In Zentraltexas gab es riesige Erdgasbestände, die einen Großteil der achtundfünfzigtausend Meilen langen Pipelines speisten, die durch den Staat verliefen. Im Gegensatz zu vielen Grundbesitzern hatte Marcus sein Mineralgewinnungsrecht beim Kauf des Geländes behalten. Deshalb verdiente er jetzt an allem mit, was man auf seinem Land fand: Öl, Gas oder beides.
Der Spekulant hatte Marcus' beharrlichen Wunsch, die praktisch unerschöpfliche Naturgasquelle kostenlos und uneingeschränkt mitzubenutzen, liebend gern erfüllt, statt dauerhaft Zahlungen für den Fund leisten zu müssen.
Dank dieses Sachleistungsabkommens strömte das Gas ungehindert aus seinen Lagerstätten in eine nahegelegene Aufbereitungsanlage, wo ihm Schwefel, Helium und Wasser entzogen wurden, was es zu Trockengas machte. Die besagte Sammelleitung, die einen wesentlich kleineren Durchmesser hatte, führte den reinen Brennstoff auf kürzestem Weg zurück zum Anwesen der Battles.
Sylvia hatte Marcus gestanden, dass ihr diese Einigung nicht ganz geheuer war. Der Gedanke an Gaseinschlüsse auf ihrem Land und die damit zusammenhängenden Gerätschaften über der Erde bereitete ihr Unbehagen. Dass ihr Ehemann die vierstellige Vergütung ablehnte, die ihnen monatlich zugestanden hätte, fand sie merkwürdig.
Marcus verlangte Weitblick von seiner Frau: Mit dem Erdgas und den Solarzellen auf den Dächern waren sie unabhängig vom Stromnetz. Darum mussten sie keine Nebenkosten zahlen, und sollte es hart auf hart kommen, ging ihr Leben weiter, als sei nichts geschehen. So zumindest legte er es sich zurecht.
Nun betrat Marcus die Vorterrasse und öffnete die Haustür. Wesson kam gelaufen und klammerte sich an sein Bein.
»Ist es fertig?« Er schaute mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf.
»Ja«, antwortete sein Vater. »Bis du aufs College gehst, kannst du in der Festung spielen.«
Mit vielen Dingen, die Marcus sagte, behielt er recht. Doch die Behauptung, sein Sohn werde einmal aufs College gehen, sollte nicht dazugehören.
Kapitel 3
13. Oktober 2037, 2:14 Uhr – Jahr 5 nach dem Ausbruch – östlich von Rising Star, Texas
Battle konnte seine Augen nicht von der Frau abwenden, die sich gerade eine dampfende Schale vors Gesicht hielt und heißen Brei daraus schlürfte. Sie hatte gebadet und trug ein ausgebleichtes T-Shirt mit dem Logo der Christlichen Universität Texas, das ihr zu groß war. Man erkannte die lilafarbene Krötenechse kaum mehr. Die kurze Hose gehörte auch ihm, und sie hatte sie mit der Kordel so fest zugezogen wie möglich. Ein gekonnt gewickelter Elastikverband umschloss nun ihren geröteten, angeschwollenen Knöchel.
Ihre noch nassen Haare waren rotbraun, wie er erst jetzt sah, ohne den ganzen Dreck, der sich auf ihrer Flucht angesammelt hatte. Ihr Gesicht war eingefallen und ihr Blick traurig, doch sie strahlte eine gewisse Schönheit aus. Die Falten auf ihrer Stirn und den Schläfen zeugten von Strapazen, was sie widersinnigerweise zugleich verletzlich und zäh wirken ließ, so wie es Battle zuletzt vor langer Zeit in Aleppo gesehen hatte.
Er verdrängte die Erinnerung an das Schlachtfeld und bot ihr mehr Milch an. Sie nickte, ohne den Brei abzusetzen.
»Iss und trink besser nicht zu hastig«, riet er ihr. »In ein paar Tagen musst du von hier verschwinden, und ich will, dass du dann gesund bist.«
Sie nahm die Schale herunter und trank einen Schluck Milch, bevor sie sich den Mund mit dem Handrücken abwischte. »Woher hast du das alles? Meine letzte Milch habe ich vor dem Ausbruch der Seuche getrunken.«
»Ist nur Milchpulver. Ich bewahre es vakuumverpackt in einem Behälter auf und rühre es mit Wasser an, wenn ich es brauche. Es ist noch genießbar, aber eigentlich hätte ich es schon vor ein paar Jahren wegwerfen sollen.«
Sie stockte mit dem Glas am Mund und stellte es ab. »Vielleicht trinke ich besser nur Wasser.«
Er zuckte mit den Achseln und schaute auf die Milch. »Ich bin nicht krank davon geworden. Hat nur einen seltsamen Nachgeschmack, sonst nichts.«
Da trank sie noch einen Schluck. »Danke.«
»Nichts zu danken, keine große Sache. Wie gesagt, du kannst nicht lange bei mir bleiben.«
»Wenn du meinst.«
Battle ging wieder zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Quellwasser heraus. Er schraubte den Deckel ab und trank daraus. »Ich weiß noch nicht, wie du heißt.«
Sie fuhr mit einem Finger durch die Schale und leckte ihn ab. »Lola.«
»Lola, so so. Ich heiße Battle.«
Sie zog ihre Augenbrauen zusammen, wodurch die Falten auf ihrer Stirn noch tiefer wurden. »Battle?«
»Ja. Wer waren diese Männer?«
Sie strich weiter mit einem Finger in der Schale herum und mied seinen Blick. »Mitglieder des Kartells.«
»Welches Kartell?« Battle nahm noch einen Schluck und lehnte sich an die Theke.
Sie war ohnehin recht blass, doch jetzt wich der letzte Rest Farbe aus ihrem Gesicht. Während sie langsam antwortete, wirkte jedes ihrer Worte wohlüberlegt. »Du kennst das Kartell nicht? Du hast wirklich keine Ahnung davon?«
»Nein.«
»Wie kann das sein?«, staunte sie. »Das Kartell kontrolliert alles in der Region.«
»Was meinst du mit alles?«
»Alles eben«, betonte sie und hob den Kopf, um ihm in die Augen zu schauen. »Die Wasser- und Gasversorgung, den wenigen Strom, der uns geblieben ist. Sie bestimmen, wer Nahrung geliefert bekommt und wohin man auf den Straßen fahren darf.«
Battle betrachtete sie genau, erkannte die Besorgnis in ihren Augen und sah, dass ihre Unterlippe kaum merklich zitterte. »Nie davon gehört.«
»Und woher hast du das alles dann?«, fragte sie, indem sie mit den Händen herumzeigte. »Strom, fließendes Wasser, kalte Milch und heiße Suppe?«
Battle durchdachte einige der unendlich vielen möglichen Antworten, bevor er die einfachste wählte: »Ich hab's einfach.«
»Und sie erlauben es dir?«
»Niemand erlaubt mir irgendetwas.«
»Seit das Elend losging, sind fünf Jahre vergangen«, sagte Lola. »Warum haben sie dir nichts von alledem genommen? Wie kannst du sie nicht kennen, und wieso wissen sie nichts von dir? Unmöglich, dass ich der erste Mensch bin, der hierhergekommen ist.«
»Du bist die Einzige, die noch lebt und davon erzählen könnte … außer dem Typen, der heute Nacht entwischte.«
Sie richtete sich im Sitzen auf und zog ihren Oberkörper von der Kücheninsel zurück. »Also tötest du jeden.«
»Richtig.«
»Wa–«
Battle hielt sich einen Zeigefinger an den Mund. Er musste überlegen.
Es handelte sich nicht um irgendwelche dahergelaufenen Plünderer oder Strolche, das musste eine organisierte Bande mit Anführern sein. Dass ihn dieses Kartell bislang nicht entdeckt hatte, grenzte an ein Wunder, doch das war jetzt vorbei. Der Mann, der die Flucht ergriffen hatte, würde mit Verstärkung zurückkehren.
»Wa–«, hob Lola wieder an, doch er unterbrach sie erneut.
Battle blieb nicht viel Zeit. Er musste von Lola so viel wie möglich erfahren: Wer war sie? Wie hatte sie sich mit dem Kartell angelegt und entkommen können? Was wusste sie über die Männer, die er erschossen hatte, und denjenigen, der geflohen war? Ihrer beider Überleben hing von jeder verwertbaren Information ab.
»Sie kommen wieder«, sagte er. »Sie werden uns töten, wenn du mir nicht alles sagst, was du über sie weißt – und ich