Leibnitz' Monadologie. Freiherr von Gottfried Wilhelm Leibniz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Freiherr von Gottfried Wilhelm Leibniz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116385
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Sinne die Fähigkeit des Vorstellens und Begehrens zukommt, so sind alle einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden Seelen. Allein da Empfindung schon etwas mehr ist, als eine bloße Perception schlechtweg, so bin ich der Meinung, für diejenigen einfachen Substanzen, welchen nur die letztere zukommt, reiche der Name: Monade oder Entelechie hin, und die Bezeichnung: Seele (âme) solle für diejenigen vorbehalten werden, deren Vorstellungen deutlicher und vom Erinnerungsvermögen begleitet sind.

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      Denn an uns selbst lernen wir durch die Erfahrung Zustände kennen, in welchen uns weder eine gehörige Erinnerung, noch irgend eine deutliche Vorstellung zu Gebot steht. Dergleichen sind Schwäche, Ohnmacht, oder ein tiefer traumloser Schlaf, der uns gefangen hält. In diesen und ähnlichen Lagen unterscheidet sich die Seele nicht merklich von einer bloßen Monade, und steht nur insofern höher denn diese, als jene Zustände bei ihr von keiner Dauer sind, sondern sie sich durch eigene Kraft aus denselben emporzuraffen vermag.

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      Hieraus folgt indeß ganz und gar nicht, daß die einfache Substanz, selbst so lange sie in diesen Zuständen befangen ist, jemals ohne Vorstellungen sei. Sie kann es nicht sein, schon aus den früher angegebenen Gründen nicht; denn sie kann weder zu Grunde gehen noch fortbestehen, ohne daß sie dadurch irgendwie afficirt würde, und eben diese Affection ist schon eine Vorstellung in ihr. Ist nun eine große Anzahl dergleichen, wenn auch nur schwacher und unbedeutender Vorstellungen zugleich vorhanden und befindet sich unter ihnen keine deutlich bestimmte, so verliert man (wie man zu sagen pflegt) den Kopf, gerade so, als hätte man sich mehrmahl nach einander und beständig nach derselben Seite hin im Kreise gedreht, wo uns dann der Schwindel ergreift, und die Sinne so vergehen, daß wir nichts deutlich unterscheiden. In einen Zustand dieser Art versetzt die thierischen Organismen für eine gewisse Zeit der Tod.

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      Weil ferner jeder gegenwärtige Zustand einer einfachen Substanz nothwendigerweise eine Folge ihrer sämmtlichen vorhergehenden Zustände und die Gegenwart daher (so zu sagen) die schwangere Mutter der Zukunft ist:

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      so ist es offenbar, daß die Seele, die, sobald sie einmal aus der Betäubung wieder erwacht, sogleich Vorstellungen in sich selbst als daseiend wahrnimmt, ihrer auch schon vor diesem Wiedererwachen, obgleich unbewußt, gehabt haben muß. Denn eine Vorstellung kann auf natürlichem Wege nicht anders entstehen, als wieder durch eine Vorstellung, so wie eine Bewegung nicht anders als durch eine andere vorangehende Bewegung dem Gange der Natur gemäß erzeugt werden kann.

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      Hätten wir also nicht Vorstellungen von einem höheren Grade der Deutlichkeit, die gleichsam über die gewöhnlichen Perceptionen hervorragen, so würden wir uns ununterbrochen in einem Zustande der Betäubung befinden. Ein solcher ist aber der Zustand der gemeinen Monade fortwährend.

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      Den Thieren dagegen hat die Natur schon höhere Vorstellungen verliehen, wie wir wenigstens aus der Sorgfalt schließen dürfen, mit der sie ihnen Organe zugetheilt hat, die dazu geeignet sind, theils reichlichere Lichtstrahlen, theils zahlreichere Luftschwingungen aufzunehmen, um durch diese Vereinigung größere Wirkungen hervorzubringen. Aehnlich verhält es sich mit ihrem Geruchs- und Geschmackssinne, mit ihrer Anhänglichkeit und vielleicht noch einer Menge anderer Sinne, die uns alle unbekannt sind. Wie aber die Vorgänge in der Seele jene in den Organen abbilden, werde ich sogleich auseinander setzen.

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      Das Gedächtniß bringt die Seelenthätigkeiten in eine Art regelmäßiger Aufeinanderfolge, die der Vernunft sehr ähnlich sieht, aber von ihr unterschieden werden muß. So sehen wir, daß Thiere, sobald sie eine Vorstellung von Etwas haben, das ihnen auffällt, und wovon sie schon einmal eine ähnliche gehabt haben, auf dasjenige, was damals mit der ähnlichen Vorstellung verknüpft war, aufmerksam und auf diese Weise zu ähnlichen Empfindungen fortgeleitet werden, wie sie damals hatten. Zeigt man z. B. dem Hunde den Stock, so entsinnt er sich der Schmerzen, die er ihm einst verursachte, heult und läuft davon.

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      Die heftige Einbildung, die ihm hier Schrecken einjagt und ihn aufscheucht, kommt entweder von der Stärke oder der Menge der vorhergehenden Vorstellungen. Oft bringt ein einziger starker und lebhafter Eindruck auf einmal die Wirkung einer langgehegten Gewohnheit oder vieler mit geringer Kraft, aber oft wiederholter Vorstellungen hervor.

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      So lange nun die Aufeinanderfolge der Vorstellungen vom Gedächtnisse allein abhängt, handeln die Menschen wie die Thiere, ähnlich den roh empiristischen Aerzten, die ohne Theorie bloße Routine besitzen. In drei Viertheilen unserer Handlungen sind wir reine Erfahrungsmenschen. Behaupten wir z. B. es werde morgen wieder ein Tag sein, so urtheilen wir der Erfahrung nach, weil dies bisher immer so der Fall gewesen. Nur der Astronom fällt dieses Urtheil mit Bewußtsein der vernünftigen Gründe.

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      Was uns von dem gewöhnlichen Thiere unterscheidet, ist allein die Erkenntniß der wirklich nothwendigen und ewigen Wahrheiten. Diese gibt uns Vernunft und Wissen, denn sie erhebt uns zur Erkenntniß Gottes und unser selbst. Diese allein auch nennen wir die vernünftige Seele in uns oder den Geist (esprit).

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      Mittels der Erkenntniß der nothwendigen Wahrheiten und ihrer Abstractionen erheben wir uns endlich zu den Acten des reflectirenden Denkens, zum Gedanken des Ichs und zu der Betrachtung unseres Innern. Auf dem Wege des Nachdenkens über uns selbst gelangen wir dann zum Begriffe des Wesens, der Substanz, des Stofflosen (immatériel) und endlich Gottes selbst, indem wir einsehen lernen, daß was in uns beschränkt vorhanden ist, in ihm ohne Grenzen sei. Und dieses Denken verschafft uns die Hauptgegenstände unsrer weiteren Untersuchungen.

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