Die Bergklinik Staffel 1 – Arztroman. Hans-Peter Lehnert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Peter Lehnert
Издательство: Bookwire
Серия: Die Bergklinik Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740916947
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Klamm, dann waren sie bei dem hinabgestürzten Steg.

      »Mein Gott, da unten liegt sie.« Clemens Stolzenbach beugte sich über die Klamm, hielt sich krampfhaft am Felsen fest. »Wie komme ich denn da runter?«

      »Der Vater ist schon da«, schrie Monika in sein Ohr, »er hat auch Stricke dabei!«

      Ohne unnütze Worte zu verlieren, band Franz Gratlinger Clemens Stolzenbach einen Strick um die Hüften und ging mit ihm zum Rand der Klamm. »Da mußt allein hinunter«, sagte er, »da hilft dir jetzt keiner.«

      »Ich geh’ mit Clemens.« Monika drängte sich vor. »Ich kann ihm helfen.«

      »Da bleibst«, sagte ihr Vater. »Das ist nix für ein Madel.«

      »Aber er kann doch net allein da hinunter. Vater!« Monika begann zu weinen.

      Franz Gratlinger seilte Stolzenbach inzwischen ab. Er hatte das zweite Seilende um einen Baum gebunden und ließ das andere mit Stolzenbach langsam in die Klamm hinunter. Der band das um seine Hüften geschlungene Seilende los und kniete neben Bettina Wagner, die halb ins Wasser gerutscht war, deren Kopf jedoch auf einem Felsstück ruhte.

      »Bettina«, flüsterte er, dann schrie er: »Bettina!«

      »Deine Tasche.« Monika stand plötzlich neben ihm. »Ich hab’ dem Vater gesagt, wenn er mich nicht abseilt, daß ich dann spring’.«

      »Schnell, in der Tasche ist ein Stethoskop«, sagte Clemens Stolzenbach. Dann horchte er Bettina Wagner ab. »Sie atmet, aber schwer. Irgendeine Verlegung der Atemwege…! Schau, wie die Atemmuskulatur sich zusammenzieht.« Dann zeigte er eine deutliche Rötung an ihrem Hals. »Mein Gott, sie erstickt. Sie hat einen Schlag auf den Larynx (Kehlkopf) bekommen, der schwillt zu. Gib mir rasch ein Skalpell aus der Tasche und dann eine Trachealkanüle.«

      »Du willst ihr hier den Larynx eröffnen?« Monikas Stimme zitterte. Der Regen hatte wieder zugenommen, peitschte auch in die Schlucht hinunter.

      Der Sturm tobte oben, wo der Sterzenhofer sich gerade über die Schlucht beugte, derart heftig, daß sich die Bäume weit überbogen.

      »Wenn wir warten, bis sie abtransportiert ist, ist sie tot«, schrie Clemens. »Das Skalpell bitte.« Er nahm das kleine Instrument aus der sterilen Verpackung und schnitt der immer schwerer nach Atem ringenden Bettina Wagner zwischen Ring- und Schildknorpel in die Luftröhre, dann schob er die Trachealkanüle in den geöffneten Spalt und fixierte ihn mit einem Pflasterstreifen an ihrem Hals. Gleich darauf atmete Bettina Wagner ruhiger, und ihr Puls schlug auch wieder kräftig. »Ich werde ihr jetzt noch ein Schockmittel spritzen«, murmelte er dann.

      »Ihr müßt aufpassen«, brüllte oben der Sterzenhofer, »auf der anderen Seite sind schon ein paar Felsbrocken heruntergestürzt.«

      »Der Vater ruft was«, schrie Monika in Stolzenbachs Ohr.

      Der ging einen Schritt in die Klamm, drehte sich um, sah nach oben, und im gleichen Moment streifte ein herabstürzender Ast seine Schläfe.

      »Clemens.« Monika starrte auf den ohnmächtig daliegenden Stolzenbach. Sie beugte sich über ihn. »Clemens.« Tränen rannen ihr übers Gesicht. Dann warf sie sich über ihn, bedeckte sein Gesicht mit Küssen.

      »Das Schockmittel«, flüsterte Stolzenbach schwach an ihrem Ohr, »du mußt Bettina das Schockmittel injizieren.« Dann schloß er wieder die Augen und war ohne Bewußtsein.

      Monika kramte in der Arzttasche, hatte das Schockmittel rasch gefunden. Sie brach die Spitze des Glaskörpers mit der klaren Flüssigkeit ab, zog sie in die Spritze, suchte an Bettina Wagners Arm nach einer geeigneten Vene, schnippte mit dem Zeigefinger ein paarmal dagegen, bis sie ein wenig besser hervortrat, und säuberte die Stelle mit Alkohol.

      »Clemens«, schluchzte Monika dabei, »Clemens, komm doch wieder zu dir.« Dann injizierte sie Bettina Wagner das Schockmittel.

      *

      Als der Bergrettungsdienst kam, war Clemens Stolzenbach schon wieder bei Bewußtsein, stand sogar wieder. Auch Bettina Wagner hatte für einen Augenblick die Augen geöffnet. Als sie Stolzenbach sah, hatte sie matt gelächelt und die Augen wieder geschlossen.

      Monika gab derweil Anweisungen für den Abtransport, sagte, man solle Bettina Wagner in die Bergklinik bringen. Clemens Stolzenbach hatte darauf bestanden.

      »Ich werde nachschauen, was sie hat, und gegebenenfalls operieren«, hatte er gesagt, »das bin ich ihr schuldig.«

      Eine halbe Stunde nach der Einlieferung durch die Bergrettung hatte er Bettina Wagner operiert. Mehrere Stunden lang dauerte es, denn sie hatte unter anderem bei dem Sturz in die Schlucht einen Milzriß erlitten, die Stolzenbach allein durch sein chirurgisches Können hatte erhalten können.

      Als er dann völlig fertig aus dem OP kam, schüttelte Dr. Trautner ihm die Hand. Er sah schrecklich aus, überall hatte er Kratzer und kleine Hautabschürfungen, aber er hatte es sich nicht nehmen lassen, die ganze Zeit im Vorraum des OPs zu warten.

      »Herr Kollege«, sagte er leise, »alle Achtung, was Sie geleistet haben, auch in der Schlucht, Monika hat mir alles erzählt. Ich wäre glücklich, wenn Sie meine Entschuldigung annehmen und bei uns bleiben würden…!«

      *

      Drei Tage war Bettina Wagner noch im Koma, dann schlug sie die Augen auf. Kurz darauf kam Clemens Stolzenbach zu ihr.

      Sie lächelte, als er den Bereich auf der Intensivabteilung betrat. Er beugte sich weit zu ihr hinunter, weil sie wegen des Luftröhrenschnittes kaum sprechen konnte.

      »Ich danke dir«, sagte sie leise, »für alles. Ich habe gehört, was passiert ist. Die Brücke ist unter mir weggeglitten, und alles ist über mich gestürzt. Von dem Unwetter habe ich nichts mitbekommen. Außerdem… du hattest recht, unsere Zeit ist vorbei. Ich bin so froh, daß ich das begriffen habe. Das hatte ich übrigens schon, als ich zu dem Almspaziergang aufgebrochen bin.«

      »Du brauchst jetzt viel Ruhe«, sagte Stolzenbach, »schlaf dich gesund.«

      Monika hatte jeden Tag nach Bettina gesehen und war wieder nach Hause gefahren, als sie sah, daß sie noch nicht bei Bewußtsein war. Mit Clemens Stolzenbach hatte sie in diesen Tagen nicht einmal gesprochen.

      Als sie an diesem Tag den Intensivbereich betrat, wollte sie ganz rasch wieder verschwinden, als sie mitbekam, daß Bettina Wagner aufrecht im Bett saß und auf ein normales Krankenzimmer verlegt werden sollte. Doch Bettina hob die Hand und winkte ihr.

      »Sie sind Monika?« Sie sprach schon ein wenig kräftiger als am Vortag. »Sie haben mit Clemens zusammen mein Leben gerettet. Ich wollte mich bei Ihnen bedanken.«

      Monika bekam rote Ohren, war verlegen. »Sie müssen sich nicht bei mir bedanken.«

      »Sie lieben ihn, nicht wahr?« Bettina lächelte. »Ich wünsche Ihnen und Clemens alles Glück der Welt. Und jetzt gehen Sie zu ihm. Er ist zum See gegangen. Ich bin sicher, er wartet dort auf Sie.«

      Im Karbach-See spiegelte sich die untergehende Sonne, es war eine wunderbare, sehr weiche Stimmung. Clemens Stolzenbach kam Monika entgegen und nahm sie in die Arme. »Du hast drei Tage nicht mit mir gesprochen. Hat das was mit Bettina zu tun?«

      »Du hast ihr das Leben gerettet.« Monikas Augen schimmerten feucht. »Ihr beide steht euch immer noch sehr nah.«

      »Bettina ist eine Patientin, nicht mehr und nicht weniger.«

      »Bist du sicher?«

      »Ganz sicher. Auch wenn ich dich nicht kennengelernt hätte, zwischen Bettina und mir hätte sich nichts mehr entwickeln können.«

      Dann schwiegen beide lange, sahen in die untergehende Sonne, wie sie sich im See spiegelte und ihn in zauberhaft stimmungsvolles Licht hüllte. Ganz dicht saßen sie beieinander, Monika kuschelte sich immer fester an Clemens Stolzenbach.

      »Weißt du eigentlich, daß du mir noch was schuldest?« fragte er, während er sie verschmitzt anlächelte.

      »Was denn?« Monika