Harro kniet vor ihr, alle Ermahnungen der Schwester hat er vergessen. Seine beiden Ellbogen liegen auf der Bettkante, und er stützt seinen Kopf auf und sieht sie an. Ihr fremdschönes Antlitz, ihre Stirn, auf der wieder das geheimnisvolle Licht liegt wie in jener Nacht, als sein Sohn geboren wurde. So sehen sie aus, die Stirnen, die der Todesengel gestreift hat mit seinen langen, dunkeln Schwingen, denkt er.
In sein Herz brennt sich das ein. Sein Erlebnis im Bergfried, er muß es ihr sagen. »Rosmarie, ich habe Gott im Himmel um dich angefleht. Alle sieben Schleier habe ich zerrissen. Und er hat mich gehört. Er neigte sich zu mir. Von seiner ungeheuren Höhe, von seiner Sonnen- und Sternenhöhe herab. Zu mir. Ich taste an mir herum, ich kann es immer noch nicht fassen. Zu mir. So ein Staub, so ein Wurm. Schon einmal hat er mir geantwortet, als ich ihn suchte in der Nacht, in der ich wußte, daß du mir gehören würdest. Und dann hab ich doch mir selbst nicht glauben wollen. Du warst ein verliebter, überseliger Narr bei Palmen und Meerleuchten in Sternenpracht. Was willst du nicht alles gefühlt haben! So habe ich mich verspottet und mein Herz hart gemacht!«
»Ich sah dich, Harro, bei der Pinie standest du und strecktest die Arme in die Höhe.«
»Du sahst mich? Ja. bei der Pinie.«
»Und ich dachte, er redet mit Gott. Und dankt ihm.«
»O Seele, o Seele ... Ich muß wieder weinen ... Nein, laß mich ... es muß so viel wegschwemmen.«
Ihre großen Augen strahlen. Nein, sie wird nicht ohne ihn in den himmlischen Garten kommen. Ihre Geheimnisse blühen aus ihr auf.
Draußen fliegt ein lichter Schein empor, und all die Vogelstimmen glänzen hell auf. Nie wird Harro ihre halbwachen Töne an jenem Morgen vergessen.
»Ich weiß ja nun nicht, was ich tue, Rosmarie. Mein Leben muß ich doch ändern. Was ich erlebt habe, das verpflichtet.«
Rosmarie lächelt ein ganz klein wenig. »Ach Harro, dein Leben ändern! Gott muß doch alle Tage eine Freude gehabt haben, wenn er dich gesehen hat. Was willst du ändern! So gut gegen mich und den Heinz, so treu. Und deine Kunst. Hast du denn je etwas gemacht, was Gottes Augen nicht sehen dürften?«
Harro stützt den Kopf auf seine Hand und sinnt. »Doch. Rosmarie, muß etwas anders werden, im tiefsten Grund anders. Es wird schon einen Kampf geben. Wenn man sich selbst so lange hart gehämmert hat.«
»Hart, Harro! Warst du je hart gegen mich?«
»So lieb, daß du das sagst, so lieb. Gegen dich habe ich es ja auch nicht sein wollen, und bin's doch gewiß oft gewesen!«
»Nie, Harro, nie. Nicht ein einziges Mal, nie. Ich weiß von nichts. Meinst du, Gott habe nicht gesehen, was du aus dem armen, halberfrorenen Seelchen gemacht hast? Und jetzt: Wenn ich auch so daliege wie ein ausgestoßener Vogel, meinst du, ich könnte deshalb nicht doch glücklich sein. Durch dich, Harro, glücklich! Selig bin ich.«
»O Rosmarie, kannst du trösten! Du kannst trösten,« flüstert er, und seine Augen werden naß.
»Kann ich trösten? Wir lassen uns unser Glück nicht nehmen. Wir haben jetzt etwas, das ewig ist. Wir halten unser goldenes Band fest, mit dem unser Herz an Gott gebunden ist.«
Und sie schwiegen und sahen in den aufleuchtenden Morgen.
Achtunddreißigstes Kapitel.
Der Herr Professor
Schwere düstere Tage, herabstürzender Regen, im Goldhaus lastende Stille. Niemand darf die junge Herrin sehen. Der falkenäugige Professor ist mit dem Auto davongerast und hat seinen Assistenzarzt und eine blasse Schwester dagelassen. Er wird aber wiederkommen, und ehe er da war, soll niemand zu Rosmarie hereingelassen werden.
Und Harro wandert in seinem Goldhause herum und geht ins Atelier, wo Heinz den Tag über installiert ist, und steht am Bogenfenster des oberen Stocks, wo man am weitesten über die Wälder hinweg sieht und den Reihern in ihre Baumruinen hinein, in denen sie wohnen. Weiter geht er nicht, denn dort wendet sich der Gang zu seinem Festsaal. Sein Festsaal! Seit Märt da oben rein gemacht und die Spuren von des Doktors Arbeit entfernt hat, geht er wie ein Verstörter herum. Spricht laut mit sich selbst in rauhen Lauten, die kein Mensch versteht, und bleibt plötzlich, wo er geht oder was er gerade tun mag, stehen wie ein steinernes Bild, bis er auffährt wie aus tiefstem Traume.
Und Harro ist es, als wohne er in einem Hause, das man der Fenster beraubt hat, durch das alle Stürme des Himmels hindurchrasen können, und das auch nicht die kleinste Ecke bietet, darin man sich bergen könnte.
Nach Tagen erscheint der Professor wieder, und nachdem er Rosmarie gesehen, kommt er mit einem seltsam weißen Schleier über seinen Falkenaugen zu Harro und sagt:
»Gehen Sie nun zu Ihrer Frau hinein, ich hätte es Ihnen schon früher auf einige Minuten gestatten können, aber diese kurzen nichtssagenden Besuche erregen oft mehr. Nun können Sie schon ein wenig bleiben.«
Harro fragt schwer atmend: »Und Sie sind zufrieden?«
»So sehr als möglich; freilich, es wird Ihnen vorkommen, als ob keine Besserung eingetreten sei. Es war ein furchtbarer Eingriff, und niemals hätte ich es gewagt, wenn ich gewußt hätte, was ich nun weiß. Niemals. Es war auf einer Nadelspitze. Nach diesem ist ja alles verhältnismäßig befriedigend. Eine längere Schonzeit wird Ihre Durchlaucht freilich haben müssen. Aber ich hoffe, wenn alles so bleibt bis zum Herbst, daß Ihre Durchlaucht doch wieder die frühere Frische erreicht haben wird. Ich darf allerdings nicht verschweigen, daß auch Komplikationen eintreten können.«
»Gewiß, gewiß,« murmelt Harro, und versucht das stürmische Glücksgefühl zu dämpfen, das seine Brust bedrängt.
Dann geht er zu Rosmarie. Aber sie schläft, und man dürfe sie nicht wecken. So würde er jetzt wohl öfters vor geschlossenen Türen stehen und sich daran gewöhnen müssen.
Da fuhr eben sein Schwiegervater in den Hof. Er ging ihm entgegen. »Harro!« Er mußte über sein Aussehen erschrocken sein. »Es steht gut, Vater,« sagte er so hoffnungsvoll als möglich, »nur ich bin etwas herunter.« Der Fürst sprang ab von dem hohen Kutschbock und zog aus dem Wagen einen großen in Seidenpapier gewickelten Strauß.
»Es sind japanische Lilien. Ich habe sie Rosmarie mitgebracht. Ich wußte sonst nichts, was sie freuen würde.« Harro nahm die Blumen.
»Oh, sie wird sich sehr freuen,« sagte er mechanisch. Sie gingen hinein.
»Ich komme spät, Harro, aber Charlotte hat mir Sorge gemacht. Sie war von Anfang an schon sehr von unserem Unglück angegriffen, obgleich sie es nicht Wort haben wollte, und ist heute in einem Zustand, der mich erschreckt. Diese taktlosen Menschen, der Amtsrichter und die Kommission, haben sich mit ihren einfältigen Fragen sogar an den alten Christian gemacht. Den alten Christian, der lieber selber vor jeden Flintenlauf hinstände, als daß er meiner Tochter etwas geschehen ließe! Die Sache hat ihn dann selbst so erregt, daß er Weinkrämpfe bekam. Die treue Seele! Ich bin bei ihm gewesen, habe ihn aber auch nicht trösten können. Er schluchzt immer wieder: ›Die Prinzessin‹. Und die Unnot dabei! Und sie haben ja jetzt den Menschen. Und die Waffe. Harro, du siehst erschreckend aus. Du darfst dich jetzt nicht unterkriegen lassen! Denke, wie Rosmarie sich ängstigen würde.«
»Der Mensch,« sagte Harro, »der Mensch!« und seine Arme bebten. Sein Schwiegervater mußte ihn auf das Sofa führen. Dort legte er ihn hin, schob ihm Rosmaries Seidenkissen unter den Kopf und deckte ihn liebevoll mit Rosmaries Decke zu. Dann setzte er sich neben ihn hin. Gebückt und grau. Von hinten sah er wie ein alter Mann aus.
»Der Mensch?«