Wie die Zweige mit ihren spitzen langen Dornen ineinander gewunden, gebogen, geschlungen sind. Und da ist der kleine, – man sieht ihn zuerst kaum – der blaue, zarte Schmetterling, man nennt ihn Bläuling und in der Schweiz Seelchen, weil er so zart und lieblich ist. – Wie er eingeschlossen ist, dort wo die Zweige sich begegnen und einen dornenbewehrten Ring bilden. Dort noch einmal das Seelchen und dort wieder. – Hier hängt es noch zuletzt. Es ist kaum mehr zu sehen, zerfetzt die feinen Flügel, das schöne wundervolle Blau, das tiefe, freundliche, getrübt.«
Der Fürst folgt ihm mit den Augen.
»Der arme Schmetterling, man wird ihn kaum gewahr in dem Linienreichtum.«
Er braucht nun nicht mehr zu fragen, warum er das ansehen muß, und darf den Mann da vor ihm nicht mehr aufdringlich und taktlos schelten.
»Und das schwarze Band?«
»Ich habe einmal mit der Prinzessin ein Bild angesehen, in einem orbis pictus, den Herr Domänenrat ausgegraben hatte. Es war ein englischer Ritter mit blauweißer Helmzier, der auf seinem Schild einen schwarzen Schrägbalken trug.
Die Prinzessin rief: ›O der Arme! Er hat seine Ehre verloren, und nun will er noch kämpfen, und niemand will seinen Handschuh aufnehmen.‹
Ich weiß nicht, warum ich damals nicht erklärte, was das Zeichen auf einem englischen Wappen – die Bastarde tragen es – bedeutet. Es wäre auch etwas schwierig gewesen. So blieb der Schrägbalken für die Prinzessin das Zeichen verlorener Ehre.
Durchlaucht erinnern sich der Geschichte vom Ehrenwort ...
Da liegt nun der Schrägbalken, es ist nicht ein aufgenähtes Band, wie man meinen könnte, es ist mit unzähligen feinen Stichen hineingenäht.
Jeder Stich hat wohl weh getan.
Und darauf liegt der Rosenkranz.
Weiße Rosen fest aneinander gedrückt, nun ohne Blätter und Dornen zum Kranz gebunden, so wie man ihn als letzten Liebesgruß jemand mitgibt. Der Kranz ist nicht geschlossen, gottlob nicht, eine Handbreit fehlt noch, es hängt noch die Nadel mit ihrem Seidenfaden daran. Das arme Herz hat sich seinen eigenen Totenkranz gewunden.
Sie kann nicht leben ohne den goldenen Schmuck ihrer Ehre – und den hat ihr das Dorngeschlinge, das unbegreiflich verworrene, geraubt. Darüber müssen die Freuden welken, darüber müssen die Blätter von den noch so goldenen Kronen herabfallen.«
Draußen strömt der Regen und schlägt ein hohler, klagender Wind. Der Fürst hat seine Hand aufgestützt und sieht zu den herrlichen Farben auf dem blassen Opalgrunde herab. Die Stimme über ihm, wie sie leise auf ihn eindrang, sie gehört jetzt keinem Fremden, dem er widerwillig ein paar Worte gestattet. – Die Jahre sind zurückgerollt, und der Thorsteiner, der das wunderlich feine Seelchen kennt wie kein anderer, ist ihm wieder einmal beigesprungen in höchster Not. Wie damals, als er ihm das Kind aus dem vereisten Winterwald zurückgebracht hat.–
»Harro, ihr erstes Wort, als ich sie wiedersah, war: Vergib mir. Ich sehe alles, den tiefen Schmerz um das, was sie ihre Ehre nennt, ohne die sie nicht leben will ...«
»Ist ein solches Herz, das so tief empfindet und seine Ehre höher einschätzt als das eigene Leben, überhaupt fähig einer gemeinen grausamen Handlung?« »Unüberlegt – unüberlegt.«
»Das Dorngeschlinge, in dem das arme Seelchen sich gefangen hat. – Wie die Linien, eine jede ist durchgeführt, sich ineinander verweben.« –
»Aber die Bitte um Vergebung?«
»Ist der Totenkranz nicht ein großes Unrecht an Ihnen, Durchlaucht! Sie erhofft nichts mehr von Ihrer Einsicht. Ist das nicht doch mangelndes Vertrauen in die Größe Ihres Herzens? Darf sie denn die Hoffnung aufgeben, daß Ihre Hand einmal das Geschlinge zerreißen werde, wenn es noch so sehr mit Dornen bewehrt ist? Und darüber macht sie sich jetzt Vorwürfe. Sie hat ihren Vater gerufen, ehe der Kranz sich geschlossen hat.«
»Gott, mein Kind, mein Kind! – Ich hätte ihr eine solche Tat zugetraut! Eine Tat phantastischer Herzenskälte. Sie hat es freilich bestritten, doch in so gewundenen Worten, – aber Schmerz über das Unglück, das mich und ihre Mutter betroffen, hat sie nie gezeigt.«
Harro schwieg, über das, was er ahnte, stand ihm nicht zu, ein Wort zu sagen.
Der Fürst seufzte tief. Endlich sagte er: »Und nun, Graf Thorstein, kommen Sie mit mir. Rosmarie wird Ihnen danken wollen. Ich habe es so eingerichtet, daß sie von dem Gespräch hier nichts erfährt, nun wird sie sich doch wundern, wo ich so lange bleibe. Ich lebe ja sonst förmlich in der Riposa.«
»Durchlaucht, darf ich bitten, der Prinzessin meine Grüße zu bringen. Durchlaucht sehen, daß meine Sachen schon gepackt sind. Ich darf meinen Portemanteau nur zuschnallen.«
»Unmöglich! Ich sollte ohne Sie kommen?«
»Ich habe schon, ohne jede Erlaubnis freilich, eines Abends die Prinzessin gesehen. Es stand so schlecht, daß ich es mir nicht denken konnte, daß Sie es mir nicht gestattet hätten. Ich konnte die Prinzessin doch nicht mutterseelenallein unter fremden Menschen lassen, wenn es so stand.« »Nein, Harro. Ich danke Ihnen dafür. Nun bitte ich Sie ja, daß Sie mit mir gehen.«
Aber Harro bleibt unverrückt da stehen, seine beiden Hände an die Rücklehne seines Stuhles geklammert.
»Ich habe damals Abschied genommen. Euer Durchlaucht. Der Riß geht jetzt leichter. Und was hat mir die Prinzeß zu danken – nichts! Ihre Sache hat sie aufs beste selbst geführt.«
»Ein Riß! Ich bitte Sie, wie können Sie von einem Riß reden! Als ob Rosmarie noch einen Riß ertragen könnte! Womit könnte ich Sie denn verletzt haben?«
»Mit nichts. Ich bin stets Eurer Durchlaucht zum herzlichsten Dank für viel Güte und Verständnis verpflichtet. Ja und eben darum. Ich möchte nicht, daß Sie an einem schönen Tage denken, daß ich zu lang geblieben wäre.«
»Aber ich kann nicht ohne Sie kommen, verstehen Sie doch! Ich bin doch bei meiner Tochter etwas schuldig geworden. Sie hat immer noch die alte Kinderfreundschaft für Sie ... Mit nichts kann ich sie so sehr erfreuen.«
Fast naiv ist der Fürst in seinem Drängen. Aber Harro beißt die Zähne zusammen. Geht er jetzt mit, so ist er verloren, an die Braunecker verloren, kann ihnen den Narren machen, den gehorsamen Narren mit der Schellenkappe. Den man herrufen und fortschicken kann. Wir haben dich genug, – wir wollen einen fröhlichen Narren, der mit unsern Kindern spielt und sie erfreut, und du bist ein trauriger Narr geworden.
»Durchlaucht werden gestatten, daß ich mich jetzt verabschiede.«
»Ich begreife Sie einfach nicht.«
So sollst du es deutlicher haben, denkt der Thorsteiner.
»Die Prinzessin ist jetzt kein Kind mehr, und ich kein Spielgefährte für Kinder mehr.«
»Aber ihr Freund sind Sie doch geblieben.«
»Die Prinzessin hat die Güte, mich immer noch so zu nennen –« »Harro, können Sie wirklich in diesem Augenblick etwas erzwingen wollen!«
»Ich will nichts erzwingen, ich will nur jetzt schon etwas tun, was man in Wochen oder Tagen von mir verlangen wird. Und vielleicht nicht mit so viel Güte und Wärme wie jetzt. Und ich traue mir nicht zu, daß ich den Moment errate, wo ich anfange, Eurer Durchlaucht überlästig zu werden.
Ich denke dabei durchaus nicht nur an mich, wie es den Anschein haben könnte, ich denke an die Prinzessin. Sie ist sich in all den Jahren immer gleich geblieben, sie wird sich auch in diesen nächsten Wochen nicht verändern. Sie ist sich selbst so treu.
Und Durchlaucht einen Moment noch –
Wie denken Sie sich den Mann, der neben so viel Freundschaft, Zartgefühl, Verständnis für sein Allerinnerstes stehen kann und ruhig und kalt sich alle Blumen auf seinen einsamen und dornigen