Vorhang zu!. André Storm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André Storm
Издательство: Bookwire
Серия: Ben Pruss
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954415298
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»Vielen Dank, dass du dich sofort gekümmert hast. Du konntest nichts mehr für sie tun.«

      Ben wusste, dass Pedro Möller es freundlich meinte, fühlte sich aber nicht im Mindesten getröstet. »Was ist mit der Schlange?«, fragte er.

      »Frank hat den Zugang über die Bühne geprüft. Die obere Tür war zum Glück geschlossen, genau wie die Tür zum Raum mit den Terrarien. Bisschen blöd von Frank, dass er in den Kellergang gucken musste. Na ja, wenigstens wissen wir jetzt, dass Lily die Tür noch geschlossen hat, bevor …« Er hielt einen unbehaglichen Moment inne und fuhr dann fort: »Wie es im Raum selber aussieht, weiß ich natürlich nicht, aber wenigstens ist es ziemlich sicher, dass das Viech weder im Kellergang, noch irgendwo hier rumkriecht.«

      »Wie fängt man die ein?«

      »Erst mal warten wir ab, was die Polizei sagt. Ich würde sonst im Zoo anrufen und einen von den Kollegen aus dem Tropenhaus kommen lassen. Wenn ich geahnt hätte, dass das nach einem Biss so schnell geht, hätte ich mich nie darauf eingelassen.«

      »Gibt es denn kein Gegengift?«

      »Doch, natürlich! Das liegt auch da im Raum. Sogar schon in Spritzen aufgezogen. Ist ja alles Vorschrift. Ich kann mir das nicht erklären. Anscheinend ging alles zu schnell, oder sie hat in der Panik nicht daran gedacht. Keine Ahnung, vielleicht hat es nicht gewirkt. Oh Mann, hoffentlich machen die mir nicht den Laden dicht.« Diese Möglichkeit schien ihm das erste Mal durch den Kopf zu gehen, und Ben fand, dass Pedro Möller aussah, wie er sich selbst fühlte: krank, verzweifelt und einsam. Er wünschte sich, dass Kai aufwachen würde. Auch wenn er keine große Hilfe sein würde, hätte es ihm schon geholfen, ihn einfach um sich zu haben.

      Er sah zu Pedro Möller, der geistesabwesend die Sanitäter dabei beobachtete, wie sie ihre Sachen zurück in die Koffer sortierten. Einer der beiden bemerkte das und fragte mit müder Stimme in seine Richtung: »Sind Sie der Chef hier? Könnten Sie bitte mal herkommen?«

      Ben wusste, dass er nicht viel Zeit für den Plan hatte, der ihm soeben in den Sinn kam. Er schaute in alle Richtungen. Die meisten hatten den Saal bereits verlassen. Einige standen in kleinen Grüppchen zusammen, redeten miteinander oder hielten sich stumm in den Armen. Ein paar waren damit beschäftigt aufzuräumen oder wirkten zumindest geschäftig.

      Ben ging zu der Tür, durch die vor knapp zwanzig Minuten Lily Polley halbtot in den Saal gekrochen war. Er öffnete sie, blickte noch einmal nach links und rechts – niemand schien sich für ihn zu interessieren – und war im nächsten Moment im Kellergang verschwunden.

      Ben schloss die Tür hinter sich, nachdem er sicher war, dass keine Schlange im Gang auf ihn wartete. Durch die fehlende Klinke auf der Innenseite, stellte sich das als schwierig heraus. Er musste umständlich seinen kleinen Finger in das Loch stecken, in dem irgendwann mal eine Klinke gesteckt haben mochte, und so die Tür ranziehen, bis sie im Schloss einrastete. Er verspürte den Drang, sich gegen die Tür zu lehnen und durchzuatmen, sah aber davon ab, als er die Spinnweben bemerkte, die grau und staubig an Tür und Wänden herabhingen. Ben hasste Spinnen und stellte soeben fest, dass er Schlangen noch mehr verabscheute. Eins war ihm klar, Pedro Möller würde diesen Tag auf jeden Fall bezahlen!

      Ein Schrecken fuhr ihm durch die Glieder. Was, wenn Frank Pracht nach seinem Kontrollgang die obere Tür abgeschlossen hatte? Sein eigener Schlüssel lag ja dummerweise im Auto. Es sähe schön blöd aus, wenn die Polizei ihn hier irgendwann finden würde, oder wenn er von innen klopfen musste wie vorher die Schlangenfrau in ihrem Todeskampf. Einen guten Eindruck könnte er damit jedenfalls nicht machen, und als besonders origineller Gag würde es wohl auch nicht durchgehen. Ein toller Detektiv war er – nämlich gar keiner. Er stieß ein ärgerliches Grummeln aus.

      Bedächtig schritt er auf die geschlossene Tür ihm gegenüber zu. Dahinter wartete höchstwahrscheinlich eine freigelassene und äußerst tödliche Schlange auf ihn. Ohne sich etwas davon zu versprechen hielt er ein Ohr gegen die Tür und lauschte. Wie erwartet hörte er nichts. Giftschlangen waren ja nicht gerade dafür bekannt, besonders viel Krach in ihren Terrarien zu veranstalten. Eigentlich lagen ja Schlangen meistens nur rum, dachte er und drückte die Klinke.

      Das Licht im Raum war noch eingeschaltet. Lily Polley hatte noch einen Rest Vernunft bewiesen, als sie die Tür hinter sich zugeschlagen hatte. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Schlange ebenfalls den Weg nach draußen gefunden hätte. Strom sparen stand dagegen nicht mehr auf ihrer Liste. Ben linste vorsichtig durch einen schmalen Türspalt von nicht mehr als drei Zentimetern. Für mehr reichte sein Mut nicht aus. Eine trockene Wärme schlug ihm entgegen. Er vermutete, dass diese von Wärmelampen herrührte, die zur Beheizung der Terrarien verantwortlich waren. Er spürte Schweiß auf seiner Stirn, der nichts mit den Wärmelampen zu tun hatte und sich kalt anfühlte. Oh Gott, dachte er, bloß keine DNA hinterlassen.

      Er zog mit der Linken seinen rechten Ärmel über die Hand und wischte die Klinke sowie die Stelle ab, an die er vorher sein Ohr gehalten hatte. War der Ohrenabdruck eines Menschen auch einmalig?. Er hatte absolut keine Ahnung von so etwas. Er schob die Tür weiter auf und konnte ein kleines Stück eines Terrariums erkennen. Eine Glaswand, Grünzeug, ein knorriger Ast, und darauf liegend eine stattliche, grüne Schlange. Ben hatte diese Schlange bei der Show gesehen und wusste, dass es irgendeine Boa Con-Dingsbums war, und er wusste ebenfalls, dass diese Art nicht giftig war. Er steckte den Kopf durch die Tür, wohlbedacht, nichts mit dem Körper zu berühren. Er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis die Polizei hier auftauchte. Er rechnete sich aus, dass sie sicher nicht scharf darauf waren, hier die Ermittlungen aufzunehmen, solange der Raum noch nicht als hundertprozentig schlangenfrei galt. Wenn Kai doch nur auf der anderen Seite Schmiere gestanden hätte. Er zog seinen Kopf langsam und behutsam – ohne in der Amphibienwelt zu große Wellen zu schlagen – wieder zurück, fischte das alte Nokia aus seiner Hosentasche und drückte lange die Rautetaste, um es auf stumm zu stellen. Wenn es ausgerechnet jetzt anfing zu klingeln, würde er ohne Zweifel auf der Stelle tot umfallen – auch ohne Schlangenbiss. Da er seit Ewigkeiten keinen Anruf mehr zu so einer Uhrzeit bekommen hatte, diente die Angelegenheit eher dazu, das, was er vorhatte, noch etwas aufschieben. Aufschieben konnte er besonders gut. Aufschieberitis war seine größte Schwäche – im Moment fand er sie äußerst unpassend, und er zwang sich zu handeln.

      Er steckte seinen Kopf zurück und lugte auf die andere Seite des Raums. Er spürte die Hitze noch intensiver, erblickte drei Terrarien, ausgestattet mit Pflanzen, Ästen, Sand und jeweils einer Wasserstelle. Davor drei kleinere Glaskisten mit seitlichen Griffen, die offensichtlich als Trageboxen dienten. Bis auf die Würgeschlange, die ihm schon beim ersten Mal aufgefallen war, konnte er keine weitere Schlange ausmachen. Vor allem nicht außerhalb eines der Terrarien, was ihn etwas entspannte aber auch misstrauisch werden ließ. Er schob die Tür noch ein Stück weiter auf, wagte es aber nicht, den Raum zu betreten. Das Terrarium mit der Boa war das größte. Es stand auf dem Boden und war etwa 1,50 Meter hoch. Die beiden anderen, davon eins wahrscheinlich für die Kobra und eins für die Klapperschlangen reserviert, waren kleiner und ruhten auf Holzpodesten. Sie sahen ein bisschen so aus wie das Aquarium mit Guppis und Clownfischen, das früher bei seinen Eltern im Wohnzimmer gestanden hatte.

      Ben bemerkte, dass der Glasdeckel bei dem linken Terrarium nach oben geklappt war. Er zuckte bei der Erkenntnis heftig zusammen, so als ob jemand hinter ihm laut »Buh« gerufen hätte. Vorsichtshalber scannte er den Raum noch einmal ab. Keine Schlange. Danach durchbohrte er das geöffnete Terrarium mit seinen Blicken. Er kannte das aus dem Zoo. Zuerst fand man die Schlange nicht, die es sich gut getarnt im Grünzeug gemütlich gemacht hatte. Hatte man sie dann einmal entdeckt, wunderte man sich, wie man so blind gewesen sein konnte. Er blinzelte und traute sich ein Stück in den Raum hinein. Die Tür fiel laut krachend ins Schloss, nachdem er sie losgelassen hatte, und Ben stieß vor Schreck einen Schrei aus. Er taumelte zwei Schritte nach hinten, stürzte, und fiel rückwärts mit dem Rücken an die Tür. Durch das Adrenalin in seinem Körper erlebte er jeden Moment deutlich und klar. Noch im Fallen sah er sie. Die Kobra fühlte sich offenbar durch den Radau, den er veranstaltet hatte, gestört und schaute ihn mit erhobenem Kopf durch die Glaswand des Terrariums an. Sie schien nicht angriffslustig, eher neugierig.

      Vielleicht hatte sie gar kein Gift mehr, mutmaßte Ben in Gedanken, glaubte sich