Sarah Penrose. Priska M. Thomas Braun. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Priska M. Thomas Braun
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783907146828
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Brigitte am gleichen Abend mit hochgelagertem Fuss in ihrem Zimmer mutmasste, wann sie ihr umgeknicktes Sprunglenk wieder belasten dürfe, bot Sarah an, in der Hotelküche Quark zum Kühlen zu holen.

      «It helps», hatte sie gesagt, und obwohl sie noch kaum Deutsch und Brigitte nur das für den Hotelbetrieb notwendige Englisch sprach, hatten sich die beiden auf Anhieb verstanden.

      Nun wollten sie noch ausgehen, Pizza essen und ein paar Bekannte treffen, die in den umliegenden Hotels ihre Ausbildung oder ein Praktikum absolvierten. Sarah verkürzte sich das Warten auf ihre Freundin, indem sie die Kurzmeldungen in der Zeitung überflog.

       Landstreicher findet Leiche im Park

       Vermisster 98-Jähriger aus Frankfurt tot aufgefunden

      Frankfurt am Main. Die Leiche des 98-jährigen Mannes, der am Dienstag aus einem Seniorenheim in Sachsenhausen verschwunden war, wurde noch gleichentags von einem Obdachlosen gefunden.

      Der seit Dienstagvormittag vermisste Senior wurde am späten Abend in einem Frankfurter Park aufgefunden. Das bestätigte die Polizei am Mittwochmorgen. Er habe den gut gekleideten, leblosen Körper unter einer Trauerweide entdeckt, als er sich dort sein Nachtlager habe aufschlagen wollen und umgehend die Polizei verständigt, erzählte der Obdachlose. Vermutlich war der Verstorbene erst wenige Stunden tot gewesen. Bislang haben die Ermittlungen nach Angaben der Polizei keinen Hinweis auf ein Verbrechen ergeben.

      Als Sarah am nächsten Morgen zusammen mit den Kindern auf das Frühstück warten musste, griff sie nach einem von Izzys Modemagazinen, die sich auf der Küchenablage türmten. Dabei fand sie die herausgerissene Zeitungsseite mit jener Kurznachricht, die sie am Vorabend in der Hotelhalle gelesen hatte. Sarah drehte die Seite um und warf einen Blick auf den Wetterbericht auf der Rückseite. Es würde schön bleiben.

      «Wer will am Nachmittag ins Schwimmbad im Ort gehen?», fragte sie die Kinder. «Ich! Super!», rief Jessica, und die anderen drei nickten eifrig. Sie alle mochten das öffentliche Gartenbad lieber als jenes im Hotel. Während Sarah noch überlegte, ob sie sich Lunchpakete packen lassen oder über Mittag besser etwas Kleines in der Gaststube essen sollten, kam auch schon Karin mit dem reichlich gefüllten Frühstückskorb vom Restaurant hoch. Sie stöhnte wie beinahe jeden Tag: «Sorry, Sarah. Entschuldige die Verspätung.»

      Sarah nickte und bestellte bei Karin die Lunchpakete. Dann legte sie den Kindern je ein Vollkornbrötchen und eine Wurst- und eine dünne Käsescheibe auf die Teller und platzierte die Joghurts und Früchte in der Tischmitte. Sie selbst genehmigte sich ein Hörnchen und dazu einen Kaffee.

      Izzy erschien an jenem Morgen nicht in der Küche des Apartments. Vermutlich war sie schon früh zum Joggen gegangen. Auch Sarah wollte den Vormittag, während Jessica in der Schule und die Zwillinge im Kindergarten waren, für sich nutzen. Sie würde Jens im Zwergenhort abgeben und im Wald radeln gehen. Bald begannen die Schulferien und damit eine Zeit intensiver Kinderbetreuung. Die Familie Rothfuss machte im Sommer keinen Urlaub, und vom Au-Pair wurde erwartet, dass sie den ihren erst im November bezog.

      Zwei Stunden später legte Sarah ihr Rad am Wegrand ins Gebüsch, stieg zur Himmelsliege hoch und blickte, bevor sie sich darauf legte, zur anderen Talseite. Der Priorstein war ihr liebster Aussichtspunkt. Sie beobachtete die harmlos dahinziehenden Schäfchenwölkchen, dachte ans Petermännle und wie sie den Kindern seine Legende erzählen würde. Besonders Jessica wollte immer wieder aufs Neue hören, wie Peter, der Jäger im Dienst der Reichenbacher Mönche, abends auf seinem Stein sass und welche Tricks er sich überlegte, um die einfachen Leute, welche die Tiere des Waldes verscheuchten, vom Beerensammeln abzuhalten.

      Sarah, die im Wald wochentags für gewöhnlich keiner Menschenseele begegnete, hörte eine Frau sprechen. Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, dass es Izzys wohlklingende Stimme war.

       «He’s gone. Dead and gone.»

      Dann war Stille. Sarah ahnte, dass Izzy auf einer Holzbank sass, bloss einen Steinwurf entfernt und telefonierte. Gebüsch trennte den Picknickplatz von der Himmelsliege. Sie konnte Izzy nicht sehen, doch jedes ihrer Worte verstehen.

       «Don’t fret. Nobody suspects anything. He trusted me. He adored my little cakes. Gobbled them in the park. No, don’t. Please. Don’t fret. Nobody saw us. Gran, he did harm you. He deserved it all right.»

      Sarah schlich sich davon, stieg auf ihr Rad und sauste den steilen Weg hinunter ins Tal. Während der Fahrtwind ihre heissen Wangen kühlte und ihr durchs feuchte Haar strich, fragte sie sich, warum Izzy ausgerechnet auf dem Priorstein eine Pause eingelegt und wessen Geschichte sie ihrer Oma erzählt hatte. Izzy hatte von einem Mann gesprochen, der etwas verdient habe. Auch von Keksen, die er verschlungen, und von Vertrauen, das er ihr entgegengebracht habe. Zudem hatte Izzy einen Park erwähnt. Sarah war verwirrt, ihr Hirn stellte eine Verbindung her, doch sie hatte jetzt nicht die Zeit, diese zu Ende zu denken. Sie musste die Kinder von der Schule abholen.

      «Du hast genau zwei Möglichkeiten, deine doch sehr gewagte Vermutung zu überprüfen», sagte Hannes, als er Sarah am folgenden Samstag traf und sie ihm bei einer Tasse Kaffee von ihrem diffusen Verdacht berichtete, den sie aufgrund der merkwürdigen Konversation auf dem Priorstein geschöpft hatte.

      «Ob Izzy tatsächlich mit New York telefoniert hat? Bedenke den Zeitunterschied. Aber du kannst sie ja darauf ansprechen … oder der Frankfurter Polizei einen Hinweis übermitteln», foppte Hannes und streckte seine Hand nach Sarahs aus.

      «Alte Menschen schlafen schlecht. Vielleicht ist Izzys Oma schon in aller Herrgottsfrüh munter. Oder die beiden wollten in einem ruhigen Moment telefonieren», murmelte Sarah und zog ihre Hand zurück. «Zudem ist Izzy an besagtem Dienstag, als der Senior angeblich umkam, irgendwo unterwegs gewesen.»

      «Genau deshalb wäre ich vorsichtig», schlussfolgerte Hannes.

      Sarah wusste nicht, was sie von seiner Bemerkung halten sollte. Sie wagte einen letzten Versuch, ihn zu überzeugen.

      «So überlege doch», flüsterte sie: «Izzys Oma ist in Frankfurt geboren. Ein jüdisches Mädchen, das, als sie mit einem Kindertransport nach England gebracht wurde, zwischen zehn und fünfzehn Jahre alt gewesen sein musste. Der Frankfurter Tote war 98.»

      «Zeitlich mag es ja hinkommen», gab Hannes zu, «doch der Rest ist reine Fantasie. Deine Fantasie.»

      Als Sarah schwieg, fragte er sie: «Warum vergisst du die Geschichte nicht einfach? Du bildest dir den Zusammenhang bloss ein.»

      Doch Sarah glaubte sowohl an Zufälle wie auch an ihr Bauchgefühl.

      Mitte August war es heiss und gewittrig. Die Kinder hatten Ferien, und alle vier spielten an jenem schwülen Vormittag im Zwergenhort. Izzy schlich mit verweinten Augen durchs Hotel und schliesslich in Rudis Büro. Sarah dachte als erstes an einen Ehekrach. Doch Izzy und Rudi stritten sich nie. Wenigstens nicht vor ihren Angestellten oder den Kindern. Zudem war Rudi an jenem Vormittag mit seinen F&B Manager unterwegs auf Schloss Eberstein, um regionalen Wein zu kosten. Es musste etwas anderes sein. Sarah hatte Zeit. Sie setzte sich vors Büro und wartete. Als Izzy eine Stunde später heraustrat und Sarah erblickte, schien sie gefasster.

      «Das trifft sich gut, dass du hier bist, Sarah. Komm, ich brauche dich. Meine Oma ist gestorben», sagte sie. «Ich habe für mich und die Zwillinge für morgen einen Flug nach New York gebucht.»

      Sarah kondolierte und fragte, was mit Jessica und Jens passiere.

      «Sie bleiben bei Rudi und dir. Ich kann nicht alle vier mitnehmen. Und die Zwillinge kann ich nicht trennen. Rudi kann nicht weg vom Hotel. Das Haus ist zu 90 Prozent belegt. Es ist der ungünstigste Zeitpunkt.»

      «Könnte ich dich nicht begleiten? Damit du alle vier mitnehmen könntest.»

      «Nein, danke, Sarah, das ist lieb von dir. Aber wir machen es so, wie ich sagte. Ich habe es mir hin und her überlegt. Jens und Jessica sind hier im Hotel, bei dir und bei ihrem Vater, besser aufgehoben.» Sarah fand es etwas seltsam, dass Izzy ihren Jüngsten zurücklassen wollte. Doch es war ja nicht für lange, und tatsächlich wurden