Der Bus fuhr ohne uns ab. Was sollten wir vier nun tun? Wir traten die Flucht nach vorne an. »Inter! Inter! Inter!« gröhlend mischten wir uns unter die tobenden Fans. Unterwegs zum Ausgang klaubte ich noch eine italienische Sportzeitung auf und wachelte damit herum, in der Hoffnung, dass wir als Tifosi durchgingen. Keine zwei Meter neben uns bombardierten italienische Chaoten österreichische Autos und Busse mit Pflastersteinen. Vorbei an diesen Schreckensszenen schafften wir es wie durch ein Wunder unversehrt in die Straßenbahn. Nur nicht reden, die Köpfe vertieft in die »Gazzetta dello Sport« und hoffend, dass uns niemand anspricht.
Und dann der Schock: Ein Inter-Fan, an Leibchen, Schal und Fahne unschwer zu erkennen, sprach uns in breitestem Tiroler Dialekt an: »Es seids doch Wiener? I kenn di vom Fernsehen!« Unsere Herzen waren schon längst in den Hosen – tiefer konnten sie nicht rutschen. Das bedeutete wohl das Ende. Doch der Südtiroler war unsere Rettung. Zum Glück hatte niemand mitbekommen, dass er mit uns Deutsch gesprochen hatte. Eine Unterhaltung vortäuschend, übernahm er das Reden in lautstarkem Italienisch, und wir nickten dazu. Unglaublich, aber es funktionierte. Ohne weitere Probleme entkamen wir mit seiner Hilfe dem Chaos.
Die Bilder von Mailand und auch das Gesicht von Halama, der uns sich hinter irgendwelchen Regeln verschanzend feige im Stich gelassen hatte, werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
Zickenkrieg in Spanien
Im November 1956 um sieben am Abend saß ich, damals 9 Jahre alt, mit meinen Eltern beim Abendessen in der Margaretenstraße 97, 2. Stock, Tür 11. Wir hatten Gulasch. Da läutete es an der Tür. Mein Vater öffnete und bat die unerwarteten Gäste herein. Der eine war György Szepesi, das ungarische Reporter-Pendant zu meinem Vater. Der andere kam mir bekannt vor. Nein, konnte nicht sein. Doch, er war’s! Ferenc Puskás, einer der weltbesten Fußballspieler, setzte sich neben mich an den Tisch und aß mit uns Gulasch. Er war nach der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes emigriert und auf dem Weg nach Madrid, um für die »Königlichen« zu spielen. Er erzählte davon, dass er von der FIFA gesperrt worden war und zwei Jahre warten müsste, bis er für Real Madrid aufs Feld laufen dürfte. So lange wollte er aber nicht bei uns bleiben und verabschiedete sich nach einem Bier höflich und zog aus, den spanischen Fußball zu erobern. Puskás gewann dreimal den Europapokal der Landesmeister, wurde mehrere Male Torschützenkönig und Liebling der Fans.
Viele Jahre später traf ich Puskás wieder und wir plauderten über seine Zeit in Spanien. Von den zahlreichen Geschichten, die er erzählte, war eine besonders bemerkenswert. Unangefochtener Platzhirsch bei Real war Alfredo Di Stéfano. Der Argentinier schoss gleich in seiner ersten Saison (1953/54) die meisten Tore und führte das Team nach 21 Jahren des vergeblichen Wartens erneut zum langersehnten Meistertitel. Damit krönte er sich zum König der Königlichen. Di Stéfano war der erfolgreichste Spieler und als Dirigent der Mannschaft begründete er den Mythos des »weißen Balletts«. Und dann, 1958, kam dieser kleine, quirlige Ungar und schoss ein Tor nach dem anderen. Dass Puskás ihm ins Gehege kam, dürfte Di Stéfano einen Zacken aus seiner Krone gebrochen haben. Er ließ den Exil-Ungarn stets spüren, dass die beiden keine Freunde werden würden. Puskás, der keine Lust auf diesen Zickenkrieg hatte, erzählte mir: »Drei Minuten vor Schluss stand es 0:0. Die Fans im ausverkauften Stadion wollten ein Tor sehen. Ich war am Ball und kein Gegenspieler in der Nähe, der mir gefährlich werden konnte. Normalerweise schieß ich in so einer Situation den Ball einfach rein. Ich sah aber, dass rechts hinter mir Di Stéfano mitlief und frei war. Ich habe ihm den Ball zugeschoben und er hat die Kugel versenkt. Von diesem Moment an waren wir Freunde.« Das war natürlich ein taktischer Schachzug, um Frieden einkehren zu lassen. Ferenc war Alfredo überlegen und manipulierte ihn mit dieser Aktion. »Du wirst MICH lieben. Nicht ich dich.«
Von links nach rechts: Raymond Kopa, Ferenc Puskás und Alfredo Di Stéfano
Alkohol am Ball
Profisportler müssen sich gesund ernähren. Zigaretten und Alkohol passen da nicht dazu. Und außerdem haben sie ja eine Vorbildfunktion für die jugendlichen Fans. Nun wissen wir aber, dass sich nicht alle daran halten. Ich war schon in Spielerkabinen, da stand der Rauch wie über der VOEST bei Tiefdruckwetter.
Ich habe mich zu dem Thema einmal mit Max Merkel unterhalten. Max »Zuckerbrot und Peitsche« Merkel war als Trainer berüchtigt für seinen eigenwilligen Umgang mit den Spielern. Einmal ließ er die Mannschaft von Nürnberg beim Training antreten und zum Aufwärmen eine ganz spezielle Kopfübung machen. Sie mussten den Kopf von links nach rechts und von rechts nach links drehen. Er fragte sie, ob sie wüssten, wofür diese Übung gut sei. Keiner wusste die Antwort. »Das macht ihr, wenn euch jemand fragt, ob ihr kicken könnt!«
Ich fragte Max – ich hatte die Ehre, ihn beim Vornamen nennen zu dürfen –, wie seine Meinung zu Alkoholkonsum bei Fußballern war. Max: »Vergiss alles, was die Ärzte sagen. G’sund leben sollt’ ma alle. Und wir tun’s nicht. Und wozu sollen’s dann die Kicker? Pass auf. Ich hab meine Mannschaft gefragt, alle, auch die Ersatzspieler, hab ich gefragt: ›Wer ist Alkoholiker?‹ Die Hälfte hat aufgezeigt. Dann hab ich gefragt: ›Wer ist Antialkoholiker?‹ Hat die andere Hälfte aufgezeigt. Ein paar haben überhaupt nicht aufgezeigt, die haben’s wahrscheinlich nicht gewusst. Dann hab ich sie gegeneinander spielen lassen. Die Alkoholiker gegen die Antialkoholiker. Die Alkoholiker haben 6:0 gewonnen. Hab ich gesagt: ›Saufts weiter, Burschen.‹«
Max Merkel – Vorrat für die erste Halbzeit
Trafuril für Neulinge
Vereine, Verbindungen, Mannschaften, Clubs, Cliquen – ihnen beizutreten bedeutet fast immer, ein Hindernis überwinden zu müssen. Entweder ist eine Einschreibegebühr zu entrichten oder eine Aufnahmeprüfung zu absolvieren. Bei manchen muss man sich einem sogenannten Initiationsritus unterziehen. Dabei geht es darum, dass sich der Anwärter der Vereinigung, der er beitreten möchte, als würdig erweisen muss. Einige dieser Rituale sind mehr als fragwürdig. Schlagende Studentenverbindungen verpassen einem Kandidaten mit dem Degen einen »Schmiss« im Gesicht, damit dieser fürderhin mit einer hübschen Narbe als einer von ihnen durchs Leben geht. Jugendbanden verlangen Mutproben, die von kriminellen Handlungen bis zu lebensgefährlichen Aktionen reichen. Sogar in Fußballklubs müssen sich Neulinge so einiges gefallen lassen. Allerdings auf einem viel harmloseren Niveau. Zu einer beliebten Praktik gehört das »Pastern«. Den Novizen wird der Hintern mit Schuhcreme eingerieben. Ich weiß zwar nicht, welche tiefere Symbolik dahintersteckt. Aber die einen, die »Pasterer«, haben ihren Spaß daran, die anderen, die »Gepasterten«, weniger. So soll es auf einem Trainingslager der Salzburger Austria beim »Pastern« zu Ausschreitungen gekommen sein. Die jungen Neuzugänge wollten partout keine Schuhcreme auf dem Allerwertesten haben und wehrten sich mit Händen und Füßen. Dabei gingen angeblich Toiletten, Türen und Fliesen im Wellnessbereich des Hotels zu Bruch, was zu massiven Beschwerden von Seiten der Direktion führte. Der Schaden wurde vom Verein bezahlt, der Ritus beibehalten.
Auch bei Rapid hatte man eine eigenwillige Vorstellung von Humor. Den Neuen wurde unter irgendeinem Vorwand ein »Geheimmittel«, das man sich ins Gesicht schmieren müsse, angepriesen. Bei dem Mittel handelte es sich um Trafuril, eine damals weitverbreitete Wärmesalbe zur besseren Durchblutung bei Muskelverletzungen. Wer schon jemals ein solches Präparat verwendet hat, kann sich vorstellen, wie sehr das, dick aufgetragen, im Gesicht und in den Augen brennen muss!
Der vergessene Sohn
Der Klagenfurter Gerdi Springer, ein ehemaliger Eishockeyspieler beim KAC, war einer der besten Freunde meines Vaters und mein Taufpate. Onkel Gerdi wechselte vom Eis auf den grünen Rasen und kam 1970 als Trainer zu Rapid. Im »Handgepäck«