DER LETZTE ATEMZUG. Robert Brown. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Brown
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352131
Скачать книгу
Sie, Carl«, sage ich, bevor ich den Riegel anhebe, das Schloss wieder einhänge und bei offenem Tor zuschließe, wobei ich meine Glock 27 zwar die ganze Zeit auf Hüfthöhe halte, aber sie trotzdem auf ihn richte. »Ihre Frau ist verletzt, und meine Frau ist die Krankenschwester, von der Sie gesprochen haben. Je schneller ich also meine Familie wieder hinter diesen Zaun bringen kann, desto eher kann sich meine Frau auch daran machen, Ihrer Frau zu helfen, okay?«

      So, denke ich dann. Jetzt bin ich auf dem Gelände, und das Tor steht auf. Falls jetzt etwas geschieht, wird er es nicht mehr schließen können, schon gar nicht, wenn er unter Beschuss steht.

      Endlich scheint er sich ein wenig zu beruhigen. Das sehe ich daran, dass er tiefer durchatmet und tatsächlich einen klareren Blick zu bekommen scheint, statt ununterbrochen hierhin und dorthin zu starren. Dieser Mann benimmt sich unleugbar wie jemand, dem seine gewohnte Medikamentendosis fehlt.

      »Carl, im Haus ist noch jemand, richtig? Ich werde ihn oder sie herausrufen, in Ordnung?«

      »Greg«, antwortet er. »Greg ist im Haus.«

      Normalerweise halte ich nicht viel von Murphys Gesetz, schließlich könnte ich mich in Anbetracht des Glücks, das ich und meine Angehörigen bisher hatten, nicht ernsthaft als vom Pech verfolgt betrachten, doch diese spezielle Begegnung verläuft ganz und gar nicht nach meinen Vorstellungen. Ich rufe nun nach dem anderen Mann, der nach unserem lauten Austausch eigentlich längst draußen sein sollte: »Hey Greg, komm mal herunter. Ich bin es, Eddie Keeper. Wir sind zurück.«

      In diesem Moment sehe ich, dass Carl der Verband an meinem linken Arm auffällt. Er macht große Augen, und an seinem Gesichtsausdruck lässt sich nachvollziehen, wie seine Fügsamkeit einem Groll weicht – genau genommen einem hasserfüllten Groll, der einen Glauben macht, er werde gleich aus der Haut fahren.

      »Sie wurden gebissen! Sie wurden gebissen!«, fängt er an, stumm zu wiederholen, findet seine Stimme beim dritten Versuch aber endlich wieder und schlägt einen verächtlichen und vorwurfsvollen Ton an, der ihn verglichen mit dem Mann, den ich zuerst angetroffen habe, wie ausgewechselt wirken lässt. »Sie wurden gebissen, nicht wahr? Sie wollen sich hier einschleichen und uns alle umbringen!«

      Angesichts all seiner seltsamen Anwandlungen und Reaktionen bin ich mir plötzlich sicher, dass er ein Junkie ist. Somit bleibt also nur noch zu hoffen, dass die Symptome oder Probleme, die ihm zu schaffen machen, so harmlos sind, dass er seinen Verstand noch gebrauchen und logische Schlüsse ziehen kann. Ich möchte nämlich niemanden erschießen müssen, der in meinem Haus von Frau und Sohn erwartet wird. Bitte, das muss jetzt einfach gut gehen.

      »Carl, bitte beruhigen Sie sich. Ja, ich wurde gebissen, aber schon vor fünf Stunden. Ich habe mich nicht sofort verwandelt, was bedeutet, dass ich noch ungefähr eine Stunde habe, bis ich fiebrig werde. Zuvor muss ich aber meine Frau und die Kinder ins Haus bringen, denn von ihnen ist keiner verletzt worden.«

      »Was?«, braust er auf.

      Er scheint nun endlich ansprechbar zu sein, ich hätte mir allerdings eine andere Reaktion gewünscht …

      »Sie labern doch nur Scheiße. Wahrscheinlich wohnen Sie nicht einmal wirklich hier, Sie Dreckskerl.«

      Ich muss ihm die Pistole nun vor die Brust halten, da er einen Schritt auf mich zugehen will.

      »Carl, ich habe gerade das Tor aufgesperrt. Ich hätte doch wohl keinen Schlüssel, wenn ich nicht hier wohnen würde.« Mein Zug ist wohl abgefahren. Meine letzte Hoffnung darauf, ihn in Ruhe zur Räson bringen zu können, hat sich gerade eben zerschlagen.

      »Sie lügen doch wie gedruckt!«, brüllt er. »Genauso wie alle anderen denken Sie: Den kann man übers Ohr hauen, weil er nicht immer ganz klar bei Trost ist. Ich habe Sie aber entlarvt, mir ist sonnenklar, wie das laufen soll. Sie wurden gebissen, und niemand wird hier mit Ihnen reinkommen.«

      Das ist einfach Mist … Ich mache mir die Mühe, mit meiner Familie auf Vorratssuche zu gehen und hoffentlich auch Neuigkeiten über die allgemeine Situation zu erfahren, muss dann aber bei unserer Rückkehr, nachdem ich von einem Infizierten angefallen wurde, nur um wieder in mein eigenes Haus gelangen zu können, mit einem verdrehten Dahergelaufenen diskutieren, der wahrscheinlich sogar drogenabhängig ist. Carl mag sich bislang zwar launisch verhalten haben, doch ich verstehe seine Angst vor jemandem, der sich eine Bisswunde zugezogen hat, durchaus. Trotzdem gibt er mir unabhängig von seinen persönlichen Schwierigkeiten auf keineswegs zweideutige Weise zu verstehen, dass wir beide vollkommen gegensätzliche Ziele und Wünsche verfolgen. Darum muss er so schnell wie nur möglich verschwinden, nachdem ich ihn in meine Gewalt und meine Familie anschließend sicher auf den Hof gebracht habe. Deshalb hake ich den Zeigefinger, den ich noch gerade ausgestreckt habe, jetzt am Abzug ein.

      Nun kommt Greg aus dem Haus, der offenbar gerade im Keller gewesen ist, weshalb er mich nicht gehört hat, und mich jetzt bei Carl sieht, wie ich später herausfinden werde.

      Er ruft meinen Namen.

      In der Sekunde, als ich den Kopf nach rechts drehe, um zu ihm hochzuschauen, tritt Carl vor, greift nach meiner Waffe und versucht, sie mir zu entreißen. Ich drücke ab, noch während ich den Blick von Greg abwende, und treffe den Oberkörper rechts über der Stelle, wo die Brustwarze ist. Hannahs Kugel schlägt ebenfalls rechts ein, und zwar ungefähr sechs Zoll unter der Achselhöhle, bevor sich Carls Hand von meiner Glock löst. Am Schluss macht er ein entgeistertes und verdutztes Gesicht und kippt mit einem leichten Linksdrall rückwärts um.

      Was passiert ist, nehme ich nur in Zeitlupe wahr, und jetzt wird mir klar, dass auch ich hinterher mehrere Sekunden weggetreten sein muss, denn Greg kniet jetzt schon am Boden und untersucht Carl. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er vom Haus hierher gelaufen ist. Als ich schließlich wieder geistesgegenwärtig bin, lasse ich die Wut an meinem Mitbewohner aus.

      »Greg! Wo zur Hölle bist du gewesen? Ist alles in Ordnung hier auf dem Gut? Warum in drei Teufels Namen habt ihr diesen Kerl denn reingelassen? Das war doch ganz offensichtlich ein Junkie! Was ist denn hier los, Mann?«

      Meine Wut stößt Greg leicht vor den Kopf, zumal er mit angesehen hat, wie ich Carl erschossen habe. Trotzdem ringt er sich stammelnd ab: »Ja, allen geht es gut … glaube ich zumindest, mal abgesehen von Carl. Warum musstest du ihn denn erschießen?«

      »Meinst du das etwa ernst? Er wollte meine Pistole nehmen und hat sich aufgeführt, als leide er unter schweren Entzugserscheinungen. Er war vollkommen wirr im Kopf und außerstande, sich zusammenzureißen.«

      Ein Blick genügt, um zu sehen, dass Carl so gut wie tot ist – noch nicht, aber innerhalb der nächsten Sekunden. Sein Körper schaltet langsam ab, er starrt ins Leere, während Blut aus seinem Mund fließt und die Luft mit leisem Gluckern aus seiner Lunge entweicht. Hemd und Brust sind rot getränkt. Selbst wenn es nur mein Schuss gewesen wäre, wären seine Überlebenschancen sogar unter normalen Umständen in einem vollausgestatteten Krankenhaus nach einem Treffer aus unmittelbarer Nähe mit einer Kaliber-.40-Kugel gering gewesen. Bedenkt man aber die .22er-Patrone, die in seine Seite geschlagen ist und wahrscheinlich das Herz erwischt hat, gibt es nichts, was wir noch für ihn hätten tun können, selbst wenn wir alle Fachärzte gewesen wären.

      Ich weiß, dass ich wegen des Toten auf meinem Hof ein schlechtes Gewissen haben oder Trauer empfinden sollte, aber momentan geht es mir nur darum, meine Familie hinter den inneren Zaun zu bringen, und jetzt sogar umso schneller, weil wir hier draußen zwei Schüsse abgegeben haben. Für gewöhnlich treiben sich die Infizierten nicht in dieser Gegend herum und haben sich auch im weiteren Umkreis rargemacht, weshalb wir auch unsere Suchen ausweiten konnten, doch das bedeutet nicht, dass wir gänzlich von ihnen verschont bleiben. Fast wäre ich zu behaupten verleitet, gesunde Menschen stellen wieder die größte Bedrohung für unser Fortbestehen dar, doch dann fällt mir der Läufer wieder ein.

      »Greg, ich weiß, dass das alles ein bisschen viel auf einmal ist, aber wir müssen uns beeilen. Simone und die Kinder sind oben am Waldrand. Wir haben Vorräte auf den Rädern und Anhängern, doch am Wichtigsten ist, dass ich gebissen wurde!« Ich zeige ihm meinen Arm, woraufhin er den Kopf ein wenig hängen lässt und ihn schüttelt. »Wir müssen sie