»Doch, Tante Jadwiga«, bemühte Ortrun sich, harmlos zu tun. »Hast du denn vergessen, daß du mir dein Portemonnaie zur Begleichung der Rechnung übergabst?«
»Ja, jetzt besinne ich mich wieder. Hat denn das Geld auch gereicht?«
»O ja. Es ist sogar noch was übriggeblieben. Die Quittung findest du im Geldtäschchen.«
Das stimmte. Nur daß der Betrag auf den Belegen erheblich reduziert war. Der Arzt hatte sofort geschaltet, als Ortrun ihn bat, der weltfremden Dame ein X für ein U zu machen.
Aber bei dem Mann an ihrer Seite gelang ihr das nicht. Errötend senkte sie den Kopf unter seinem forschenden Blick. Mußte jedoch lachen, als er die Melodie aus Lortzings »Zar und Zimmermann« vor sich hin pfiff: Ja ich bin klug und weise, und mich betrügt man nicht.
Damit endete die Fahrt. Der Wagen hielt und ihm entstieg eine Jadwiga mit strahlendem Gesicht.
»Frauke, Hulda, Michel, Ajax, ich kann wunderbar sehen«, verkündete sie glückselig denen, die herbeigeeilt waren – und alle freuten sich mit ihr. Selbst der Hund blaffte freudig auf und brachte den Schwanz in stürmische Bewegung.
Dem Baron wurde es warm ums Herz. Nur ungern schlug er Fraukes Aufforderung ab, näherzutreten. Doch er mußte zu einer wichtigen Unterredung, und Pflicht ist nun einmal Pflicht. Er bat jedoch ein andermal vorsprechen zu dürfen, was ihm gern gestattet wurde.
Einige Tage später hatte Jadwiga Geburtstag, den die beiden Mädchen dazu benutzten, ihr eine kleine, aber gediegene Aussteuer zu schenken. Fassungslos stand das Geburtstagskind vor dem reichen Gabentisch, auf dem Kleidungsstücke lagen, die aus der altmodischen Dame eine vornehme Erscheinung machten, die den Tierarzt, der um den Geburtstag wußte, und mit einem Strauß Frühlingsblumen anrückte, überraschte.
»Oha, hier kann man wirklich sagen, daß Kleider Leute machen«, raunte er Frauke zu, die so allerliebste Grübchen zeigte, daß er rasch von ihr wegtrat und dem Geburtstagskind mit vielen guten Wünschen den Strauß überreichte. Daß er zum Kaffee blieb, war jetzt schon selbstverständlich.
Man konnte den Kaffee gerade noch trinken, da kam im wahrsten Sinne des Wortes ein Blitz aus heiterem Himmel. Es gelang gerade noch, sich und die Sachen in Sicherheit zu bringen, da tobte auch schon ein heftiges Gewitter los, das so plötzlich abzog, wie es gekommen war. Das heißt, der Himmel blieb wolkenverhangen, und der Platzregen war in sachten Regen übergegangen, die die lange durstende Natur wunderbar erquickte.
Man hatte sich im Salon niedergelassen, weil da der Stutzflügel stand, an den Ortrun heran mußte, ob sie wollte oder nicht.
»Warum gerade ich«, brummte sie. »Es sind ja noch vier andere da.«
»Meinen Sie mich auch damit?« fragte Uwe schmunzelnd. »Dann muß ich Ihnen sagen, gnädiges Fräulein, daß ein Klavier für mich ein Dreschkasten ist. Und wenn ich meine Stimme erschallen lasse, rasen bestimmt Bertchen und Michel herbei, weil sie annehmen, daß ich jämmerlich nach Hilfe schreie.«
Da mußte Ortrun mit den andern lachen und bequemte sich endlich zum Spiel. Placierte sich, während Frauke die Kerzen in dem Leuchter anzündete, der auf dem Flügel stand. Man suchte sich bequeme Plätze, bis auf Oda. Die kauerte sich auf ein Fußkissen und legte das Gesichtchen auf das Seitenende des Instruments. Die langen Zöpfe berührten den Boden, in den Augen spiegelte sich der Schein der Kerzen, genauso wie in den Ortruns, die das aufgestellte Notenbuch zuklappte und dann leise zu präludieren begann. Allmählich wurden die Töne sicherer, reihten sich wie Perlen aneinander – und dann erklang Mozarts »Romanze« so zart und süß, daß sie die Zuhörer in ihren Bann zog.
Auch den Mann, der in der Tür stand. Als Frauke ihn bemerkte, winkte er ab, trat leise näher, legte der überraschten Jadwiga einen Strauß erlesener Blüten in den Schoß und setzte sich in den Sessel, den Frauke ihm mit einer Handbewegung zuwies.
Sein Blick hing an der Spielerin, deren feines Gesicht ihm im Profil zugekehrt war. Über das leichtgeneigte Köpfchen huschte der Schein der Kerzen, ließ das einzigschöne Gelock aufsprühen in metallischem Glanz. Tändelnd huschten die zarten Finger über die Tasten, ihnen Töne entlockend, die aus einer Äolsharfe zu kommen schienen.
Als Spiel und Gesang verklang, war es zuerst einmal still. Oda erhob sich, trat zu Ortrun und drückte ihre Lippen auf die weiche Wange, dann ein abgrundtiefer Seufzer:
»War das schön. Ich wünschte, ich könnte so spielen und singen wie du.«
Das wünschte auch der Bruder – und noch mehr. Daß seine kindliche Schwester so werden möchte wie dieses bezaubernde Menschenkind. Es war das größte Kompliment, das er zu vergeben hatte. Schade, daß er es nicht aussprechen durfte.
Auch nicht über die Veränderung, die sozusagen über Nacht mit Jadwiga vor sich gegangen war. Und das hatten sie zuwege gebracht, die beiden Mädchen aus dem Haus im grünen Grund.
Und was sagte sein Freund Uwe dazu? Der mußte sein Herz krampfhaft festhalten, damit es ihm nicht durchging. Aber bald würde es das tun – und dann?
Es waren dieselben Gedanken, wie Hulda sie hegte. Was wurde dann aus dem alten und dem jungen Fräulein, die hier ein so trautes Zuhause fanden. Wohl würde Uwe, soweit Winrich ihn kannte, die beiden sozusagen mitheiraten, aber es konnte dann nicht mehr so sein, wie es jetzt war.
Denn jetzt gehörte ihnen die reizende Frauke ungeteilt. Doch mit dem Moment, wo Uwe Rechte an sie haben durfte, würde ihr Herz so ausgefüllt sein, daß die andern sich nur mit kläglichen Resten begnügen mußten.
Arme Ortrun, dachte er traurig. Arme Jadwiga.
Als hätte er sie gerufen, trat diese nun auf ihn zu.
»Ich möchte mich für die herrlichen Blumen bedanken, Herr Baron. Ach, ich bin ja so glücklich, so liebe Menschen und ein so wunderschönes
Zuhause gefunden zu haben.«
Das gab dem Mann einen Stich ins Herz. Tief neigte er sich über die feine Hand und sagte herzlich:
»Alles nur denkbar Gute wünsche ich Ihnen für das neue Lebensjahr, gnädiges Fräulein.«
»Danke, Herr Baron. Hier kann es mir gar nicht anders als gutgehen.«
In dem Moment schlug der Gong an, worauf der Gast sich verabschieden wollte, was Frauke unterband.
»Daraus wird nichts, Herr Baron. Kommen Sie nur, es gibt was Gutes!«
»Wovon ich überzeugt bin, gnädiges Fräulein. Aber…«
»Kein Aber! Sie bleiben und damit holla!«
Da blieb er und fühlte sich äußerst wohl in dem gemütlichen Kreis. Wenn er dabei an sein Zuhause dachte, tat ihm das Herz weh. Ein Glück, daß Oda hierher flüchten konnte, wenn ihr in dem kalten, öden Schloß traurig zumute war. Hier fand sie alles, was ein junges Menschenkind brauchte, Lachen, Frohsinn und offene Herzen.
Nach dem Abendessen, das wirklich delikat war, ging man hinüber in die Bibliothek, wo im Kamin ein helles Feuer loderte.
»Hulda machte es, während wir aßen«, erklärte Frauke. »Nach dem Regen hat es sich draußen erheblich abgekühlt, und ohne Feuer wäre es hier direkt kalt. Bitte, meine Herrschaften, sich zwanglos zu gruppieren. Für einen guten Trunk werden unsere beiden Jüngsten sorgen.«
»Sekt?« fragte Oda erwartungsvoll.
»Jawohl. Geht nur zu Hulda, da steht alles bereit.«
Vergnügt trollten sie ab, und als sie wiederkamen, schob Ortrun den Servierwagen vor sich her, auf dem außer Gläsern ein Kühler stand, aus dem zwei Hälse verlockend ragten. Zwei weitere Flaschen trug Oda, die Uwe natürlich wieder necken mußte.
»Wirst du die auch schaffen, Fips?«
»Diese Bezeichnung verbitte ich mir!«
»Herrje, verzeih, du bist ja eine junge Dame von Stand.«
»Und du ein junger Mann von