Die Vampirschwestern 11 - Vorsicht, bissiger Bruder!. Franziska Gehm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Gehm
Издательство: Bookwire
Серия: Die Vampirschwestern
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783732004492
Скачать книгу
der Geburt seiner Tochter, verdammt, seines Sohnes, kaum noch ein Auge zubekommen. Egal, wie herrlich hell es draußen und wie bequem sein Sarg im Keller auch war. Egal, ob Tag oder Nacht, ob warm oder kalt, der Vater der Vampirschwestern fand keinen Schlaf.

      Selbstverständlich erging es vielen Eltern mit einem zehn Monate alten Baby so. Doch das Baby im Haus der Familie Tepes hatte damit nichts zu tun. Das heißt, auf gewisse Weise schon. Mihai Tepes machte sich Sorgen um seinen Sohn. Sein Sohn, der niemals ein Sohn hätte sein dürfen.

      Noch immer konnte es Mihai nicht fassen. Mehrmals am Tag, bei jedem Windelwechsel, sah er den nackten Tatsachen ins Auge. Dr. Chivu hatte recht gehabt. Die Sache war leider eindeutig. Spätestens als Franz ihn beim Wickeln in hohem Bogen anpullerte, als wollte er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr bewerben, konnte es Mihai nicht mehr leugnen. Seine Tochter war ein Sohn.

      Was Mihai Tepes nicht davon abhielt, ihn Olga zu nennen. Bis auf den kleinen Schönheitsfehler, dass Olga ein Junge war, war er einfach nur wundervoll, entzückend, zum Über-und-drüber-Verlieben, fand Mihai. Diese feinen Härchen an den Öhrchen! Diese lustigen, brabbelnden Geräusche! Diese glänzenden, unschuldigen Augen! Am liebsten hätte er seinen Olga stundenlang gekitzelt, geküsst und liebevoll gebissen.

      Doch was viele Menschen nicht wissen: Auch Vampire müssen zur Arbeit gehen. Schließlich wollen sie sich ab und zu mal einen neuen Sarg und einen neuen, modischen Umhang leisten oder ihre Frauen mit einer Blutwursttorte erfreuen.

      Mihai Tepes arbeitete am Institut für Rechtsmedizin in Bindburg. Freiwillig hatte er als einziger Angestellter die Nachtschichten übernommen. Nachts war Mihai grundsätzlich besser in Form. Und so kam er nicht in Versuchung, einen der gut durchbluteten Kollegen anzuknabbern. Außerdem konnte er sich unbemerkt am gut gefüllten Laborkühlschrank bedienen, in dem Blutproben aller Blutgruppen ordentlich beschriftet lagerten. Kurzum: Es war ein Traumjob!

      Deshalb war Mihai normalerweise auch immer bestens gelaunt auf dem Weg ins Institut. Meist flog er über das nächtliche Bindburg hinweg und sang leise sein liebstes Heimatlied: Transsilvania, Rodna Inima moi.

      Die monatelange Schlaflosigkeit hatte Mihai Tepes inzwischen aber so sehr geschwächt, dass an entspanntes Fliegen über eine so weite Strecke kaum zu denken war, geschweige denn an melodisches Singen. So übermüdet, wie er war, würde er womöglich abstürzen und mitten in einem deutschen Wohnzimmer vor dem Fernseher auf dem guten Teppich landen.

      So kam es, dass Mihai Tepes sich in dieser Nacht zu Fuß auf den Weg ins rechtsmedizinische Institut machte. Natürlich hätte er auch den alten Dacia nehmen können. Da er aber nie schneller als 30 km/h fuhr und nicht sonderlich gut einparken konnte, ließ er das Auto lieber stehen. Vielleicht würde ihn die frische Nachtluft auch wieder etwas aufmuntern.

      Der Vater der Vampirschwestern schloss die Haustür und ging kurz darauf mit schleppenden Schritten am Haus von Dirk van Kombast vorbei. Er würdigte es keines Blickes. Zwar war der Nachbar oft Grund zur Beunruhigung gewesen, doch in letzter Zeit hatte Mihai ganz andere Sorgen. Viel größere Sorgen. Eben solche Sorgen, die einem ausgewachsenen Vampir zehn Monate lang den Schlaf raubten.

      Mihai drohte seine eigene Vergangenheit einzuholen. Und wenn man ein Vampir von 2679 Jahren war, hatte man jede Menge Vergangenheit.

      Über den von Mihais Schwiegervater bei jeder Gelegenheit angebrachten Spruch „Früher war alles besser“ konnte Herr Tepes nur den Kopf schütteln. „Früher war alles finsterer“, murmelte er gedankenversunken vor sich hin, als er jetzt auf dem Weg ins Institut war.

      Es war etwas unglaublich Finsteres, was sich aus Mihais Vergangenheit seit ein paar Monaten in sein Leben drängte und einen düsteren Schleier über jedes Lächeln seiner Tochter, Gumox!, seines Sohnes legte.

      Mihai hatte niemandem davon erzählt. Weder seiner Frau noch seiner Mutter noch seinem Bruder. Noch nicht einmal seinen geliebten Rennzecken. Schwer wie zehn Särge lastete die dunkle Vergangenheit auf Mihais Schultern. Er spürte sie bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug. Doch seine Familie durfte niemals davon erfahren. Eher würde Mihai sich in eine Badewanne voller Weihwasser legen und sich von oben bis unten mit Knoblauchseife einschmieren.

      Herr Tepes bog gerade in einen Kiesweg, der eine Abkürzung war und zwischen zwei Gartengrundstücken zur Hauptstraße führte. Der Weg war nicht beleuchtet. Nur von der Hauptstraße aus fiel von den Straßenlaternen noch ein schwaches Licht auf den schmalen Pfad. Mihai Tepes hatte diese Abkürzung schon oft genommen. Als Vampir fürchtete er keine dunklen Gassen. Im Gegenteil, dort fühlte er sich besonders wohl. Doch als er jetzt einen Fuß nach dem anderen auf den knirschenden Kies setzte, bebten seine Nasenflügel vor böser Vorahnung. Und seine Nasenflügel irrten sich nie.

      Mihai hatte gerade die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht und konnte bereits die Autos auf der Hauptstraße hören, als es rechts von ihm knackte. Im selben Moment trat eine Gestalt hinter einer Hecke hervor. Sie hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen. Alles, was man erkennen konnte, war der Umriss einer Nase.

      Herr Tepes erstarrte. Statt wegzulaufen, oder noch besser, wegzufliegen, sah Mihai den Mann mit Entsetzen an. Viel war in der Dunkelheit und wegen des großen Huts nicht zu erkennen. Trotzdem wusste Mihai sofort, wen er vor sich hatte. Ein Schauder lief ihm über den Lakritzschnauzer und bis in die Eckzähne. Es war so weit. Sie hatte ihn eingeholt: seine dunkle Vergangenheit.

      „Sie wissen, warum ich hier bin?“, fragte der Mann mit dem Schatten auf dem Gesicht. Seine Stimme klang wie ein altes, knarrendes Zahnrad.

      Mihai rührte sich nicht.

      „Wir haben eine Abmachung. Sie haben mir etwas versprochen. Oder haben Sie es etwa vergessen, nur weil es schon über hundert Jahre her ist?“

      Mihai hatte nichts vergessen. Nicht das kleinste Detail der Abmachung. War es doch genau diese Abmachung, die ihn seit Monaten keinen Schlaf mehr finden ließ. Er wusste genau, was sein Gegenüber wollte. Und er wusste, dass er nichts unternehmen konnte, dass ihm all seine Vampirkräfte nichts nützten. Dieser Mann hatte ihn in der Hand. Mihai hatte einst geschworen, sich an die Abmachung zu halten. Jetzt war die Zeit gekommen: Er musste sein Versprechen einlösen. Doch das konnte er nicht. Es würde ihm das Herz zerreißen und auch das seiner Frau.

      Deutlich war der Atem der dunklen Gestalt zu hören. Er rasselte und erinnerte an eine raue, einsame Winternacht. Eine Nacht, in der das Schicksal eines kleinen Vampirs besiegelt worden war. „Damals haben Sie mir Ihr Wort gegeben. Das Ehrenwort eines Vampirs.“

      Mihai schluckte. Sein Hals war so eng, er hatte das Gefühl, er müsse ersticken. „Ich weiß. Ich halte mein Wort. Ähm … vielleicht könnten wir die Abmachung nur ein klein wenig abändern.“

      „Ändern? Wieso?“

      „Es kann ja sein, dass sich Ihre … Ihre Bedürfnisse in all den Jahren geändert haben. Vielleicht kann ich mein Versprechen mit etwas anderem einlösen. Geld zum Beispiel. Ein Weltrundflug. Oder ein schöner Eichensarg.“

      „Ich brauche ganz sicher keinen Sarg. Unsere Vereinbarung ändert sich auch nach Hunderten von Jahren nicht. Und laut Abmachung gehört er mir: der erstgeborene Sohn. Ihr Sohn.“

      Mihai schnappte nach Luft und suchte nach Worten. „Was ich verspreche, das halte ich auch“, brachte er schließlich heraus. „Also … würde ich zumindest gerne. Hätte ich denn einen Sohn. Aber leider, leider habe ich nur drei entzückende Töchter: unsere Zwillingsmädchen und der … ähm, die süße Olga.“

      Der Atem rasselte noch lauter. „Sie wagen es, mich zu belügen?! Ich weiß genau, dass Sie einen Sohn haben. Und Sie wissen genau, dass er mir gehört!“

      Mihai hob beschwichtigend die Hände. Seine Finger zitterten. Die Vergangenheit hatte ihn nicht nur eingeholt, man konnte sie offenbar auch nicht belügen. „Mein Sohn. Ja, natürlich. Er gehört Ihnen, keine Frage. Sie werden ihn bekommen. Nur … vielleicht … nicht jetzt gleich, nicht sofort, meine ich.“

      „Sie hatten bereits zehn Monate Zeit.“

      „Eben, da kommt es auf einen Tag früher oder später doch auch nicht an.“ Mihais Stimme klang viel zu hoch für seinen Geschmack.

      „Sie wollen Aufschub?“

      „Bitte,