Das vorliegende Buch versammelt nicht nur die therapeutischen Richtungen, auf welche die Psychologie im allgemeinen Verständnis gern reduziert wird. Es stellt auch andere psychologische Ansätze vor, um ein vielfältiges Bild dieser Wissenschaft zu geben. In der Darstellung folgt es dem zeitlichen Verlauf und ordnet zugleich die Porträtierten einem Hauptthema ihrer Arbeit zu. Daraus ergibt sich die Unterteilung in acht große Abschnitte:
Der erste Abschnitt setzt am unteren Ende des beschriebenen Taus an, dort, wo die Psyche erstmals als wissenschaftlicher Begriff auftritt. Von da bis zum 19. Jahrhundert markiere ich kurz ein paar Daten an diesem Tau und stelle einige bedeutende Menschen aus der langen Vergangenheit der Psychologie vor.
Im zweiten Abschnitt geht es um die naturwissenschaftliche Sicht auf die Leistung der Sinnesorgane, aber auch um die Erforschung des Bewusstseins und der Wahrnehmung.
Der dritte Abschnitt handelt von der Tiefenpsychologie, die, beginnend mit der Psychoanalyse, einen völlig anderen Blick auf die Seele wirft.
Im Mittelpunkt des vierten Abschnitts steht das menschliche Lernen und Verhalten. Manche Wissenschaftler erklären alles Verhalten als automatische Reaktionen auf Sinnesreize. Andere betrachten den Geist des Menschen und untersuchen, wie er im Wechselspiel mit der Außenwelt seine eigenen Vorstellungen von der Realität bildet.
Der fünfte Abschnitt stellt therapeutische Ansätze vor, die weniger die Störungen der Psyche betrachten als vielmehr ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Die Vertreter dieser ressourcenorientierten Herangehensweise verstehen sich als Humanisten, das heißt: Sie betonen besonders die Würde und Entscheidungsfreiheit des Menschen.
Im sechsten Abschnitt kommt das Beziehungsgeflecht des Patienten in den Blick, denn man hat erkannt: Nicht der Einzelne allein ist behandlungsbedürftig, sondern das zwischenmenschliche System, zu dem er gehört. Diese Ansätze, die sich zunächst auf die Familientherapie beziehen, werden heute allgemein als systemisch bezeichnet.
Der siebte Abschnitt stellt Wissenschaftler vor, die Bedeutendes für die Erforschung der menschlichen Eigenschaften und der Intelligenz geleistet haben.
Im achten Abschnitt geht es um den Menschen als soziales Wesen, als Mitglied einer Gruppe, der Gesellschaft, des Staates. Hier zeigt sich noch einmal besonders deutlich, wie vielfältig die Psychologie in ihrer Anwendung ist.
I.
VON DER ANTIKE BIS ZUM 19. JAHRHUNDERT
UM 400 V. CHR.
Der griechische Philosoph Platon (427–347 v. Chr.) gliedert die Psyche in einen unsterblichen Anteil, der als Denken im Kopf angesiedelt ist und das ewige Gute schaut, und in zwei sterbliche Anteile: das Begehren im Unterleib und die Zielstrebigkeit in der Brust. Der Gedanke einer unsterblichen, von Gott stammenden Seele prägt später die gesamte abendländische Kultur.
UM 330 V. CHR.
In seiner Schrift »Über die Seele« führt Aristoteles (384–324 v. Chr.) als Erster den Begriff der Psyche in ein wissenschaftliches System ein. Der Grieche bindet in seiner Beschreibung des Menschen den Körper und die Seele enger zusammen als sein Lehrer Platon. Doch letztlich unterscheidet auch Aristoteles zwischen einem vegetativen, sterblichen Aspekt der Seele und einem unsterblichen, geistigen Aspekt.
397 N. CHR.
In seiner autobiografischen Schrift »Bekenntnisse« beschreibt der nordafrikanische Kirchenvater Augustinus (354–430 n. Chr.) seine Bekehrung und seine innere Erfahrung. Damit begründet er eine psychologische Methode, die später sehr wichtig wird: die Selbstbeobachtung, die Schau nach innen (Introspektion).
11.–13. JH.
Die mittelalterlichen Scholastiker, unter ihnen der Italiener Thomas von Aquin (1224/25–1274), übernehmen die Zweiteilung (Dualismus) der Griechen. Sie begreifen die Seele als immaterielle, unsterbliche Substanz, die unmittelbar von Gott gegeben ist und den Körper mit dem Tod verlässt.
UM 1520
In einer Schrift des dalmatinischen Humanisten Marko Maurulic (1450–1524) ist erstmals der Begriff der Psychologie (Seelenkunde) nachzuweisen. Er wird sich jedoch erst im 19. Jahrhundert völlig durchsetzen.
16. JH.
Der deutsche Reformator und Humanist Philipp Melanchthon (1497–1560) fasst die Seelenlehre der Antike und des zeitgenössischen Humanismus zusammen.
1644
In seinen »Prinzipien der Philosophie« setzt der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) die Seele gänzlich mit der Denk- und Erkenntnisfähigkeit (cogitatio) des Menschen gleich. Als Einzige lebendig, steht diese denkende Substanz (res cogitans) der toten, ausgedehnten Materie (res extensa) gegenüber. Zu der gehören nicht nur die Tiere, sondern auch der menschliche Körper – beide sind für Descartes lediglich Automaten. Den Wirkungsort der Seele vermutet Descartes in der Zirbeldrüse, die er als Verbindungsstück zwischen Leib und Seele ansieht.
1714
Der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) begreift in seiner »Monadologie« die Welt als Beziehungsnetz kleinster Einheiten, so genannter Monaden. Die Monaden denkt Leibniz sich als individuelle, in sich abgeschlossene (»fensterlose«) und seelenartige Substanzen.
17./18. JH.
Die englischen Philosophen des Empirismus betonen die Erkenntnis aus Erfahrung. Das wirkt sich auf die Sicht der Seele aus. John Locke (1632–1704) führt alle Vorstellungen, also alle Inhalte der Psyche, auf die Erfahrung zurück. Für ihn ist die Seele bei der Geburt ein leeres Blatt Papier. David Hume (1711–1776) geht noch weiter: Alles, was wir von der Seele kennen, sind ihm zufolge Vorstellungen, die in unaufhörlicher Folge im Bewusstsein auftauchen und wieder verschwinden. Hume verzichtet darauf, überhaupt eine seelische Substanz anzunehmen, er löst die Seele ganz in den Prozess der inneren Erfahrung auf. In den psychologischen Ansätzen der Folgezeit wird die Erfahrung nun immer wichtiger.
1785 ff.
Einen »psychologischen Roman« nennt der deutsche Schriftsteller Karl Philipp Moritz (1756–1793) seinen vierbändigen »Anton Reiser«, der zwischen 1785 und 1790 erscheint. Das kaum verhüllte autobiografische Werk schildert die grausame Kindheit und Jugend dieses jung verstorbenen Spätaufklärers und frühen Klassikers. Von 1783 bis 1793 gibt Moritz ein »Magazin zur Erfahrungsseelenkunde« heraus. Die Zeitschrift verschreibt sich einem empirischen, also an Beobachtung und Experiment orientierten Ansatz. Ursprünglich sollte Anton Reisers Geschichte in ihr als Modellfall erscheinen.
1824/25
Der deutsche Philosoph und Pädagoge Johann Friedrich Herbart (1776–1841) veröffentlicht sein zweibändiges Werk »Psychologie als Wissenschaft«. Er versucht darin, Seelisches mit mathematischen Modellen zu erfassen, womit er Gustav Th. Fechner (s. Kap. 1) beeinflussen wird. In der Selbstbeobachtung entdeckt Herbart das so genannte »flüssige Wesen« des Psychischen, vertritt also trotz des mathematischen Zugangsversuchs einen ganzheitlichen Ansatz, gegen die Zergliederung in einzelne »Seelenvermögen«.
1846
In seinem Werk »Psyche« vermutet der deutsche Arzt und Philosoph Carl Gustav Carus (1789–1869) den »Schlüssel zur