»Herr Graf, ich kann Sie unmöglich in ein Haus holen, in das ich selbst eingedrungen bin. Ich kann es Ihnen freilich auch nicht verwehren, zu kommen.«
»Aber mir ein Zeichen geben, das können Sie. – Ich habe mir das verzauberte Haus angesehen. Es ist eine Veranda da, zwei Löwen liegen auf der Brüstung. Stellen Sie eine Lampe zwischen die Löwen, dann ist höchste Not. – Dann würde der Fürst selbst dringend wünschen, daß ich käme, dann gelten die Konventionen nichts mehr. Wenn die Prinzessin ins Wasser fiele, dürfte ich auch die Ehre haben und sie herausziehen.«
»Warum Sie aber nicht gleich heraufkommen, verstehe ich nicht, – es steht schlimm genug.«
»Ich muß doch noch ein weniges für den Harro Thorstein, mit dem ich doch einmal leben muß, sorgen, und nur im äußersten Notfall werde ich den Braunecker Bannkreis überschreiten.«
Mit diesen etwas rätselhaften Worten sprang der Thorsteiner aus dem Wagen. Sie waren am Eingang.
»Die Lampe, Herr Geheimrat, – von einer Stelle in der Straße kann ich sie sehen. Komme ich nicht, so erretten Sie mich gütigst aus der Hand der einheimischen Polizei, die mich vielleicht wegen nächtlichen Herumstreifens aufgegriffen hat. Ich kann zwar schon schön italienisch fluchen ...« – – –
Der Herr Professor sitzt dem finstern jungen Arzt gegenüber in dem kleinen Wohnzimmer.
»Sie hätten auch den Doktor Aquili holen können –. Wenn der Deutsche nur dazu geholt werden soll, daß er einen gewissen Schein schreibt ... Nun, man ist ja ein kalter Rohling, ein gefühlloser Leichenschneider ... ein Fall ist nur lukrativer als der andere ... Es gibt etwas zum Dabeistehen und Zusehen ...«
»Doktor, warum lästern Sie –«
Da kommt Lisa herein: »Herr Geheimrat, wenn Sie bitte zu Ihrer Durchlaucht kommen wollten.«
Der Herr Professor fühlt nach etwas in seinen vielen Taschen: Ja, es ist da – und folgt dem Mädchen. Die Prinzessin liegt auf einem weiß umhängten Bett starr ausgestreckt. Die seidene Daunendecke verhüllt ihre Gestalt ganz, sie ist bis unter die Arme heraufgezogen. Zu beiden Seiten ihres Gesichtes liegen die langen, schweren, blaßgoldenen Flechten. Sie sieht fast erschreckend vornehm aus. Wie ein Marmorgrabmal mit strengen frühgotischen Linien. Sie rührt sich nicht, nur ihre Augen leben. Die Fenster sind offen ... es weht ein leiser Rosenduft, es sind aber keine Rosen da ...
Sie flüstert: »Sie haben mit dem Doktor gesprochen. Werde ich sterben?«
Welch eine Frage! Und wie entsetzlich schwer, die rechte Antwort zu geben.
»Es steht in Gottes Hand. Aber Sie können auch etwas dazu tun, Prinzessin, daß Ihrem Vater das einzige Kind – das sind Sie doch – erhalten bleibt. Nehmen Sie allen Mut zusammen! Denken Sie an die alten Braunecker! Sie können hier in der stillen Stube ebenso viel Mut und Willenskraft beweisen, wie nur je einer Ihrer Ahnen auf dem Schlachtfeld.«
Was für ein feiner Menschenkenner der Herr Professor ist. Es steigt etwas wie eine leise Röte in das weiße Gesicht ...
»Und Sie wissen ja, was Sie wollen ... Sich nicht mehr an der Liebe versündigen ...«
»Ich bin zu weit gegangen, ich kann nicht mehr zurück. Ich kann ja nicht mehr mit meinem Vater leben ... immer einsam muß ich sein. Meine Mutter wird mich nicht bei ihm dulden.«
»Und Ihre Mutter – kann sie nicht überzeugt werden?«
»Unmöglich – sie wird das Schreckliche von mir glauben, so lange sie es glauben will ...«
»Sie sagen selbst – so lange sie es glauben will! Wenn Sie aber Ihre Mutter durch Ihre Güte überwinden können. Es ist wohl ein langer mühseliger Weg. Vielleicht ist es nach Jerusalem, auf schlechten, vollgepfropften Schiffen, durch glühenden Wüstensand und durch Sarazenenpfeile und Durst und nagendes Heimweh nach grünen Waldbergen – ein leichterer Weg. Nur an die großen Seelen kommen die großen und schweren Dinge.«
Rosmarie sagt: »Ich möchte Harro noch ein einziges Mal sehen. Wenn ich meinen Eltern in allem zu Willen sein werde, darf ich es nicht mehr. Und nun habe ich ihn doch gerufen.«
»Den Grafen Thorstein ... Wie wußten Sie?«
»Ich sah ihn bei Ihnen stehen unter der Zypresse.«
»Sie konnten ihn gesehen haben, Prinzessin ... Er wollte nicht heraufkommen.«
»Ich weiß es. Er denkt an meinen Vater, und daß der sagen würde: Taktlos. Und er fürchtet sich vor mir. Und meinen Brief hat er noch nicht bekommen.«
Der Doktor erscheint wieder mit einem Kelchglas in der Hand. Rosmarie erschrickt. »Muß das sein?«
»Ja, Durchlaucht.«
Und sie trinkt ein wenig, und dann werden ihre Augen starr und groß, und ihre Hand greift nach der des Mädchens.
»Doktor, bitte, kommen Sie,« ruft der Herr Professor.
»Hier, ich habe das schon erwartet. Ich muß eine Einspritzung machen.«
»Einen Augenblick, Doktor, wenn Sie noch warten wollten.«
Und der Professor trägt die Lampe aus dem Wohnzimmer auf die Veranda.
»Was machen Sie denn da, Herr Professor, ich brauche doch Licht.«
»Doktor, die Prinzessin hat einen Freund hier, auf den sie wartet. Ich versprach ihm das Zeichen zu geben, ehe Sie die Einspritzung machen. Er meinte, wenn die Prinzessin ihn sähe, werde das ebenso stark wirken. Um Gottes willen, wo ist denn eigentlich das englische Frauenzimmer?«
»Oben in ihrem Zimmer – sie sei gleich hinaufgegangen, ohne auf die Reden des Mädchens zu achten. Ich habe einen unglaublichen Radau oben gemacht, um sie herbeizubringen. Umsonst. Entweder muß sie taub sein oder ...?«
»Dann wird sie freilich nicht viel nützen ... Eine peinliche, eine sehr peinliche Sache, Doktor!«
»Wo haben Sie den geheimnisvollen Freund? Ohne Einspritzung kommen wir doch nicht über die Nacht hinweg ... aber wir können es auch mit dem Freund versuchen. Wir sind nicht in der Lage, uns irgend eine Chance entgehen zu lassen.«
An der Tür stand der lange Thorsteiner.
»Graf Thorstein.«
»Doktor Vogt ...«
»Kann ich Ihre Durchlaucht sprechen?«
»Bitte, kommen Sie!«
Einen Augenblick bleibt der Thorsteiner an der Schlafzimmertüre stehen wie ein Pfahl, und dann – nein, du finsterer Doktor, es geschieht nicht, was du erwartest.
Nein. Der Thorsteiner nimmt sanft die arme Hand und legt sie wieder hin.
»So krank bist du, armes Seelchen?«
Sie hat ihre großen sanften Augen auf ihn gerichtet und versucht ein Lächeln: »Oh, wie froh bin ich, daß du da bist, Harro. Ich danke dir, daß du mir das schöne Werk zu Weihnachten geschenkt hast. – Ich freute mich sehr. Am schönsten ist die würdevolle Gans, die vorderste.«
»Wenn es dir nur Freude gemacht hat. Es dürfte mir besser geraten sein. Du lobst auch die Gänse mehr als die Prinzessin.«
Wie gute alte Freunde reden sie, die sich vor wenigen Tagen getrennt haben, und zwischen denen alles so klar wie möglich ist.
»Und du willst für mich mit meinem Vater reden! Du wirst meinen Brief bekommen, und ich habe es auch alles in meine Decke gestickt. Sie muß neben meinem Stuhle liegen. Sie ist nun freilich nicht ganz fertig geworden. Sie gehört dir, die Decke. Aber leider, ein Weihnachtsgeschenk ist sie nicht. Ich hatte dir nichts diesmal, es hat mir recht weh getan.«