Zu dieser Zeit war die Volksmedizin schon viele Jahrhunderte alt und hatte beachtlichen Erfolg. Und den Ingwer kannte man in der Chinesischen Medizin schon seit über 2000 Jahren. Das ist, wie man so schön sagt, ein »echtes Pfund«, das man nicht wegdiskutieren kann. Und es ist ja nicht das einzige, auch wissenschaftlich hat der Ingwer nachgelegt. Wer seinen lateinischen Namen »zingiber« in die bekannte medizinische Datenbank medline eingibt, findet fast 400 Studien, und beim englischen Namen »ginger« sind es sogar beinahe 1000. Da gibt es etliche Methoden und Mittel der wissenschaftlichen Medizin, die weniger zu bieten haben.
DIE ZWEI SÄULEN DES LEBENS
Alles Leben gründet sich einerseits auf Stabilität, andererseits auf Flexibilität. Denn es muss einerseits nachgeben und flexibel auf die Änderungen der Umwelt reagieren können, andererseits aber auch über genug Robustheit, Konstanz und sogar eine gewisse Ignoranz verfügen, um seine Form und Struktur behaupten zu können. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Momenten kann zwar recht unterschiedlich sein – so verlässt sich eine Amöbe eher auf ihre Flexibilität, während die Schildkröte vor allem auf ihre Stabilität setzt –, doch insgesamt muss jedes Lebewesen seine eigene, individuelle Balance zwischen beiden finden.
An den höheren Pflanzen können wir Flexibilität und Stabilität sogar rein äußerlich festmachen. Die oberirdischen Teile, vor allem aber die Blätter, Blüten, Stängel und Äste, stehen für Beweglichkeit: Sie biegen sich im Wind. Blüten und Blätter kommen und gehen mit dem Wechsel der Jahreszeiten; wenn sie die richtigen Sonnenlichtbedingungen vorfinden, kann ihr Wachstum regelrecht explodieren. Mit anderen Worten: In den oberirdischen Teilen der Pflanze geht die Natur regelrecht verschwenderisch mit ihren Kräften um. Ganz anders bei den Wurzeln. Sie wirken im lichtlosen Untergrund und sorgen dort für die Basis, sie versorgen die Pflanze mit den essenziellen Nährstoffen, wobei sie für härtere Zeiten mehr oder weniger große Reserven zurücklegen, und verhelfen ihr zu einem festen Platz im Boden. Sie stehen also für Stabilität und Konstanz, in ihnen zeigt sich die Natur nicht verschwenderisch, sondern haushälterisch und auf Mäßigung bedacht.
WARUM WURZELN ANDERS WIRKEN ALS BLÄTTER UND BLÜTEN
Die Flexibilität der oberirdischen und die Beharrlichkeit der unterirdischen Teile schlägt sich auch chemisch nieder. In den Blättern, Blüten und Ästen findet man andere chemische Konstellationen als in den Wurzeln. Dementsprechend macht es natürlich auch einen großen Unterschied, welche Teile der Pflanze wir als Heilmittel zubereiten und anwenden.
So verbessern die oberirdischen Teile eher unsere Flexibilität, während die Wurzeln eher unsere Stabilität unterstützen, uns also helfen, Körper und Psyche gegen störende oder sogar zerstörerische Umweltreize zu behaupten. Dies sieht man beispielsweise am Ginseng, der unser Immunsystem stärkt und uns vor den unterschiedlichsten Stressreizen schützt, während die luftigen Blätter des Ginkgo den Blutfluss verbessern und das Gehirn wach und geistesgegenwärtig halten. Und man sieht es auch an den Ingwerwurzeln.
Denn deren große Stärke besteht darin, dass sie uns beruhigen, wenn es turbulent um uns herum wird. Beispielsweise, wenn das Schiff in unruhige See gerät oder das Flugzeug in einem Luftloch absackt. In solchen Fällen gerät unser Gehirn leicht in Stress, folglich wird uns schlecht und wir müssen uns möglicherweise übergeben. Doch mit Ingwer kann man diesen verhängnisvollen Mechanismus unterdrücken.
Die traditionsreiche Pflanze aus dem Osten verfügt aber auch über zahlreiche andere Effekte. Einige davon sind wissenschaftlich gut untermauert, andere haben eher Tradition als Studien zu bieten. Und nicht alle von ihnen passen ins »Wurzel-Schema«. Wie zum Beispiel, dass Ingwer den Blutfluss fördert, was ja eher zur Flexibilität als zur Stabilität gehört. Doch man darf nicht vergessen: Die Pflanzenwelt hat ihre eigenen Gesetze. Sie muss sich nicht sklavisch an all die Regeln und Formeln halten, die wir Menschen für sie erfinden.
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