Kati brachte ein angestrengtes Lächeln zustande.
»Wie oft darf ich ihn abholen?«
»Fürs erste drei Stunden samstags und sonntags. Wir betrachten es als therapeutische Maßnahme. Sollten sie sich nicht bewähren, das heißt sollte Miguel zu sehr unter dem Hin und Her leiden, brechen wir das Experiment wieder ab.«
»In diesem Fall könnte ich ihn ja hier im Hause betreuen«, schlug Kati hastig vor.
»Wir wollen sehen«, antwortete Dona Dolores zurückhaltend.
Kati ahnte bereits, daß sie mit diesem Satz in Zukunft leben würde.
Draußen parkte ordnungswidrig, mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig der Landrover der deutschen Botschaft.
»Wie lange hat der junge Mann Ausgang?« erkundigte sich Christof, während sich Kati, mit dem Kind im Arm, im Rücksitz niederließ.
»Nur drei Stunden«, wisperte sie, »fahr los, um Gottes willen, bevor es sich Dona Dolores wieder anders überlegt!«
»Das ist ja total spannend«, murmelte Christof, das helle Haar zurückwerfend, »fast wie bei einer Entführung. Und das mit dem Auto meines Chefs.«
Er lachte, ließ den schweren Wagen auf die Straße rollen und gab Gas.
»Warum sitzt du hinten, Kati?«
»Aus Sicherheitsgründen, damit wir nicht von der Polizei angehalten werden. Ich kann mir kein Risiko leisten.«
»Meinst du im Ernst, die Polizei hat nichts anderes zu tun, als uns zu stoppen, nur weil du mit einem Baby auf dem Beifahrersitz hockst? Wo sie jeden Pickup durchgehen läßt, der mit Kindern beladen durch die Gegend braust! Du bist hier in Montelindo, Kati, nicht in Battenberg.«
»Egal. Ich halte mich lieber an meine Regeln, als an gar keine.«
»He, du«, er warf ihr einen verwunderten Blick durch den Rückspiegel zu, »was ist? So kenne ich dich ja gar nicht! Du bist ja richtig verunsichert. Hat sie dich durch die Mangel gedreht, die alte Ziege in ihrem schwarzen Habit?«
»Sei still«, Kati senkte ganz unwillkürlich die Stimme, »sie tut nur, was sie tun muß. Das ist ja wirklich mein Problem. Verstehst du?«
»Nein«, sagte Christof und bog von der Hauptverkehrsstraße ab, in dem er einen Arm aus dem offenen Fenster streckte und die Hupe dröhnen ließ, »vor allem habe ich nie verstanden, daß sie sich nicht anders anzieht – bunter, fröhlicher! Sie sieht immer aus, als ginge sie zu einer Beerdigung, und genau die Stimmung verbreitet sie auch. So was müßte verboten sein! Jedenfalls in einem Waisenhaus, wo schließlich nur Kinder leben, die es schon schwer genug haben, auch ohne daß sie jeden Tag so eine Trauerweide sehen.«
»Dona Dolores hat eine schwere Aufgabe, Christof, ich sag’s ja nur ungern, aber es ist die Wahrheit!«
»Sie macht es sich absichtlich schwer«, gab er grimmig zurück, »was noch nicht das Schlimmste ist. Aber sie macht es auch den Kindern schwer. Immer schon habe ich meiner Mutter vorgeworfen…«
Er brach ab und schüttelte resigniert den Kopf.
»Was hast du ihr vorgeworfen?« fragte Kati eindringlich aus dem Rücksitz.
»Daß sie ihren Einfluß auf Dona Dolores nicht genügend geltend macht. Aber das ist nur einer unserer Streitpunkte gewesen.«
»Gewesen?«
»Ja, ich diskutiere nicht mehr mit ihr. Sie hat es aufgegeben, mich wegen meiner Rollerfahrerei und meiner Happy Hours zu nerven, und ich lasse sie dafür mit meiner Kritik an ihren guten Werken in Ruhe. Auf diese Weise bringen wir es fertig, einmal in der Woche miteinander zu essen, ohne uns gegenseitig den Appetit zu verderben. Übrigens – wir sind gleich zu Hause. Willst du den jungen Mann über die Schwelle tragen, oder soll ich es tun?«
»Ich natürlich, und du wäschst dir schon mal die Hände, falls du ihn anfassen willst!«
»Himmel! Muß ich mich vielleicht auch noch umziehen? Und Chico die Zähne putzen, bevor er sein Futter kriegt?«
»Du könntest ihn baden«, meinte Kati ungerührt, »das würde ihm nicht schaden und dir auch nicht.«
Mit dem Kind auf dem Arm kletterte sie aus dem Rücksitz, nestelte ihren Schlüssel aus der Tasche und sah sich nach Christof um.
»Ich glaube, ich lasse dich jetzt erst mal mit deinem Wunschkind allein«, sagte er augenzwinkernd.
Kati nickte ihm dankbar zu. Immer dann, wenn man es gar nicht erwartete, konnte Christo sehr verständnisvoll sein.
Stumm, mit weit geöffneten Augen nahm Miguel die neue Umgebung in sich auf. Langsam, mit sanften, federnden Schritten trug Kati ihn durch die Räume, durch den Patio, hinaus ins Vordergärtchen und wieder zurück ins Haus.
Beim Anblick des Landrover, der dicht vor dem Eingang parkte, belebte sich sein Blick, aber er blieb stumm. Erst etwas später, als er auf Katis Schoß sitzend nach einer Flasche griff, die gesüßten Tee enthielt, stieß er ein erfreutes Gurgeln aus. Alle Laute schienen tief aus seiner Kehle zu kommen, und alle Bewegungen schienen unkontrolliert. Immerhin, der Griff seiner fahrigen Händchen nach der Flasche gelang ihm schließlich doch.
Vorsichtshalber hatte sie nicht nur eine weiche, blauweiß karierte Babydecke gekauft, sondern auch eine Isoliermatte, die sie zuunterst auf den Rasen legte. Im Sonnenschutz des vorspringenden Ziegeldachs, so, daß seine Äuglein nicht ins grelle Licht blickten, begann Kati zaghaft mit den gymnastischen Übungen, die seinen Rücken und seine Glieder stärken sollten.
Zwar war sie im kinderärztlichen Zentrum bereits mehrfach angeleitet worden, aber nicht am lebenden Objekt, sondern an einer Puppe. Der Unterschied war so gravierend, daß Kati ratlos die Hände wieder sinken ließ.
»Na, wie geht’s beim Bodybuilding?« fragte eine Stimme aus den Höhen der Mauer, auf der sich Christof rittlings niedergelassen hatte.
»Ach, weißt du, das ist gar nicht so einfach. Irgendwie traue ich mich nicht, richtig ranzugehen.«
»Warum nicht? Du hast es gelernt! Und er ist nicht aus Zucker. Kleine Babys sind von Natur aus enorm gelenkig. Du kannst nicht viel falsch machen.«
»Das sagst du! Wieviel Zeit haben wir noch?«
»Ungefähr vierzig Minuten. Aber sie werden dich nicht gleich mit der Polizei suchen, wenn du um ein Viertelstündchen überziehst.«
»Kommt nicht in Frage! Solange ich mich strikt an die Anweisungen halte, kann nichts passieren. Ich darf ihnen nur keinen Grund geben, alles rückgängig zu machen. Dona Dolores kann ihre Erlaubnis von einem Tag auf den anderen zurückziehen. Das weißt du doch.«
Christof seufzte, schwang beide Beine über die Mauer und hangelte sich neben Kati auf den kleinen Rasen.
»Komm, entspann dich mal«, sagte er halblaut und legte ihr eine Hand um den Nacken, »wenn du so weitermachst, muß ich mit dir auch bald gymnastische Übungen veranstalten.«
Er massierte sanft ihre Schultern und murmelte mitfühlend: »Na na na, du bist starr vor Angst, stimmt’s? Glaub mir, ich weiß, wie das ist. Jedes mal, wenn ich mir zuviel vorgenommen habe, geht es mir genauso. Bei dir liegt der Fall noch komplizierter, weil du so perfektionistisch bist.«
»Bin ich das?« fragte Kati mit flacher, erstaunter Stimme.
»Klar. Hat dir das noch niemand gesagt?«
»Nicht, daß ich wüßte!«
»Du gehst anscheinend nur mit Leuten um, die dich nicht kennen.«
»Haaa! Aber du kennst mich, was?«
»Ja, sicher, wenn auch nicht gut genug. Aber was soll’s. Wir haben Zeit. Wir werden daran arbeiten.«
Er lachte, als Kati empört den