Und Ortrun? Für die gab es nur eine Bezeichnung: Bezaubernd. Hatte das Mädchen einzigschönes Haar und ein paar Augen im Kopf – olala! Ihr Kleid war weiß, ohne jede Verzierung, aber es hatte es in sich. Eng die Taille, weit der Rock. Eine Bernsteinkette, eine Armbanduhr und ein Ring – das war der Schmuck des reichsten Mädchens auf dem weiten Platz.
Und Frauke? Die war für den verliebten Uwe die Schönste von allen. Bitte sehr! Hatte etwa noch jemand so allerliebste Grübchen, so dichtbewimperte grüngraue Augen, so wunderbar gepflegtes kastanienbraunes Haar, eine so ranke Figur und ein so schickes hellgrünes Kleid? Na also!
Und diese Schönste wurde nun vorwurfsvoll gefragt:
»Wollen wir hier festwachsen, gnädiges Fräulein?«
»Nein, ich will mich amüsieren.«
»Na wunderbar. Fangen wir gleich damit an.«
Worauf sie sich erhoben und davongingen. Die ungeduldige Oda zog Ortrun mit sich fort, so daß die älteren Herrschaften allein zurückblieben. Darunter allerdings auch der Baron, der sich wegen der Trauer zurückhalten mußte, obwohl es gar nichts für ihn zu betrauern gab. Aber er mußte doch mal in seiner exklusiven Stellung den Menschen mit gutem Beispiel vorangehen, das wurde direkt von ihm verlangt.
Langweilig wurde es ihm trotzdem nicht, dafür sorgte schon Frau Schölt mit ihrem trockenen Humor. Außerdem fand sich immer jemand, der sich an des Mannes Seite setzte und sich mit ihm unterhielt.
Die beiden jungen Mädchen jedoch nahmen alles mit, was der Rummelplatz bot, bis selbst die unersättliche Oda genug hatte. Auf Umwegen schlichen sie an den Tisch zurück, weil der Tanz bereits in vollem Gange war und sie unterwegs nicht abgefangen werden wollten. Dafür waren sie zu hungrig und zu durstig.
Und schon fanden sie, zu den Ihren zurückgekehrt, ein Tischleindeckdich vor. Wie schmeckte das Bier, der Kartoffelsalat doch herrlich. Dazu noch Würstchen, das dem Baroneßchen fast in der Kehle stecken blieb, als ein Tusch die Menschen zusammenströmen ließ.
»Du meine Güte!« schluckte sie ein großes Stück herunter. »Ortrun, komm bloß schnell von hier fort, damit sie dich nicht sehen. Die Prinzessinnenwahl beginnt.«
Eiligst huschten sie ab, und Frau Schölt sagte lachend:
»Da hilft Fräulein Danz kein Verdrücken, sie wird trotzdem die meisten Stimmen kriegen. Sonst müßten unsere Mannsleut’ keine Augen im Kopf und kein Herz im Leibe haben. Allerdings würden sie zwischen Fräulein Danz und dem Baroneßchen schwanken, wenn dieses nicht zu jung wäre. Also wird erstere daran glauben müssen.«
»Arme Ortrun«, lachte Jadwiga. Die heute so fröhlich und leichtbeschwingt war, wie kaum jemals zuvor. Sie erzählte, was das Mädchen gesagt hatte, worauf die gute Dicke sich die Lachtränen aus den Augen wischte.
»Sie hat sogar recht. Denn so was kommt auf einem ländlichen Fest immer zur Verlosung.«
Sie horchte nun gleich den andern auf das, was ein Herr durch das Megaphon sprach. Die Mädchen zwischen achtzehn und zweiundzwanzig wurden aufgefordert, sich auf der Tanzfläche einzufinden, damit die Herrn aus dem Komitee der Gilde sie genau in Augenschein nehmen und danach ihre Stimmen zur Prinzessinnenwahl abgeben konnten. Die Damen, die hier als Feriengäste weilten, wären von der Wahl ausgeschlossen.
Und dann präsentierten sich die Mädchen. Jede fest davon überzeugt, daß sie die Auserkorene sein würde.
Uwe, der sich mit seiner Schönsten am Tisch eingefunden hatte, weil er für sie nichts zu befürchten brauchte, zeigte mit unterdrücktem Lachen auf den Damenflor.
»O Schreck, laß nach! Was sich da aber auch alles schön findet. Selbst Agneschen mit dem Mopsgesicht und den Dackelbeinen.«
»Werden Sie wohl still sein, Sie Spötter!« verwies Frauke ihn streng. »Sie sind heute unerhört frech. Ich bin Ihnen böse.«
Sie wandte sich ab, doch schon hörte sie an ihrem Ohr eine raunende Stimme:
»Liebchen, sei nicht gleich so böse,
hast du solch ein hitzig Blut?
Mußt dir’s Zürnen abgewöhnen,
ist nicht für die Ehe gut.«
Ach, wie wurde das Fraukchen da verlegen. Sie wagte nicht, den hinter ihr stehenden Mann anzusehen und war froh über die Ablenkung, die sich bot. Die Herren vom Komitee defilierten an dem Damenflor vorbei, nahmen sie scharf aufs Korn, zückten dann Zettel nebst Stift und schrieben einen Namen darauf. Sie wurden dann in den Schlitz eines geschlossenen Kastens gesteckt, den ein Herr dann feierlich aufschloß, die Zettel las und dann lachend verkündete:
»Zehn Zettel und ein Name. Damit ist die Wahl einstimmig getroffen. Hoch lebe unsere Schützenprinzessin Ortrun Danz!«
Das gab nun einen fröhlichen Tumult. Aber wo war die Prinzessin überhaupt? Nirgends zu sehen, so scharf man auch Ausschau hielt. Und schon setzte ein Sprechchor ein:
»Prinzessin Ortrun Danz – Prinzessin Ortrun Danz.«
Dabei wurde in die Hände geklatscht. Die Menschen auf dem Festplatz schienen außer Rand und Band zu sein.
Und die neugebackene Prinzessin? Die stand mit Oda hinter einer Bude und machte ein bitterböses Gesicht.
»Man soll mich in Ruhe lassen!«
»Ortrun, sei vernünftig«, sagte Oda eindringlich. »Du mußt hin, sonst beleidigst du die ganze Gilde. Wird so schlimm nicht werden, ist ja alles nur ein neckisches Spiel –«
»Prinzessin Ortrun Danz – Prinzessin Ortrun Danz.«
Da warf diese den Kopf zurück und ging sicheren Schrittes dem Platz zu, wo ihr Erscheinen Jubel auslöste. Man drückte ihr die Krone auf das gleißende Köpfchen, legte ihr das Band mit den Farben der Gilde um, dann gab man sie frei für die Kameras.
Und Prinzeßchen lächelte, lächelte bezaubernd, obwohl sie am liebsten geweint hätte. Doch der Mann, der langsam auf sie zutrat und ihr mit einer Verbeugung den Arm bot, strömte so viel Tröstliches aus, daß sie sofort ruhig wurde.
Es war Baron Swidbörn, das Ehrenmitglied, das schon seit Jahren jede neuerwählte Schützenprinzessin zur Polonäse führen mußte, voran als erstes Paar. Der Schützenkönig mit seiner Königin kam hier an zweiter Stelle. So war es Vorschrift, und so wurde es getan.
»Bitte die Herrschaften zur Polonäse anzutreten!« schallte die Stimme durchs Megaphon. »Jeder Herr darf seine Dame nach Belieben wählen.«
Was man mit Vergnügen tat. Und daß Uwe Gunder seine Schönste wählte, war wohl so sicher, wie das Amen in der Kirche.
»Unsere Goldige«, sagte Frauke mitleidig. »Die fühlt sich bestimmt nicht wohl in ihrer Haut. Aber ihre tadellose Haltung ist bewundernswert.«
»Kunststück, als früherer Zögling des Elitetöchterheims«, entgegnete er achselzuckend. »Da werden die Mädchen streng auf Selbstbeherrschung gedrillt. Aha, jetzt geht’s los.«
Langsam setzte sich der unendlich lange Zug in Bewegung, vorweg die Schützenkapelle, dahinter die Schützenprinzeß mit ihrem schneidigen Prinzen. Die Blechmusik schmetterte, die Menschen sangen. Jubelnd stieg der alte und doch immer wieder neue Jägermarsch in die Dämmerung, die magische Beleuchtung durchgeisterte.
Ich schieß den Hirsch im wilden
Forst,
im tiefen Tal das Reh.
War es da vielleicht ein Wunder, daß dieses Fest so großen Anklang fand? Wo alles durchweht war von Fröhlichkeit und Leichtbeschwingtheit. Wo es nichs Schwüles, nichts Verstecktes gab. Wo man sich freuen konnte, so recht von Herzen freuen.
»Nun,