Aber der Fürst hat sie mit kurzen Worten abgewiesen.
»Die Berliner Luft taugt nicht für jedermann. Und Mama muß endlich lernen, das Leben einer Braunecker Fürstin zu führen.«
Rosmarie wagt nichts mehr zu sagen. – –
Am ersten März fliegt wie ein helles Segel die weißblaue Fahne an dem Braunecker Flaggenmast empor. Rosmarie sieht sie wehen, als sie mit ihrem Mann durch den verlorenen Grund zu dem grünen Tor geht. Ihre scharfen Augen haben sie im Sonnenschein und milden Märzenhauch entdeckt.
»Ach Harro, sieh doch ... Vater ist da!«
Sie deutet hinüber, und ein leiser, bänglicher Schauder zieht über ihr junges Herz. Auch Harro blickt hinüber zu dem kleinen Farbenfleck. Und auch ihm will ein kühles Lüftchen die breite Brust berühren. Sie gehen langsam ihren moosgrünen Weg entlang. Da träufelt süß und silberzackig durch die Luft heran das erste Drossellied. Oben auf der letzten Tanne sitzt sie und singt, als wolle sie ihr kleines Herz ausschütten vor Jubel. Und sie fassen sich bei den Händen, und Harro legt sanft seinen Arm um ihre Schultern, und so geht sie dahin in der treuesten Hut.
Aus ihren sanften Augen schaut die zweite Seele, die in ihr wohnt, heraus. Sie schreitet, wie Königinnen schreiten, die die Hoffnungen vieler Menschen in ihrem gesegneten Leibe tragen. Und die Drossel jubelt über ihnen. An diesem Abend fragt Harro sie zum ersten Male:
»Fürchtest du dich, Seele?«
Sie sieht ihn groß und erstaunt an.
»Warum sollte ich denn? Es ging mir ja heute ein leichter Schatten über mein Herz, als ob es vielleicht doch nicht so leicht sein möchte, wenn das neue Leben kommt. Aber es müssen ja alle Menschen durch die gleiche Pforte hindurch, dann wird es doch nicht so schlimm sein. Und du wirst ja bei mir sein, Harro.«
»Wo sollte ich denn anders sein?«
»Sie werden dich fortschicken wollen. Ich habe gehört, sie machten es so.«
»Wer spricht dir unnötig von solchen Dingen,« brauste Harro auf.
»Die Försterin sagte mir, ihr Mann gehe immer in den Wald. Aber du bleibst doch in der Nähe. Bedenke die sehr kluge Dame, von der der Vater die Photographie schickte! Wie werde ich mich vor ihr grauen. Sie sieht so überlegen aus und hat studiert, wie wird sie auf mich herabsehen!«
Aber Harro lacht sie aus und tröstet sie und freut sich, daß er sie so schön vor aller Altweiberweisheit und Furchtmacherei behütet.
Rosmarie sitzt vormittags in seinem Atelier und sieht ihm zu, wie er an dem Brunnen für seine Empfangshalle arbeitet. Denn der Brunnensockel war bis jetzt noch leer geblieben. Eine Reihe fröhlicher vier- bis sechsjähriger Knaben- und Mädchengestalten, durchaus keine Putten, sondern langgestreckte Kinderleiber mit Thorsteiner Köpfen stehen um eine Schale, in der sich allerhand Getier tummelt, Schildkröten, große Frösche. In all den Gesichtern hellste Kinderfreude. Aufgestülpte runde Ärmchen liegen auf der Schale, ein kleiner Kerl greift nach dem dünnen Wasserstrahl mit offenem Mund, eines sitzt auf dem Schalenrand und sieht mit feinem, nachdenklich verträumten Gesicht auf die Wasserfläche.
Rosmarie hat die innigste Freude an dem Kunstwerk. Sie hat all die Kinder herausgesucht, ihre Scheu überwunden, sie heimisch im Atelier gemacht, sie an die leichten, wollenen Achselschlußröckchen gewöhnt und an Wasser und Seife, nicht nur für das Dreieck Augen, Nase und Mund. Eine höchst mühselige Sache war es gewesen, und nur ihre Geduld und nicht zum wenigsten die blanke Mark, die jedes Kind von jeder Schokoladevisite mit nach Hause brachte, hatte zum endlichen Gelingen geführt. Das Atelier war eine große Kinderstube gewesen, in der des Hausherrn langer Arm oft genug zwei kleine Sünder auseinander riß, und in der alle möglichen Wünsche laut wurden.
Kein Kind hatte nur einen Moment stillhalten müssen. Harros flache Badewanne war gefüllt auf eine feste Unterlage gestellt worden, jedes der Kinder bekam irgend ein Wasserspielzeug, Magnetschiffchen oder auch nur ein Stück Holz, und die Wonne an dem Spiel war unerschöpflich gewesen. Da hatten sich all die köstlichen Gruppen von selbst gebildet, und Harro hatte wie ein Jäger auf dem Anstand gelegen. Es sind ja mit aller Mühe aus Kindern nur gequält ruhige Modelle zu bekommen. So hatte er nach ihnen gezeichnet und modelliert, bis ihm alle Stellungen so geläufig waren, auch das, was jedem Alter und Geschlecht und der kleinen Individualität selbst eigen war. Es hatte Monate gewährt, bis nur die Vorarbeiten gemacht waren. Und dann war die Arbeit selbst sehr schnell vor sich gegangen. Jetzt arbeitete er nur noch an dem Ornament der Schale, und in dem Atelier, das so gar kein Prunkstück enthielt, herrschte ein Gottesfriede. Auch keine Bilder. Harro liebte es nicht, sich mit seinen Bildern zu umgeben. Entweder, sie genügten ihm nicht mehr und er entdeckte Fehler an ihnen, die ihn aufregten, oder sie reizten ihn durch irgend welche Vorzüge, die er nicht mehr zu erreichen fürchtete.
So war denn das Atelier nur ein ruhiger Arbeitsraum, dem Rosmaries Stuhl und ihr kleiner Teppich und Arbeitskorb ein warmes Leben verlieh.
Heute saß sie in ihrem weißen wallenden Wollkleide da, zum ersten Male ein wenig blaß und müde und ihrem Spitzenhäubchen nur ein laues Interesse zuwendend. Draußen stürmte es, und der Wind trieb dunkle, schwere Wolkensäcke vor sich hin, die zuweilen einen weißen Schauer fallen ließen. Im Garten schauten schon die Leberblümchen zwischen ihren dunkeln Blättern heraus. Märzenbecher heißen sie in Thorstein. Harros Augen folgen den ihrigen, als ein pfeilschneller Sonnenschein ihre Farben aufleuchten läßt.
»Die schönsten hast du nicht, Rosmarie. Die sollen auf der Westseite von Schloß Schweigen wachsen in dem zerzausten Birkenwäldchen, sie sollen das tiefste Blau haben.«
»Vielleicht hat die Fee sie dort gepflanzt, und von ihren Augen, wie sie darüber sah, sind sie so blau geworden.«
»Rosmarie, du wirst einmal deinen Kindern schöne Geschichten erzählen können. Für Atelierzwecke waren deine Geschichten ja zu gut, sie versteinten zu sehr und durchaus nicht in der gewünschten Stellung. Aber hier einmal Geschichten erzählen einem Häufchen Mädchen und Buben, die Gisela als Älteste in der Mitte!«
Es ist bei ihnen ausgemacht, um des Fürsten gar zu sehnsüchtige Erwartung eines Sohnes etwas in Schranken zu halten, daß das Erwartete ein Mädchen sein werde.
»Ein Glück,« philosophiert Harro weiter, »daß die Gottheit sich dieses Reservatrecht vorbehalten hat. Welch Unglück würden wir Menschen anrichten! Auf einmal wären keine Mädchen da, die die Jungen heiraten könnten. Und im ganzen soll es immer genau stimmen, etwas mehr Söhne, weil sie zarter sind und das Leben härtere Anforderungen an sie stellt. Und welch eine äußerst komplizierte Buchführung muß in der himmlischen Kanzlei, die dies Ressort besorgt, getrieben werden. Und dabei wird durchaus nicht schematisch verfahren. Nach dem siebziger Krieg wurden sehr viel mehr Knaben geboren, und als die männerverschlingende Zeit der Renaissance auf ihrer Höhe war, sollen in Florenz siebenhundert Knaben mehr als Mädchen getauft worden sein. Und zwanzig Jahre vorgesorgt muß auch noch werden. Himmel, was umgeben uns Mysterien, und welche superklugen Weisheitskrämer gibt's, und was für ein Wortgemüse haben sie hervorgebracht. Gütige Mutter Natur zum Beispiel, dies kribbelt mich, wenn ich es lese. Und er klingt so deutsch, der Unsinn.«
Rosmarie lächelte. »Wenn ich ihr nachkomme, ist sie immer gütig.«
Sie nahm aus einer Schale eine warmviolette Küchenschelle. »Sieh, Harro, ein wundervoll feines Pelzchen hat der Stiel an, bis zum Gesicht geht's. Weil es gar so früh hinaus möchte in den Sonnenschein, so soll ihm der wilde Märzenwind nicht weh tun. Und denke an meine Lieblinge, die Zugvögel, wie sie die lockt und ihnen die Flügel stärkt und sie bei den Sternen über Länder und Meere führt. Und ihnen das Heimweh ins Herz gibt, daß sie, wenn es bei uns am allergoldensten ist, sich beraten und sich üben müssen, bis die Unruhe in ihnen immer stärker wird und sie davon gehen.«
Und Rosmarie ließ ihre Arbeit sinken und träumte hinaus.
»Ich weiß so gut, wie es ihnen zumute ist.«
Harro legte seinen Spatel hinweg und kam herüber und fragte ängstlich:
»Ist dir etwas, Rose?«
»Ich