Doch wir kehren zu den Zeiten Diocletians zurück. Viele Gegenden Galliens lagen bleibend darnieder; die tiefverschuldeten Landbesitzer um Autun zum Beispiel hatten noch unter Constantin129 sich nicht so weit erholt, dass sie auch nur die alte Bewässerung und Reutung hätten in Gang setzen können, so dass ihr Boden in Sumpf und Gestrüpp ausartete; die Burgunderreben starben ab; das Waldgebirg füllte sich mit wilden Tieren. »Die Ebne bis an die Saone war einst fröhlich und reich, solange man die Gewässer in Ordnung hielt – jetzt sind die Niederungen zum Flussbett oder zur Pfütze geworden; die gewaltigen Weinstöcke sind verholzt und verwildert130, und neue kann man nicht pflanzen . . . Von der Stelle an, wo der Weg auswärts führt nach dem belgischen Gallien (also so ziemlich von Autun selbst an), ist alles wüste, stumme, düstere Einöde; selbst die Heerstrasse ist schlecht und uneben und erschwert den Transport der Früchte sowohl als die öffentlichen Sendungen.« – Im Mittelalter kam es auch einmal, um die Zeit der Jungfrau von Orleans, so weit, dass die Rede ging: es stehe von der Picardie bis Lothringen kein Bauernhaus mehr aufrecht; allein was eine lebenskräftige Nation in zwanzig Jahren wieder einholt, gereicht einer abzehrenden zur tödlichen Einbusse.
Was halfen da die grossen und dauernden Anstrengungen des Maximian und Constantius? Mit der Deckung des Rheines, wozu sie es samt aller Tapferkeit und allem Talent brachten, war doch erst die Möglichkeit einer Heilung des zerstörten Innern gegeben, aber noch lange nicht die Heilung selbst. Immerhin wirkte die Tätigkeit der beiden Fürsten nachhaltig, so dass die Germanen auf längere Zeit die Schläge fühlten. Mehrmals zieht Maximian gewaltig über den Rhein, gleich Probus, und bändigt (287–288) Burgundionen, Alamannen, Heruler und Franken131; Constantius befreit das Bataverland von den letztern (294) und schlägt die wieder hereingebrochenen Alamannen in der furchtbaren Schlacht bei Langres (298, nach andern 300), wo ihrer 60 000 fielen. Allerdings kam den Römern dabei eine innere Krisis unter den Germanen zustatten, von der wir nur leider zu wenig wissen. »Die Ostgoten«, heisst es132, »zernichten die Burgundionen, aber für die Besiegten waffnen sich die Alamannen; die Westgoten, mit einer Schar Taifalen, kämpfen gegen Vandalen und Gepiden . . . Die Burgundionen haben die Gegend der Alamannen weggenommen, aber mit schwerem Verlust bezahlt, und nun wollen die Alamannen das Verlorne wieder erkämpfen.« Hier liegt offenbar die Erklärung der seltsamen, immer nur auf kurze Zeit gestörten Waffenruhe zwischen Römern und Deutschen unter Constantin dem Grossen; die welthistorische Veränderung, welche er zu leiten hatte, sollte ohne allzu bedeutende Störung von aussen sich vollziehen können; ebendazu musste gleichzeitig im fernen Osten der Friedensschluss vom Jahr 297 und die Minderjährigkeit des Sassaniden Sapor II. dienen.
Maximian und Constantius hatten mittlerweile wenigstens die Befestigung des Rheines als Grenze durchgeführt. Auf diese »Kastelle mit Reiterschwadronen und Kohorten« in der Nähe des Stromes wird man wohl den vorgeblichen Wiederaufbau der »in Waldnacht versunkenen, von wilden Tieren bewohnten Städte« beschränken müssen, wenn schon der Lobredner, dem wir diese Worte verdanken133, eine allgemeine Lobpreisung des wiedergekehrten goldenen Zeitalters daran knüpft. Wo früher Städte waren, kennt das vierte Jahrhundert Kastelle, und auch da gab es auffallende Lücken134.
Prachtvoll hergestellt wurde vielleicht nur die nordische Residenz, Trier. Da erhoben sich aus den Trümmern, welche der Besuch der Franken, vielleicht auch der Bagauden hinterlassen, ein grosser Zirkus, mehrere Basiliken, ein neues Forum, ein gewaltiger Palast und andere Luxusbauten mehr135. – Das unglückliche Autun fand einen warmen Fürsprecher an Eumenius, den wir hier von der bessern Seite kennenlernen. Er war ein Sekretär (magister sacrae memoriae) des Constantius gewesen und hatte (wahrscheinlich infolge sehr wichtiger Dienstleistungen) eine Pension von mehr als 26 000 Franken unseres Geldes zu verzehren mit der Sinekure eines Vorstehers der Schulen zu Autun, wo schon sein aus Athen gebürtiger Grossvater eine Professur bekleidet hatte. Nun geht sein ganzer Ehrgeiz dahin, sein Einkommen (obwohl er Familie hatte) diesen Schulen zum Geschenk zu machen und überdies die Gnade des Constantius und nachher des Constantin auf diese arg zerrütteten Anstalten und auf die ruinierte Stadt hinzulenken. Es ist derselbe schöne antike Lokalpatriotismus, der uns in den Schilderungen des Philostratus mit so manchem griechischen und asiatischen Sophisten des ersten und zweiten Jahrhunderts nach Christus versöhnt und befreundet. Man muss diese seltsame Mischung von Edelsinn und Schmeichelei aufnehmen und würdigen, wie jene Zeit sie hervorbrachte. »Diese Besoldung«, sagt Eumenius, »nehme ich, was die Ehre betrifft, anbetend in Empfang, schenke sie aber weiter . . . Denn wer wird jetzt so erbärmlicher Gesinnung, so allem Streben nach Ruhm abhold sein, dass er sich nicht ein Andenken stiften und eine günstige Meinung von sich hinterlassen wollte?« – In den hergestellten Schulen werde man lernen, die Fürsten auf würdige Weise zu loben, und einen bessern Gebrauch der Eloquenz gebe es ja überhaupt nicht. Selbst der alte Maximian kömmt hier noch zu einer recht unverdienten Parallele mit Hercules musagetes, dem Vorsteher der Musen; denn – ihm ist die Ernennung eines Scholarchen für Autun so wichtig gewesen, als handelte es sich um eine Reiterschwadron oder um eine prätorianische Kohorte136. Mit der Herstellung der ganzen Stadt hatte es indes noch gute Weile; erst Constantin konnte mit einem bedeutenden Steuererlass und mit direkten Bewilligungen nachdrücklicher aushelfen. Fast rührend schildert Eumenius seinen Einzug (311): »Wir schmückten Dir die zum Palatium führenden Gassen mit ärmlichem Zierat aus; doch trugen wir wenigstens die Symbole aller unserer Zünfte und Körperschaften und die Bilder aller unserer Götter hervor; einige wenige Musikinstrumente hast Du mehrmals angetroffen, weil wir Dir damit durch Nebenwege vorauseilten. Dir entging wohl nicht die gutwillige Eitelkeit der Armut«137.
In den verödeten, nördlichen und östlichen Teilen Galliens musste man wohl oder übel in dem seit Claudius und Probus begonnenen System fortfahren und die kriegsgefangenen Germanen als Ackerknechte, teilweise aber auch als freie Bauern, ja als Grenzwächter ansiedeln. Die Lobredner138 rühmen es, wie alle Markthallen voll Gefangener sitzen, welche ihr Schicksal erwarten; wie der Chamave, der Friese – einst so leichtfüssige Räuber – jetzt im Schweiss ihres Angesichtes das Feld bauen und die Märkte mit Vieh und Korn besuchen; wie sie sich auch der Aushebung und der römischen Kriegszucht unterwerfen müssen; wie Constantius die Franken von den fernsten Gestaden des Barbarenlandes hergeholt, um sie in den Einöden Galliens139 zum Ackerbau und Kriegsdienst zu erziehen, u. dgl. m. – tatsächlich waren es doch lauter Experimente der Not, und zwar sehr gefährliche, tatsächlich war das nördliche Gallien bereits halb germanisch geworden. Sobald die Stammesgenossen dieser Gefangenen wieder in Gallien einbrachen, konnten sie in den letztern lauter Verbündete finden, wenn nicht eine geraume Zeit dazwischen verstrichen war.
Diese Eventualität einstweilen abzuhalten, gelang dem Glück, dem Talente und der Grausamkeit Constantins, als er in dem ersten Jahre nach seines Vaters Tode (306) den Bund einiger Frankenvölker zu bekämpfen hatte, welche zu den später so genannten ripuarischen Franken gehörten (wahrscheinlich Chatten und Ampsivarier, nebst den Brukterern). Sie hatten schon bei Lebzeiten seines Vaters den Rhein überschritten; nun schlug er sie und bekam ihre Fürsten Askarich und Regais (oder Merogais) gefangen140. In dem Amphitheater zu Trier, dessen gewaltige Überreste man noch jetzt in den Weinbergen aufsucht, wurden die beiden den wilden Tieren vorgeworfen; dasselbe