„Aber Zanda glaubt das. Nachdem ich die beiden Vampire erledigt habe, kniete ich neben Anne Marie. So fand Zanda uns. Und bevor ich es aufklären konnte, stieß er mir einen Dolch ins Herz. Zum Glück kamen dann einige von uns, sonst säße ich vielleicht nicht hier.“ Und James würde noch leben. Und Sandra auch. Ich spüre, wie dieser Gedanke mir die Luft abschnürt.
Katharina legt eine Hand auf meinen Unterarm und sieht mich durchdringend an. Das hilft, ich kann kräftig durchatmen.
„Jetzt verstehe ich, was mit Zahltag gemeint war. Und du hattest keine Chance, rechtzeitig zu kommen.“
„Ich habe James sofort angerufen. Er sagte, es wäre ein Techniker da, wegen des Anschlusses. Und dass ich ihn bestellt hätte. Da wusste ich, was los war. Ich wollte ihn warnen, aber der Techniker hatte grad nach ihm gerufen und James legte auf, ohne meine Rufe zu hören.“
„Scheiße“, sagt Katharina.
Ja, Scheiße. Die Tränen brechen sich Bahn wie Lava aus einem Vulkan. Katharina zieht mich an sich und wie durch Watte höre ich, wie sie weitererzählt. Dass sie hinter uns hergefahren ist und mich aus dem Krankenhaus holte. Sie erklärt, warum und wieso. Wie ich tagelang geschlafen habe und sie schließlich die SMS geschickt hat.
Danach wird es still. Meine Tränen sind versiegt, vorläufig zumindest. Ich lehne den Kopf gegen Katharinas Schulter. Sie umarmt mich, ihre Hand ruht auf meiner Hüfte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Eltern das nicht sehen und verstehen.
„Ich verstehe trotzdem nicht, warum du so schnell zur Stelle warst“, sagt schließlich mein Vater.
„Ich habe die Nachricht im Internet gehört“, erklärt Katharina.
„Den Teil verstehe ich und das habe ich mir so ähnlich gedacht. Aber welchen Grund gibt es dafür, dass du dich sofort ins Auto setzt und losfährst?“
Ich hebe den Kopf und sehe meinen Vater an. „Weil sie mich liebt.“
Die Augen meiner Mutter weiten sich entsetzt, sie hat es also nicht erkannt. Mein Vater wirkt nicht überrascht, nur unangenehm berührt.
„Und du?“
„Ich liebe sie auch.“
„Verstehe.“ Mein Vater nimmt einen großen Schluck von seinem Drink.
„Wie … Seit wann?“
„Seit vier Jahren.“
„Ihr habt seit vier Jahren ein Verhältnis?“, fragt meine Mutter entgeistert.
„Nein. Es ist kompliziert.“
„Aber seit gestern?“ Mein Vater überrascht mich.
„Es ist kompliziert“, wiederhole ich. „Wir … haben uns ineinander verliebt, als wir damals die Cuculus gejagt haben. Uns war beiden klar, dass … dass es nicht geht. Sie war verheiratet, ich war es.“
„Sie war?“, fragt mein Vater.
„Kay und ich haben uns vor ein paar Wochen getrennt. Er lebt jetzt in London.“
„Oh“, sagt er nur.
„Verstehe ich das richtig? Ihr habt vier Jahre lang die Finger voneinander gelassen und jetzt, drei Tage, nachdem James tot ist, entdeckt ihr eure Liebe füreinander wieder?“
Oh, oh, das wird unangenehm. Meine Mutter ist wütend und empört. Sehr wütend.
„Nein, so war das nicht“, erwidere ich und spüre, dass auch ich wütend werde. „Ich sagte doch, es ist kompliziert. Ich habe James geliebt! Und auch Katharina! Und das hat mir die schlimmsten vier Jahre meines Lebens beschert! Es ist unfair, mir jetzt vorzuwerfen, ich hätte kaum abwarten können, dass James aus dem Weg ist!“
„Das habe ich nicht gesagt“, flüstert meine Mutter.
„Ach nein, wirklich nicht? Und was sollte deine Frage dann? Ich antworte für dich: genau das! Genau das hast du vorhin gedacht! Verdammt noch mal! Glaubst du wirklich, dass ich so bin? Vor vier Tagen stand ich vor diesem lichterloh brennenden scheißverdammten Haus und wusste, dass da drin Sandra und James nur wenige Sekunden vorher gestorben sind! Wie kannst du auch nur denken, ich hätte da nichts Besseres zu tun, als mich in eine Beziehung zu stürzen? Ich habe James geliebt, verstehst du das? Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie weh das tut? Und ja, ich liebe auch Katharina! Ich kann es selbst nicht erklären, was da passiert, wie so was überhaupt möglich ist! Diesen fast unerträglichen Schmerz und gleichzeitig diese irrsinnige Liebe zu spüren! Gleichzeitig! Es zerreißt mich, verdammte Scheiße!“
Ich merke, dass ich stehe und dass sowohl Katharina als auch mein Vater vergeblich versuchen, mich zu beruhigen. Doch dafür ist es bereits zu spät. Ich habe das Gefühl, von innen heraus zerrissen zu werden und breche zusammen. Es ist kein Blackout, wie schon ein paar Mal in den letzten Tagen. Diese Gnade wird mir diesmal nicht gewährt. Ich erlebe den Schmerz bei vollem Bewusstsein, jede Sekunde davon. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr, er schreit den Schmerz nur noch hinaus, während Katharina mich mit übermenschlicher Kraft festhält und mit mir auf den Boden sinkt.
Ich sehe schon wieder meine Hand. Und dieses Mal ist es die andere, ich liege ja auch auf der linken Seite. Schlagartig bin ich hellwach. Der Rollladen ist oben, nur der Vorhang dämpft das Licht. Doch das Zimmer stimmt nicht. Es ist mein Zimmer, das Zimmer, in dem ich aufgewachsen bin. Was zum Teufel ist passiert? Habe ich alles nur geträumt?
Ich setze mich auf und sehe mich um. Dann entdecke ich die Leinenhosen, die Slipper. Jetzt spüre ich auch, dass ich nackt bin. Mit einem Blick nach rechts sehe ich, dass ich allein im Bett bin. Aber geträumt habe ich es nicht, so viel steht fest. Und von irgendwoher höre ich gedämpfte Stimmen.
Ich gehe ins Bad und setze mich aufs Klo, um zu pinkeln. Dabei versuche ich verzweifelt, mich zu erinnern, was geschehen ist. Ich habe meine Mutter angeschrien, ich bin regelrecht ausgerastet. Katharina hat mich festgehalten und dann lagen wir auf dem Boden. Ich kann mich an diesen wahnsinnigen Schmerz erinnern, an meine unmenschlichen Schreie.
Aber was geschah danach?
Langsam machen mir diese ständigen Blackouts Angst. Ist das vielleicht normal, wenn jemand einen solchen Verlust erlebt hat wie ich? Oder ist bei mir einfach alles intensiver, also auch meine Gefühle, weil ich eine Kriegerin bin? Eine Kriegerin mit besonderen Fähigkeiten?
Seufzend erhebe ich mich, betätige die Spülung, wasche mir bewusst nicht die Hände, weil ich dann in den Spiegel blicken müsste, und gehe zurück in mein Zimmer. Im Kleiderschrank finde ich alte Sachen von mir, sauber und gebügelt. Diese Marotte von meiner Mutter, die ich anfangs so schrecklich fand, ist durchaus praktisch. Nicht zum ersten Mal.
Ich ziehe eine hellgraue Schlabberhose und ein dunkles T-Shirt an, dann gehe ich aus dem Zimmer. Die Stimmen werden lauter, sie kommen von unten. Ich stutze. Deutlich höre ich Jack, dann meinen Vater. Wollten sie nicht am Abend erst kommen?
Ich gehe die Treppe nach unten und wende mich nach rechts, wo die Küche und der Eingang zum großen Wohnzimmer liegen. Verteilt auf die Couch und Sessel sitzen Michael, Nilsson, John mit Katharina, eine zweite Gruppe bilden Ben, Jack und mein Vater. Nicholas und meine Mutter sind auf der Terrasse, sie decken den Tisch. Sie decken ihn zum Frühstück.
Was zur Hölle …?
Katharina erblickt mich als Erste. Sie springt auf, kommt zu mir und gibt mir einen Kuss auf den Mund. Ihre Zunge schiebt sich kurz und neckisch zwischen meine Lippen, dann löst sie sich wieder von mir.
„Guten Morgen“, sagt sie lächelnd. „Ausgeschlafen?“
„Guten Morgen?“, wiederhole ich. „Wie lange habe ich denn geschlafen?“
„Einen Nachmittag und die Nacht durch.“
„Ach du Scheiße!“
„Hast du ein Meeting?“
Ich schüttele