Aus den Tiefen ihrer kunstvoll zugeknüpften Rocktasche förderte Dona Dolores ihre Geldbörse zutage.
Obwohl damit das vordringlichste Problem gelöst war, empfand Kati die Situation als außerordentlich peinlich.
Auch fühlte sie sich zum ersten Mal zutiefst verunsichert.
Während die Kinder unentschlossen zwischen Püppchen und Matchbox-Autos, Spiel-Uhren und Brummkreiseln, Plüschbären und Schwimmtieren schwankten, fragte sich Kati ununterbrochen, wieviel Geld sie zu Hause in ihrem Safe liegen hatte, beziehungsweise wie es um ihr Konto bestellt war, zwei Tage vor Weihnachten, acht Tage vor der nächsten Gehaltszahlung.
Um nichts in der Welt wollte sie Dona Dolores die Auslagen bis zum Ende des Monats schuldig bleiben.
Unmöglich!
Schon wegen Miguel, den sie vielleicht gar nicht bekam, wenn sie pleite war. Ohnehin mußte man damit rechnen, daß Dona Dolores sich zu Kontrollzwecken einiges einfallen ließ: kurze, unangemeldete Besuche zu jeder Tages- und Nachtzeit, beispielsweise.
Bei einbrechender Dunkelheit kehrte die kleine Schar mit Geschenken beladen munter und fidel in die Casa de Santa Monica zurück, während Kati, am Ende ihrer Kraft, Dona Dolores um eine weitere Leihgabe bitten mußte, denn wie sonst hätte sie das Taxi in die Calle Trinidad bezahlen sollen?
Als sie sich mit demütig gesenktem Kopf verabschiedete, hoffte sie zu Gott, daß dies die letzte Prüfung eines schweren Tages gewesen sein sollte.
Aber ihr Gebet wurde nicht erhört.
An der Haustür von Nummer zwölf lehnte ein Tramper-Rucksack.
Aus dem Schatten der Mauer löste sich der dazugehörige Besitzer. Ein rostroter Haarschopf leutete auf im Schein der Straßenlaterne.
Nein! Das darf nicht wahr sein! dachte Kati entsetzt.
Aber jeder Zweifel war ausgeschlossen.
Vor ihr stand in staubigen Jeans, hohen Turnschuhen, kariertem Holzfällerhemd und schwarzer Lederweste kein anderer als Achim Unger aus Battenberg.
»Gelungen!« rief er halblaut und frohlockend.
»Was?« fragte Kati verständnislos.
»Meine Überraschung! Die ganze Zeit hab’ ich befürchtet, deine Geschwister würden alles verraten! He, du!« Er umarmte sie locker. »Komm zu dir! Ich bin’s! Zwanzig Stunden im Flieger unterwegs, nur um mit dir Weihnachten zu feiern! Was ist? Freust du dich nicht?«
»Mensch, Achim«, stieß Kati gepreßt hervor, »du müßtest mich doch gut genug kennen…«
»Klar doch!«
»Um zu wissen, daß ich für Überraschungen nichts übrig habe!«
»Ach ja? Also«, er lachte sorglos, »das ist mir doch total entfallen. Aber eine Dusche und ein kühles Getränk wirst du dem armen, übernächtigten Globetrotter doch nicht abschlagen. Schließlich habe ich diesen Mammut-Trip nur auf mich genommen, um dich vor einem weihnachtlichen Tiefpunkt zu bewahren. Heimweh, Trübsinn – man kennt das doch. Um diese Zeit hängt jeder durch.«
Kati umfing ihn mit einem konsternierten Blick.
»Komm rein«, seufzte sie, denn anderes gab es in diesem Moment leider nicht zu sagen.
*
»War gar nicht leicht, dich zu finden«, erklärte Achim am nächsten Morgen, nachdem er aus einem langen, totenähnlichen Schlaf erwacht war und sich einen Toast mit Erdnußbutter bestrich, »da wir ja alle nur die Adresse der Deutschen Schule hatten. Aber«, er nahm einen Schluck Kaffee und lächelte selbstgefällig, »ein alter Pfadfinder wie ich kommt immer ans Ziel. Sehr nett hast du es hier.« Er sah sich im Patio um. »Und so praktisch. Sag mal, warum setzt du dich nicht endlich hin?«
»Weil ich keine Zeit habe«, erwiderte Kati gepeinigt, »ich muß zur Bank. Ich bin schon viel zu spät dran. Mir ist gestern mein ganzes Bargeld geklaut geworden. Wenn ich jetzt nicht sofort losgehe, sitze ich über Weihnachten ohne einen Peso da. Falls du noch nichts umgewechselt hast, gilt das auch für dich. Die Banken sind ab heute nachmittag geschlossen.«
»Nö, nö, mit dem Nötigsten bin ich versorgt, und viel brauche ich ja nicht.«
Er zwinkerte Kati entwaffnend zu, füllte seine Tasse aus der Glaskanne ein zweites Mal und griff nach einer weiteren Toastscheibe.
»Paß mal auf, Achim«, begann sie, von einem Fuß auf den anderen tretend, »ich will dich nicht vertreiben, nur – also, um es kurz zu machen – ich habe schon etwas vor für die nächsten Tage.«
Er hob den Kopf, umgläubig, verwundert.
»Na wenn schon. Laß dich von mir nicht stören.«
»Das ist leichter gesagt, als getan. Du kannst nicht hier bleiben, denn ich bekomme Besuch.«
»Ach nee«, murmelte Achim verblüfft. Seine Selbstsicherheit schwand.
»Herrenbesuch?« fragte er mit gedrosselter Stimme.
»Ja. Er heißt Miguel und ist zehn Monate alt.«
Achim lachte auf.
»Ein Baby! Meine Güte! Du hast ja wirklich einen Komplex, Kati!«
Sie starrte ihn feindselig an.
»Statt uns ein paar schöne Feiertage zu machen«, fuhr er mit schwerer Stimme fort, »fangen wir also noch einmal da an, wo wir vor einem Jahr aufgehört haben.«
»Irrtum!« unterbrach sie ihn scharf. »Gott sei Dank stehen wir nicht mehr da, wo wir vor einem Jahr standen. Ich zumindest nicht. Ich habe mich weiterbewegt.«
»Erzähl mir nichts«, brummte er, »du hast noch dieselbe fixe Idee wie damals. Ich hätte es mir denken können! Weil du nicht bereit warst, das Problem auszudiskutieren…«
»Achim, hör auf! Ich muß los! Ich habe keine Zeit, mich mit dir zu fetzen! Ehrlich gesagt – ich war froh, es nicht mehr zu müssen. Nachher, wenn ich zurück bin, suchen wir ein Quartier für dich.«
»Aber bitte keine Nobelherberge!« rief er ihr nach.
Es sollte lustig klingen und herausfordernd, wie es seine Art war.
Kati hörte den besorgten Unterton sehr wohl heraus.
Mit Übernachtungskosten hatte er nicht gerechnet. Er war ganz klar davon ausgegangen, bei ihr wohnen zu können.
Und wenn nicht – was dann?
Die obligaten Billigquartiere für junge Globetrotter gab es nicht in Montelindo, zumindest keine Jugendherbergen. Auch sprach er kein Wort Spanisch, war also in jeder Weise auf sie angewiesen, solange er im Lande blieb.
Es hat keinen Zweck, sich darüber zu ärgern, dachte Kati und konnte es trotzdem nicht unterlassen, mit den Zähnen zu knirschen, ich wünschte nur, er würde doch endlich von seinem hohen Roß steigen.
In der Bank stellte sie zu ihrer namenlosen Erleichterung fest, daß ihr Konto keineswegs so leer war wie ihr Safe.
Sie hob genügend Geld ab, um ihre Schulden bei Dona Dolores zu bezahlen und über die nächsten Runden zu kommen. Dann bat sie, telefonieren zu dürfen.
In der deutschen Botschaft meldete sich nur die Telefonistin, die nach einigem Zureden die Nummer des Strandhauses herausrückte, wo die Jungen vom konsularischen Dienst die Feiertage verbrachten.
Minuten später sprach Kati mit Christof.
»Ich kann ihn nicht bei mir behalten«, sagte sie hastig, nachdem sie das Problem Achim kurz umrissen hatte, »es ist völlig ausgeschlossen wegen Miguel. Stell dir vor, Dona Dolores kommt vorbei und findet einen Mann in meinem Haus.«
»Allerdings«, meinte Christof hörbar grinsend, »in dem Fall müßtest du wieder bei null anfangen! Aber wozu die Aufregung! Dein Freund kann doch bei mir logieren. Serafina kommt gleich. Sie hat meinen Schlüssel.