Die Gegenwart ist nichts als eine Trennlinie. Sie ist ohne Raum. Sie scheidet die Vergangenheit von der Zukunft – nichts als eine Scheidelinie. Man kann in der Gegenwart sein; aber nur, wenn man nicht denkt; zum Denken braucht man Raum. Gedanken brauchen Raum, genau wie Dinge – vergesst das nie. Gedanken sind unsichtbare Dinge, sie sind stofflich; Gedanken sind nichts Übersinnliches, denn die Dimension des Übersinnlichen beginnt erst dort, wo die Gedanken aufhören. Gedanken sind stoffliche, feinstoffliche Dinge und jede Materie braucht Raum. Du kannst nicht in der Gegenwart denken; sobald du zu denken anfängst, ist sie schon wieder Vergangenheit. Du sieht die Sonne aufgehen; du siehst es und du sagst: „Was für ein schöner Sonnenaufgang!“ – er ist bereits Vergangenheit. Es gibt nicht einmal genug Spielraum um: „Wie schön!“ zu sagen, denn wenn du diese beiden Wörter aussprichst – „wie schön“ –, dann ist die Erfahrung schon Vergangenheit, dann hat der Verstand sie sich schon als Erinnerung eingeprägt. Aber was kannst du genau in dem Augenblick denken, wo die Sonne aufgeht – die Sonne steigt eben über den Horizont –, was kannst du da denken? Du kannst dich in diesen Augenblick auflösen, aber du kannst nicht denken. Für dich ist genug Raum da, aber nicht für Gedanken.
Eine Blume blüht im Garten und du sagst: „Eine schöne Rose!“, aber in dem Augenblick bist du nicht mehr bei der Rose; sie ist bereits Erinnerung. Wenn die Blume da ist und du bist da, beide einander gegenwärtig, wie kannst du dann denken? Was kannst du denken? Wie ist Denken möglich? Es gibt keinen Raum dafür. Der Raum ist so eng – vielmehr: Es gibt überhaupt keinen Raum – und du und die Blume, ihr könnt nicht getrennt sein, denn es gibt für zwei nicht genug Raum. Nur Eines kann existieren.
Wenn es nur noch Gegenwart gibt, wirst du die Blume und die Blume wird du. Du bist nur ein Gedanke, ebenso wie die Blume ein Gedanke in der Vorstellung ist. Wenn aber das Denken wegfällt, wer ist dann die Blume und wer ist der, der sie ansieht? Der Beobachter wird zum Gegenstand der Beobachtung. Plötzlich verschwimmen die Grenzen. Plötzlich bist du in die Blume eingedrungen und die Blume ist in dich eingedrungen. Plötzlich seid ihr nicht mehr zwei – nur Eins ist.
Sobald du zu denken anfängst, seid ihr wieder entzweit. Wenn du nicht denkst, wo ist dann die Dualität? Wenn du mit der Blume bist ohne zu denken, kommt es zu einer Zwiesprache, wo zwei eins werden: kein Zwiespalt, sondern Zwiesprache. Wenn du mit deiner Geliebten zusammen bist, ist es eine Zwiesprache, nicht ein Zwiespalt; es gibt keine Zweiheit mehr. Du sitzt neben deiner Geliebten, du hältst die Hand deiner Geliebten und du bist ganz einfach da. Ihr denkt nicht an die Tage, die hinter euch liegen; ihr denkt nicht an die Zukunft, die näherkommt – ihr seid hier und jetzt. Und es ist so schön, hier und jetzt zu sein, und so gewaltig; kein Gedanke kann diese Intensität durchbrechen. Und das Tor ist eng – eng ist das Tor der Gegenwart! Nicht einmal zwei können zusammen durchgehen, nur einer. In der Gegenwart ist Denken unmöglich, ist Träumen unmöglich, denn Träumen ist nichts anderes als Denken in Bildern. Beide sind sie Dinge, beide sind sie Erscheinungsformen der Materie.
Wenn du ohne zu denken in der Gegenwart bist, bist du zum ersten Mal im Übersinnlichen. Eine neue Dimension eröffnet sich dir – das ist die Dimension der Bewusstheit. Und weil ihr diese Dimension nie kennengelernt habt, behauptet Heraklit, dass ihr schlaft, dass ihr unbewusst seid. Bewusstheit heißt, so restlos im Augenblick aufzugehen, dass keine Bewegung möglich ist, weder in Richtung Vergangenheit noch in Richtung Zukunft. Alle Bewegung hört auf. Aber das bedeutet nicht, dass du bewegungslos wirst. Eine neue Bewegung beginnt, eine Bewegung zur Tiefe hin.
Es gibt zwei Formen von Bewegung und das ist die Bedeutung des Kreuzes Jesu: Es zeigt zwei Bewegungen an, die sich schneiden. Die eine Bewegung ist linear; man bewegt sich auf einer Linie, von einem Ding zum anderen, von einem Gedanken zum anderen, von einem Traum zum anderen; du bewegst dich von A zu B, von B zu C, von C bewegst du dich zu D. Du bleibst auf einer Linie, horizontal. Das ist die Bewegung derer, die fest schlafen. Wie ein Weberschiffchen kannst du hin und her gehen – die lineare Dimension. Es gibt aber eine Bewegung, die in eine völlig andere Richtung geht. Sie ist nicht horizontal, sie ist vertikal. Du gehst nicht von A nach B, von B nach C, sondern von A zu einem tiefer liegenden A: von A nach A1, A2, A3, A4, in die Tiefe; oder in die Höhe. Wenn das Denken aufhört, beginnt die neue Bewegung. Jetzt fällst du in die Tiefe, in etwas, das sich auftut wie ein Abgrund. Menschen, die tief meditieren, kommen früher oder später an diesen Punkt: Dort überkommt sie die Angst, denn wenn man vor sich einen Abgrund gähnen fühlt – bodenlos –, dann überkommt einen die Angst. Du möchtest dich an die alte Bewegung klammern, denn die kennst du; das hier dagegen ist wie der Tod. Das symbolisiert das Kreuz Jesu: Es ist ein Tod. Aus der Horizontalen in die Vertikale gehen, bedeutet Tod – das ist der wirkliche Tod.
Aber Tod ist es nur vom einen Ende aus gesehen; am anderen Ende ist es Wiederauferstehung; es ist ein Sterben, um geboren zu werden; es ist ein Sterben in der einen Dimension und eine Geburt in einer anderen Dimension. Auf der Horizontalen bist du Jesus, auf der Vertikalen wirst du zu Christus.
Wenn du von einem Gedanken zum anderen gehst, bleibst du in der Welt der Zeit. Wenn du in den Augenblick hineingehst, statt in die Gedanken, gelangst du in die Ewigkeit. Aber bewegungslos bist du nicht – nichts auf der Welt ist bewegungslos, kann bewegungslos sein – aber deine Bewegung wird eine neue sein, eine Bewegung ohne Motivation. Behaltet diese Worte. Auf der Horizontalen bewegst du dich aufgrund von Motivation. Du musst etwas erreichen – Geld, Prestige, Macht – oder Gott, aber erreichen musst du etwas, irgendeine Motivation ist vorhanden. Eine motivierte Bewegung ist das Gleiche wie Schlaf.
Eine Bewegung ohne Motivation bedeutet Bewusstheit – du bewegst dich, weil es die reine Freude ist; du bewegst dich, weil Bewegung Leben ist, du bewegst dich, weil Leben Energie bedeutet, und Energie Bewegung. Du bewegst dich, weil Energie Genuss ist – aus keinem anderen Grund. Es geschieht absichtslos, du bist nicht auf irgendwelche Leistungen aus. Ja, eigentlich gehst du nirgendwohin, gehst du gar nicht – du genießt lediglich die Energie. Es gibt keinen Zweck außerhalb der Bewegung; Bewegung hat ihren eigenen, ihr innewohnenden Sinn, keinen äußerlich herleitbaren Sinn. Ein Buddha lebt, ebenso wie ihr, aber die Bewegung ist von anderer Art: grundlos.
Vor ein paar Tagen hat mich jemand gefragt: „Warum hilfst du den Leuten zu meditieren?“ Ich gab ihm zur Antwort: „Es macht mir ausgesprochen Freude.“ Genau wie einer, der seine Freude hat, wenn er im Garten Samen aussät und auf die Blumen wartet, so freue ich mich, wenn ihr aufblüht. Es ist wie Gärtnern. Für den, der aufblüht, ist es eine reine Freude. Und ich teile diese Freude mit ihm. Es gibt dabei kein Ziel. Wenn ihr nicht aufblüht, frustriert mich das nicht. Wenn es euch nicht gelingt, ist das auch in Ordnung, denn man kann niemanden zum Blühen zwingen. Du kannst eine Knospe nicht mit Gewalt öffnen – du kannst es zwar tun, aber dann tötest du sie. Es mag wie Aufblühen aussehen, aber es ist keines.
Die ganze Welt bewegt sich, die Schöpfung bewegt sich, in alle Ewigkeit; das Denken bewegt sich in der Zeit. Die Schöpfung bewegt sich in die Höhe und in die Tiefe und der Verstand bewegt sich rückwärts und vorwärts. Der Verstand bewegt sich horizontal; das ist Schlaf. Wenn du dich vertikal bewegen kannst, ist es Bewusstheit.
Sei im Augenblick. Bring dein ganzes Sein in den Augenblick ein. Gestatte der Vergangenheit nicht sich einzumischen und gestatte der Zukunft nicht sich einzumischen. Die Vergangenheit ist nicht mehr, sie ist tot. Und wie schon Jesus sagt: „Lass die Toten ihre Toten begraben.“ Die Vergangenheit ist nicht mehr! Warum machst du dir Gedanken über sie? Warum kannst du nicht aufhören, sie wiederzukäuen? Bist du verrückt? Es gibt sie nicht mehr, sie ist nur in deiner Vorstellung, sie ist nur eine Erinnerung. Die Zukunft ist noch nicht. Was soll es also, über die Zukunft nachzudenken?
Was noch nicht ist, wie kannst du darüber nachdenken? Wie kannst du es planen? Was du dir auch ausdenken magst, es wird anders kommen und dann wirst du frustriert sein, denn das Ganze folgt seinem Plan. Warum versuchst du deinen eigenen Gegenplan zu haben? Die Schöpfung hat ihre eigenen Pläne, sie ist klüger als du – das Ganze ist notwendig klüger als