DIE FARM. Tom Abrahams. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tom Abrahams
Издательство: Bookwire
Серия: Traveler
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352117
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– Jahr 5 nach dem Ausbruch – östlich von Rising Star, Texas

      Sie saßen auf der Terrasse hinter dem Haus, wo die aufgehende Sonne von Osten her erste Schatten warf. Battle schaute nach rechts, wo der Himmel schwach orangefarben zwischen den Eichen und Mesquitebäumen schwelte, die vor dem Zaun wuchsen.

      Weder er noch Lola hatten geschlafen, doch sie legte ihm ihren Werdegang in allen Einzelheiten dar. Sie zu verstehen fiel ihm schwer. Bisweilen gestalteten sich ihre Ausführungen zusammenhanglos und bruchstückhaft. Er ahnte, dass sie einiges verschwieg, räumte jedoch ein, dass sie es in ihr Unterbewusstsein verbannt haben könnte. Während er mit den Händen über die rissigen Armlehnen seines Adirondack-Gartensessels fuhr, wippte sie gleichmäßig in ihrem hohen Lehnstuhl vor und zurück, wobei sie die Ferse ihres heilen Fußes zur Hilfe nahm.

      Battle wollte, dass sie weitersprach. »Als du Louisiana in Richtung Texas verlassen hast, bist du also in Tyler untergekommen?«

      Sie nickte. »Nachdem sie meinen Mann ermordet hatten, konnten wir nicht dortbleiben. Louisiana war für uns sowieso immer nur ein Zwischenstopp gewesen. Ich kannte niemanden im Ort. Die Notlager platzten aus allen Nähten, niemand hielt sich an Gesetze.«

      »Was hast du in Tyler gemacht? Du musst mir noch erklären, wie dich das Kartell entführte.«

      Da hörte sie mit dem Geschaukel auf. »Mein Sohn Sawyer, er … ich … wir taten, was wir tun mussten.«

      »Und das Kartell?«

      »Es zog von der Grenze aus weiter nach Norden, glaube ich, und dann von Arizona in Richtung Osten«, gab Lola an. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht so genau. Um das Kartell ranken sich sehr viele Gerüchte, aber ich bin mir nicht sicher, was davon wahr ist. Dass du es überhaupt nicht kennst, ist mir immer noch schleierhaft.«

      »Ich habe keinen Fernseher«, entgegnete er, »und höre selten Radio, weder Weltnachrichten noch sonst etwas.«

      »Wieso?«

      »Weil es da draußen nichts für mich gibt. Meine Welt fängt hier an und hört am Zaun auf. Ich muss mich darauf konzentrieren, das zu beschützen, was mir gehört, statt mich mit Dingen zu befassen, die sich außerhalb abspielen.« Battle setzte sich bequemer hin, bevor er fortfuhr: »Momentan geht es nicht um mich. Ich muss mehr über dich und das Kartell erfahren.«

      Lola schaute nach Norden in den Gemüsegarten gleich hinter dem Gebäude und schauderte. »Mein Sohn«, begann sie wieder und musste schlucken, weil ihr alles Weitere schwerfiel. »Er hat vom Kartell gestohlen.«

      »Was?«

      »Eine Orange.«

      Battle schaute sie argwöhnisch an. »Eine Orange?«

      Eine Träne rann von einem ihrer Augenwinkel über die Wange hinab. Dass sie überhaupt noch weinen konnte, wunderte Battle.

      »Nichts weiter?«

      »Nein«, bekräftigte sie und zog die Nase hoch. »Er war hungrig. Erst tags darauf hätte man wieder Nahrungsmittel verteilt und …«

      »Nahrungsmittel verteilt?«

      »Ja. Ich sagte dir doch, sie kontrollieren alles.«

      »Wie dem auch sei, er klaute die Orange …«

      »Von einem Mann in unserem Appartementhaus«, präzisierte sie. »Der war nicht in seiner Wohnung und hatte nicht abgesperrt. Sawyer sah ihn oft mit Lebensmitteln, also schlich er hinein und nahm eine Orange. Der Kerl erwischte ihn dabei.«

      »Und er gehörte dem Kartell an, schätze ich.« Battle fasste sich mit Daumen und Zeigefinger an den Nasenrücken, um sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. »Den Mann meine ich … deshalb hatte er immer zu essen, nicht wahr?«

      Lola nickte und schlug die Hände vors Gesicht. Battle ließ sie weinen, ohne einzulenken oder sie zu trösten. Mehrmals streckte er sich nach ihr aus, hielt sich dann aber doch zurück. Er wartete, bis sie ihren Gefühlsausbruch überwunden hatte.

      »Was hat das Kartell getan?«, fragte er dann.

      »Uns versklavt.«

      »Das wart ihr doch sowieso schon«, unterstellte er. »Hab ich recht?«

      »Eher zur Dienstarbeit verpflichtet«, berichtigte sie. »Dafür wurden wir auch bezahlt. Wir waren in einer Wäscherei angestellt. Der einzige Job, den ich für uns finden konnte. Das Geld reichte zum Überleben, jedenfalls meistens. Als Sawyer festgenommen wurde, weil er die Orange nahm, um nicht wieder hungrig ins Bett zu gehen, entließen sie uns. Wir mussten in eine Wohngemeinschaft umziehen, wo zweiunddreißig Personen in einem Zimmer mit sechzehn Betten hausten.«

      »Wie alt ist er?«

      »Dreizehn.«

      »Wann ist das passiert?«

      »Vor sechs Monaten.«

      »Wo hält er sich jetzt auf?«

      Lolas Züge erschlafften zu völliger Ausdruckslosigkeit, während sie in die Ferne starrte. Sie begann wieder, sich zu wiegen. Schneller als zuvor. Auf und nieder, auf und nieder … Battle dachte, dass sie seine Frage nicht mitbekommen hatte, also wiederholte er sie: »Wo hält er sich jetzt auf?«

      Keine Reaktion.

      »Lola!«

      Ihre Lider flimmerten, sie bewegte sich langsamer. Als sie sich ihm zukehrte, schaute sie ihm so lange in die Augen, bis er seinen Blick abwenden musste.

      »Er ist noch bei ihnen«, gab sie an. »Wir waren zu viert, als wir fliehen wollten. Die anderen beiden wurden … Sie schafften es nicht, aus der Wohnung zu entkommen, Sawyer und ich hingegen schon. Wir sind gelaufen. Immer weiter … so schnell …«

      »Wie weit seid ihr gekommen?«

      »Wir waren schon mehrere Tage auf freiem Fuß, wenn ich mich richtig erinnere«, erwiderte sie. »Dann legten wir uns schlafen, irgendwo hier in der Nähe. Dort fanden sie uns. Vielleicht hatten wir Spuren hinterlassen oder irgendwer hat uns verpfiffen. Ich weiß es nicht, aber sie fanden uns eben. Mich hielten sie zuerst fest.« Ihre Unterlippe bebte erneut. »Als Sawyer einen von ihnen trat, waren sie abgelenkt, sodass ich mich losreißen konnte und …«

      »Und was?«

      »Er meinte, ich solle weglaufen.« Plötzlich fuhr sie von ihrem Stuhl hoch und wandte sich ab, wobei sie ihr Gleichgewicht mit dem unversehrten Bein hielt. »Sawyer schrie mich an, damit ich losrannte. Das wollte ich aber nicht. Eine Mutter sollte …«

      »Du bist aber gerannt.«

      Sie hatte ihm zwar den Rücken zugedreht, doch Battle sah ihren Kopf – einen Schattenriss vor der hochsteigenden Sonne – auf und nieder gehen. Ihre Schultern zitterten, sie schluchzte.

      Battle erhob sich langsam und trat näher. Ihm war, als ob er nicht Herr seiner eigenen Hände sei, als er sie ausstreckte und an Lolas schlotternde Oberarme legte. Sie zuckte, als er sie anfasste, wandte sich ihm aber zu und schlang ihre Arme um ihn. Er erstarrte kurz, bevor er sie an sich zog und festhielt.

      Mit den Fingern an ihrem Rücken konnte er die Rippen zählen. Sie war nur noch Haut und Knochen. Seit dem Ausbruch der Epidemie hatte Lola gelitten. Battle bekam ein schlechtes Gewissen, weil er sich relativ glücklich schätzen durfte.

      Sie entzog sich, indem sie gegen seine Arme drückte und zurücktrat. »Ich ging wieder zurück, um ihn mitzunehmen. Sie waren zu fünft, einer von ihnen auf einem Pferd, an dem sie Sawyer festgebunden hatten, die anderen zu Fuß.«

      »Er lebt also noch.«

      »Ich glaube schon«, antwortete sie. »Ich konnte ihnen nicht lange unbemerkt nachstellen, sondern wurde bald entdeckt. Der Reiter befahl den anderen, mich zu schnappen. Er rief ihnen hinterher, sie dürften nicht ohne mich in die Wohngemeinschaft zurückkehren.«

      »Und sie haben dich bis hierher gejagt?«

      »Ja, ich hatte etwa fünf Minuten Vorsprung. Gelaufen bin ich vielleicht eine