Aber aus welchem Märchenbuch stammt denn die junge Königin, in ihrem warm leuchtenden Samtgewand, das sie anmutig mit einer blitzenden Spange geschürzt hat, in Hermelinkragen und Kappe! Die frische, köstliche Luft rötet ihre Wangen und macht ihre Augen so klar und das Weiß darin von so kindlicher Bläue. Und nichts entging ihr. Nicht der goldene Sonnenstreifen auf dem Moospolster dort, nicht das Aufblitzen des hellblauen Flügelschilds eines Nußhähers, nicht die zierlichen Rehspuren auf dem leicht gefrorenen Wege. Und dann wollte sie so viel wissen, von dem gemeinsamen Lehen in Berlin neben der Glanzplätterei und von den Abenden in der ›Blauen Fliege‹ und ihrem wunderlichen Menschenkreis, wie sie der Großstadtwind zusammenweht. Ein Hase hüpft über den Weg, langsam und sorgenvoll, und ein rotes Eichhörnchen fliegt wie eine kleine Schlange um einen Baumstamm herum.
Und Hans Friedrich denkt halb träumerisch, daß sich eine gute Fee, von der er als Kind viel zu erwarten pflegte, plötzlich und endlich seiner erinnert haben müsse und ihm diesen Morgen beschert habe. Paribanu hieß die Fee, und er machte ihre Bekanntschaft an einem glühend heißen Nachmittag, als er, des Kantors Ältester, zu Hause bleiben und die sehr unruhige Jüngste hatte hüten müssen. Das Buch hatte keinen Anfang und kein Ende und war wohl aus irgendeinem Schulranzen konfisziert worden. Es war reichlich befleckt, und es fehlten Seiten, aber die Fee Paribanu steckte doch darin und schwang ihren Zauberstab.
Plötzlich betraf er sich, wie er der jungen Königin von der Fee Paribanu erzählte und von dem kleinen Schwesterchen, das ein solcher Tyrann war, und von den seligen Stunden auf des Vaters Orgelbank, wenn ihm die Geschwister, freilich nur gegen Belohnung, die Bälge traten. Und wie ihn die Fee frühzeitig lehrte, Glückstage zu zählen. Und wie er in einem winzigen Kalender rote Striche machte an solchen geweihten Tagen, und wie er die sorgfältig aufhob und erst davon abließ, als er seiner Kindlichkeit sich schämen zu müssen glaubte. Rosmarie tadelte ihn aus ihrer Lebenserfahrung heraus.
»Ich werde Ihnen einen Kalender schenken, Herr Friedrich, und Sie werden wieder anfangen, Striche zu machen. Von seinen Festen lebt man,« versichert sie ernsthaft. »Und dann werden Sie sich wundern, wie viele es sind. Ich habe so wunderschöne Feste gefeiert mit meinem Freunde Harro, als ich ein kleines Mädchen war. Und als es keine Feste mehr zu feiern gab, da bin ich krank geworden und war nichts Rechtes mehr mit mir.«
Ach, daß es aus dem Walde keinen Ausweg mehr gäbe! Nun öffnet sich ein großes Tor, von riesigen Tannen gebildet, die lange Fransenärmel herabhängen lassen, und man sieht klein und klar auf seinem Höhenzug mit seinen Türmen und seinem Renaissancegiebel Schloß Brauneck daliegen. Und Rosmarie zeigt hinüber, als zeige sie ihm die Burg Montsalvatsch, und sagt: »Das ist Brauneck!«
Und in ihre Augen kommt ein so wundervolles Aufleuchten, daß er merkt: dies ist der clou der Vorstellung.
Auf dem Rückwege verspricht sie, daß sie ihm Schloß Brauneck zeigen werde.
Der Abend führt sie dann alle im Musikzimmer zusammen Zum erstenmal glüht das Licht in der Laterne des blauen Männleins auf. Da heute das Fest der Flügelweihe und zugleich das erste Fest im Goldhaus, ist, so hat sich Harro, der in der strahlendsten Laune ist, in seinen Samtkittel geworfen mit der Schärpe, was einen besonderen Höhepunkt der Stimmung offenbart. Auch Rosmarie hat den Befehl bekommen, wenn irgend möglich, sich noch zu verschönern. Rosmarie kann es sich leisten, sie hat immer noch das gleiche kindliche Entsetzen vor Bällen und großen Gesellschaften und braucht daher keinen von ihren Schätzen für solche Gelegenheit aufzusparen.
Ist es denn nicht höchst unnötig, daß sie irgend jemand schön finde außer ihrem Manne und etwa ihren Gästen?
»Also heraus, Lisa, mit dem silberbrokatenen Gewand, wenn du dich auch noch so unglücklich anstellst.«
»Ihre Durchlaucht, Frau Fürstin hat gesagt, dies wäre für kleine Hoffestlichkeiten.«
»Ich bin mein eigener Hof, Lisa, und du hörst ja, wir haben ein Fest! Märt soll mir vom Bergfried recht schöne feine Ranken Efeu holen, die ein wenig rötlich wären!«
Märt ist zu allem zu gebrauchen. Und Rosmarie windet drei Kränze. Zwei aus Efeu, den einen mit dunkelroten, den andern mit blaßgelblichen, fast weißen Chrysanthemen. Und den dritten Kranz aus Nizzaveilchen, die ihr der Vater geschickt hat.
»Die bleiben hier, bis ich sie hole, Lisa, und sage selbst, wie sonderbar wäre es, wenn ich mein schönstes Kleid für fremde Leute aufsparte!«
Und sie geht hinaus, eine leuchtende Vision von Silber und Gold, daß Märt, der eben vom Eßzimmer herauskommt, wo er geholfen hat, den Flügel in eine etwas andere Stellung zu bringen, ganz versteinert mit aufgerissenem Mund stehen bleibt. Seine junge Herrin lächelt ihn an.
»Gefalle ich dir so, Märt? Nicht wahr, das ist ein schönes Kleid, das hat mir der Herr selbst gezeichnet, wie es aussehen müßte. Und weißt du auch, Märt, daß es nun bald acht Jahre sind, daß ich in die Ruine kam? Oh, wie war es schön bei euch. Und die Krippe bauen wir auch wieder auf.«
Und damit rauscht sie an ihm vorbei, der noch keinen Ton geredet hat. Noch eine Weile starrt er nach der Türe, hinter der seine Herrin verschwunden ist. Dann schüttelt er bedächtig und sorgenvoll den dicken Kopf, greift mit zwei Fingern in seine Westentasche und bringt daraus ein paar Körnchen Salz hervor, die wirft er über seine linke Schulter, murmelt etwas dazu und stapft schwerfällig hinaus.
Über Hans Friedrichs heutigen Abend muß Paribanu unbeschränkt das Zepter führen. Seine dunkeln, großen Augen sehen aus, als brennen Weihnachtskerzen in ihnen, und Harro hat Bedenken, ihm nur mit dem ganz leichten hellen Moselwein zuzusetzen, den es bei Tisch gibt. Einen Aufguß hat er wahrhaftig nicht nötig. Und Rosmarie strahlt. Sie, die sonst vor Fremden recht scheu ist, führt heute ein allerliebstes Kommando und entwickelt neue schalkhafte Seiten, die Harro noch kaum an ihr kennt.
»Heute müssen die Herren mir gehorchen, dann werden sie dafür belohnt werden. Wir gehen ins Musikzimmer, und weil die Herren, sogar du, Harro, mir noch lange nicht festlich genug sind, müssen sie Kränze tragen, und ich werde sie ihnen aufsetzen.«
»Und du, Rosmarie?« ruft Harro.
»Ich trage auch einen, aber ich wollte ihn nicht tragen, ehe ihr auch geschmückt seid. Ich hätte sonst in meinem Silberkleid zu viel vor euch voraus.«
»O du Heuchlerin! Nur dein Silberkleid hast du vor uns voraus!«
Und Harro hebt die Tafel auf. Rosmarie geht ihre Kränze zu holen und kommt wieder und trägt die drei, sie hängen an ihrem nackten Arm. Im Musikzimmer flammen die Lichter auf. Die hohen grünseidenen Vorhänge sind zugezogen, der Flügel etwas mehr in die Mitte gerückt. Der ganze Raum ist von der edelsten Einfachheit. Graue Wände aus einer mattglänzenden Holzart. Nur ein einziges Bild hängt an der Schmalwand in einfachem Goldrahmen. Mit seinen großartigen Farbenakkorden von Gebirge, Felsenburg und finsterer Stadt, im Vordergrund den lachenden italienischen Frühling: Dolce Aqua, das Harro noch einmal für Rosmarie gemalt hatte, als Geschenk zu ihrem Verlobungstage. Sonst war nur noch ein Kamin da, aus graurötlichem Marmor, auf dem zwei mit Tannenzweigen und Chrysanthemen gefüllte Riesenvasen standen. Ihr zarter Atem durchhauchte das Zimmer so rein und kräftig nach Wald und dem eigentümlich leisen herbsüßen Herbstblumenduft. Bequeme, tiefe, mattgrüne Stühle. Harro erklärte, für die schönen menschlichen Blumen als Folie.
»Hoffentlich sind die Damen so klug wie die Blumen und suchen sich stets eine Farbe aus, die zu der Kelch- und Blattfarbe paßt.«
»Ein herrlicher Musikraum,« lobte Hans Friedrich. »Keine unnötigen Draperien oder Teppiche oder unruhigen Kunstwerke. Dort in deinem Bilde, Harro, findet man alles, was man will. Das Gebirge hinten ein Epos, das Felsenstädtchen eine Tragödie, und vorne die Pfirsichbäume und die Mimose eine Idylle