Blick eines Borderliners. Seine großen Augen sind nur Pupillen. Er sagt, seine Nerven sind vom LSD erledigt. Er sagt, wenn man genug LSD eingeworfen hat, wird man gesetzlich für geisteskrank erklärt. Er sagt, er hat die sechsfache Überdosis eingeschmissen, und wer ihm nicht glaubt, kann ja diese eine Bitch in Boulder fragen. Nur dass man sie nichts mehr fragen kann.

      Der