Zarathustra antwortete: „Ich liebe die Menschen“…
Diese vier Worte enthalten Zarathustras ganze Philosophie!
Ich liebe die Menschen. Ich liebe das Leben. Ich hatte der Welt nicht entsagt. Ich ging nicht als lebensfeindlicher Weltflüchtling ins Gebirge. Ich ging ins Gebirge, um mich selber zu finden, mein Alleinsein, meine Freiheit, meine Weisheit. Jetzt habe ich sie gefunden, da brauche ich nicht mehr auf den Gipfeln zu bleiben. Im Gegenteil, ich bin so übervoll, dass ich Menschen brauche, mit denen ich teilen kann. Ich will meine Liebe mit anderen teilen, will meine Weisheit mit anderen teilen, will meine Freiheit mit anderen teilen. Ich bin zum Bersten voll, ich fließe über.
„Warum“, sagte der Heilige, „ging ich doch in den Wald und in die Einöde? War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr liebte?“
Der Heilige sagt: „Ich bin ebenfalls ins Gebirge gegangen, in den Wald, denn auch ich habe die Menschen allzu sehr geliebt. Aber daraus wurde Knechtschaft und daraus wurde Abhängigkeit, und das trug mir nur Unglück ein und sonst nichts.“
Aber da ist ein Unterschied. Er liebte die Menschen „allzu sehr“ – damals, als er unwissend war, als er selber schlief.
Zarathustra liebt die Menschen jetzt, da er erwacht ist, da er erleuchtet ist. Die Liebe des Unerwachten ist nichts als Lust. Nur der Erwachte weiß um die Schönheit und die Spiritualität und die Göttlichkeit der Liebe. Sie ist keine Fessel mehr. Die Liebe des Erwachten macht frei. Die Liebe des Unerwachten ist die Liebe eines Bettlers: Er will geliebt werden, er möchte unersättlich geliebt werden. Und die Liebe des Erwachten ist das genaue Gegenteil, ist die Liebe eines Kaisers. Er möchte mit euch teilen – er hat so viel davon, in solchem Überfluss! Es ist ein Geben, ein Verschenken – ohne den Wunsch, belohnt zu werden, und ohne den Wunsch, etwas zurückzuerhalten.
Der Heilige sagte: „Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht.“
Diese Aussage enthält die ganze Einstellung aller sogenannten Religionen. Sie halten fein säuberlich auseinander: dass man Gott nicht lieben darf, wenn man die Menschen liebt.
Der Gott des Alten Testaments sagt: „Ich bin sehr eifersüchtig. Wer mich liebt, darf nur mich lieben.“ Aber fast alle Religionen halten es so. Entweder kannst du das Diesseits lieben – dann hast du auf das Jenseits verzichtet; denn wenn du die Menschen liebst, hast du Gott vergessen. Du kannst wählen. Wenn du Gott liebst, wirst du deine Liebe zu den Menschen wegnehmen müssen. Ja, dann wirst du die Menschen hassen müssen, wirst das Leben hassen müssen, wirst alle Genüsse des Lebens hassen müssen. Diese Einstellung, typisch für alle Religionen, ist sehr monopolistisch. Gott beansprucht die Liebe in deinem Herzen ausschließlich für sich. Er kann keine Nebenbuhler ertragen.
Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen würde mich umbringen.
In diesem alten Heiligen haben wir den Inbegriff der religiösen Haltung vor uns: gegen das Leben, gegen die Freude, gegen die Lust. Warum dürft ihr die Menschen nicht lieben? „Weil die Menschheit so unvollkommen ist! Gott ist vollkommen! Liebe zum Menschen würde mich umbringen.“
In Wirklichkeit macht die Liebe in ihrer Reinheit, in ihrer spirituellen Blüte keinerlei Unterschiede. Sie liebt. Nicht weil du es wert bist, nicht weil du vollkommen bist, nicht weil du Gott bist: Wahre Liebe liebt um der Liebe willen. Was man liebt, ist belanglos. Du bist so voller Liebe, dass du nicht aufhörst sie allen zu schenken, die unvollkommen sind. Und gerade sie bedürfen ihrer mehr. Gerade sie, die es nicht verdienen, bedürfen ihrer tatsächlich mehr.
Der vollkommene Gott bedarf eurer Liebe nicht – und der vollkommene Gott ist nur eine Hypothese, ist nur ein Hirngespinst. Ihr seid ihm nie begegnet. Andernfalls würde der Mensch, der immer nach Makeln sucht, auch Gott bemäkeln. Habt ihr je darüber nachgedacht? Wenn euch plötzlich Gott erschiene, würdet ihr dann nichts an ihm auszusetzen haben?
Ihr würdet etwas auszusetzen haben. Vielleicht ist er gar nicht so schön, wie ihr ihn euch vorgestellt habt. Vielleicht sieht er aus wie ein Chinese! Oder er ist ein Schwarzer, oder gar eine Schwarze! Vielleicht ist er zu alt, zu verbraucht – hat nichts Frisches an sich, sondern nur den Muff des Alten. Seit Jahrhunderten sitzt er rum …
Es gibt so viele Hypothesen wie Gott aussieht! Es gibt Leute die glauben, er hätte vier Hände. Meint ihr, vier Hände, das schickt sich? Und andere glauben, er hätte tausend Hände. Ein Mann mit tausend Händen würde sich zwar als Museumsstück eignen, aber ihn lieben … ? Und wenn er dich erst umarmt mit seinen tausend Händen! Kaum bist du seiner Umarmung entronnen, wirst du nie wieder an Gott denken! Manche stellen sich Gott mit drei Gesichtern vor. Das wäre ein Anblick! Aber ein Mann mit drei Gesichtern, das schickt sich nicht. Und wer weiß, was für Gesichter das sind?
Ihr seid deshalb so auf die Vollkommenheit Gottes versessen, weil Gott nur eine Hirngespinst ist. Und Gott könnt ihr deswegen leicht lieben, weil es keinen Gott gibt – so kann euch nicht viel passieren. Doch eine Frau zu lieben oder einen Mann … da gibt es Probleme. Zum Beispiel habt ihr nicht den gleichen Geschmack. Eure Neigungen sind verschieden. Du willst unbedingt ins Kino gehen, und deine Frau denkt gar nicht daran ins Kino zu gehen. Sie hat Kopfschmerzen.
Henry Ford wurde einmal gefragt: „Wie sind Sie eigentlich immer reicher geworden? Was hat sie angetrieben?“
Er sagte: „Um ehrlich zu sein, ich wollte mal sehen, ob ich mehr verdienen kann, als meine Frau ausgeben kann. Und ich muss zugeben, ich habe versagt.“
Mit dem anderen gibt’s immer Probleme. Du willst schlafen, und dein Mann schnarcht. Was sollst du mit so einem Mann anfangen, der einfach so neben dir liegt und schnarcht? Und er kann ja nichts dafür. Man hat mit tausenderlei Mittel versucht, das Schnarchen abzustellen: Der neueste Clou ist ein elektrisch betriebenes Säckchen, das hängt über dem Mund des Ehemannes. Kaum schnarcht er, fällt ihm der Sack aufs Gesicht und dann wacht er auf. Man kann ihn ja nicht die ganze Nacht lang so liegen lassen, denn jedes Mal, wenn er schnarcht, verschließt ihm das Säckchen immer Nase und Mund. Oder du hast eine Frau, deren Körpergeruch du nicht ausstehen kannst …
An Gott ist alles schön, denn du brauchst mit ihm nicht zu schlafen – soll er doch schnarchen! Und du brauchst mit ihm nicht zu leben – wenn er stinkt, soll er doch stinken.
Er ist eine bloße Hypothese, ein Hirngespinst. Aber sich mit echten Menschen zu reiben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das stellt deine Liebe auf die Probe. Es ist sehr leicht, Gott zu lieben; es ist sehr schwer, einen Menschen zu lieben. Gott zu lieben, kostet nichts; Menschen zu lieben, erfordert enorm viel Verständnis.
Wer sich also in die Waldeinsamkeit zurückzieht und sich einen Gott ausdenkt und diesen Gott dann liebt, der macht es sich sehr leicht. Sein Leben wird nicht reifen, denn dazu fehlen die Prüfungen. Der alte Heilige fasst hier praktisch die Grundhaltung aller Religionen in einem Satz zusammen: „Die Liebe zu den Menschen würde mich umbringen. Der Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache.“
Das ist egoistisch. Er hält sich für vollkommen, aber der Mensch ist für ihn eine zu unvollkommene Sache. Natürlich kann ein vollkommener Mensch nur einen vollkommenen Gott lieben. Aber Gott ist nur deine Halluzination. Wenn du hartnäckig genug bist, erscheint dir der Gott deiner Wahl sogar; aber nur als Traum mit offenen Augen – als Halluzination. Da ist niemand vor dir, sondern deine eigene Vorstellungskraft hat dich hypnotisiert. Darum erscheint einem Christ immer nur Jesus und einem Buddhist immer Buddha und erscheint einem Hindu immer nur Krishna. Nicht einmal aus Versehen sieht ein Christ je Buddha oder Krishna – nicht einmal aus Versehen sucht Krishna je einem Christen heim. Denn diese Leute existieren überhaupt nicht. Sie sind Ausgeburten eurer Fantasie; ihr selbst produziert sie. In der Bibel steht: „Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild.“ Ich sage euch: Der Mensch erschafft Gott nach seinem Ebenbild.
Zarathustra antwortete: „Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den Menschen ein Geschenk!“
Liebe ist immer ein Geschenk. Wenn nicht, ist sie Fantasterei.
„Was sprach ich von Liebe? Ich bringe den Menschen ein Geschenk.“