»Wir könnten die Räder und Hänger hierlassen, dann sind wir schneller. Wenn wir uns beeilen, könnten wir es in zwei Stunden schaffen, falls wir das wollen«, schlägt Olivia vor.
»Ich werde nicht die ganze Bogenausrüstung einfach aufgeben, denn in ihr liegt die Zukunft unserer Verteidigung. Zügiger heimzukommen wäre natürlich angebracht, wenn ich aufgrund meiner Verletzung schneller Hilfe bräuchte«, erwidere ich, »aber eure Mom hat sie nicht weniger gründlicher desinfiziert, wie wir es auch zu Hause hätten tun können, und sie näht die Wunde gerade. Uns bleibt also noch eine Menge Zeit, um es mit allem zu schaffen, was wir zusammengesucht haben. Außerdem befürchte ich sowieso, dass sich der Parasit rascher ausbreiten wird, wenn ich mich zu sehr anstrenge. Ich würde also lieber so ruhig wie möglich bleiben, um sicherzugehen, dass ihr alle unbescholten heimkommt.«
»Dass wir alle unbescholten heimkommen«, berichtigt mich meine Frau.
»Reißen wir uns einfach zusammen und nehmen uns vor, unser Zuhause heil zu erreichen, in Ordnung?« Ich lächele, nachdem ich es gesagt habe, bin aber insgeheim besorgt und sehe an Simones Blick, dass es ihr ebenso geht. Um sie aufzuheitern, füge ich deshalb hinzu: »Wir sollten uns merken, wo dieser Schuhladen steht, damit wir uns, wenn wir das nächste Mal hier entlangkommen, mit Ersatzpaaren für alle eindecken können, und überhaupt um bei allem aufzustocken und in Zukunft etwas zum Tauschen zu haben.«
Normalerweise hätte ich ihnen nahegelegt, dass wir sofort alles durchsuchen sollen, um alles Brauchbare zusammenzutragen, aber ich will das Risiko vermeiden, sie nicht nach Hause und zu den anderen Familien bringen zu können, bevor ich Fieber bekomme. Außerdem sind unsere Fahrräder und Anhänger sowieso schon voll beladen mit allem, was wir bereits gefunden haben, also steht das Stapeln von Schuhkartons definitiv außer Frage, falls wir nichts anderes zurücklassen möchten.
Als wir den Laden und die drei leblosen Körper davor hinter uns lassen, schweife ich in Gedanken ab zu glücklicheren Zeiten unseres Lebens. Ein großer Lichtblick infolge der Apokalypse ist auf jeden Fall die gesündere Ernährung. Klar vermisse ich Fast Food oder Schokoladenkringel, und meine Frau sehnt sich unglaublich nach Eiscreme, aber da wir immer irgendwie mit einem Debakel gerechnet haben, horteten wir schon länger Nahrungsmittel und sind deshalb nun recht gut versorgt. Zu Hause haben wir eimerweise abgepackten Reis, Bohnen und Trockenkartoffeln, Tausende Konserven, Gläser und Dosen mit Rindfleisch, Geflügel, Fisch und die gleiche Menge – falls nicht sogar noch mehr – Gemüse und Obst. Sehr wichtig finde ich es auch, dass wir auf eine Fülle von Gewürzen verschiedener Art zurückgreifen können, um keinen ungesalzenen Reis oder fades Hühnchen essen zu müssen.
Mir ist bewusst, dass Tausende, wenn nicht sogar Millionen von Menschen momentan nicht nur versuchen, den Infizierten zu entrinnen und dieses Weltuntergangsszenario auszusitzen, sondern währenddessen auch Hunger leiden. Sie tun mir leid, ganz ehrlich, und wenn uns gute Leute über den Weg gelaufen sind, haben wir ihnen nach Möglichkeit auch immer geholfen, indem wir uns bemüht haben, ihnen den richtigen Weg in ein neues Leben zu zeigen, falls sie nicht bereit oder außerstande gewesen sind, bei uns auf der Ranch zu bleiben. Andererseits mag ich zwar großes Mitgefühl für die Bedürftigen der Welt empfinden, habe aber auch eine weniger teilnahmsvolle Seite, die sich von jeher gewünscht hat, dass sich die vorherrschenden Umstände verschlimmern würden … nicht in solchem Maße, aber wenigstens so weit, dass sich die Menschen wieder daran entsinnen, wie kostbar das Leben ist, und es wieder zu schätzen lernen, was sie besitzen.
Wenn ich an Lebensmittel denke, muss ich kurz lachen und rufen: »Simone, wenn wir wieder daheim sind und das Fieber überstanden ist, hätte ich gern ein richtig fettes Steak.«
»Hoffentlich vom Rind«, entgegnet sie – eine Anspielung darauf, dass ich im Zuge der Erkrankung Menschenfleisch wollen könnte.
Wir beide amüsieren uns köstlich darüber, doch die Kinder können oft nicht nachvollziehen, warum wir manche Dinge witzig finden.
Auf dem letzten Abschnitt unseres Nachhausewegs geschieht im Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand der Welt nur wenig. Wir begegnen niemand Gesundem und müssen nur noch eine weitere Infizierte umbringen. Ich führe unsere Gruppe an und schaffe es, sie sauber mit Hannahs Hacke zu fällen; das ist ein langer Reifenhebel ohne Winkelansatz, den wir ebenfalls zugespitzt haben. Das Ende geht glatt durch den Kopf der Frau – links neben der Nase rein und hinten wieder raus. Sie ist etwa 1,70m groß und wiegt vielleicht hundertzwanzig Pfund, also halte ich es für ratsam, in Bewegung zu bleiben und kurzen Prozess mit ihr zu machen, sobald wir nahe genug an ihr dran sind. Die Leiche zu durchsuchen ist unnötig, weil sie dem Anschein nach, beim Ausruhen zu Hause angefallen und infiziert wurde, denn sie trägt noch einen zerfetzten Pyjama.
Im Laufe des vierstündigen Marsches lasse ich die Ereignisse der vergangenen fünf Tage, als wir weg von zu Hause waren, immer wieder Revue passieren. In erster Linie natürlich das, was heute geschehen ist. Auf der Ranch haben wir im Laufe der Zeit schon viele Mitbewohner an die Seuche verloren, genauso wie insgesamt ein Großteil der Menschheit davon befallen ist oder dahingerafft wurde. Aber egal, wie schlimm es bislang ausartete, bestand doch stets die Hoffnung, sie auszurotten und einen Neuanfang machen zu können. Ich weiß allerdings nicht, inwieweit wir noch hoffen können, wenn die Infizierten jetzt rennen und ihre Hände zu mehr als grundlegenden Greifbewegungen gebrauchen können. Werden sie irgendwann auch lernen, wie man Tore und Zaungatter öffnet? Wäre es denkbar, dass sie Werkzeuge einsetzen, um Verteidigungsmaßnahmen zu überwinden? Wie viele Läufer gibt es schon dort draußen? Zu viele Fragen und kaum eine Antwort …
Simone und ich haben eine ganze Weile gebraucht, bis wir verwunden hatten, dass es sich bei diesen Gestalten nicht mehr um Menschen handelt. Wir hielten und halten weiter an der reuevollen Vorstellung fest, dass es nach Ausbruch des Fiebers einfach Hirngeschädigte waren – Behinderte mit einem extremen Hang zur Gewalt, aber nichtsdestotrotz Menschen, die in früheren Zeiten wegen schlimmer Leiden oder Erkrankungen behandelt worden wären. Wer nun davon betroffen ist, hätte die gleichen Rechte und Schutz genossen wie alle anderen Bürger dieser ehemaligen Vereinigten Staaten. Womöglich wäre es auch wirklich genau so gekommen, hätte sich die Sache nicht so schnell und verheerend ausgebreitet; ein Haufen durchgedrehter Brutalos, die in Kliniken eingesperrt und regelmäßig von Angehörigen besucht werden würden.
Unsere Kinder scheinen keine Schwierigkeiten damit zu haben, das Ganze zu verdauen. Sie sind noch jung, also lern- und aufnahmefähiger, was diese neuen Lebensinformationen angeht. Unsere älteren Kinder schienen innerlich förmlich einen Hebel umzulegen, woraufhin sie es einfach so hinnahmen. Im Grunde genommen hätte es mehr Geschrei und Geheule geben sollen, doch auch wenn es nicht vollkommen ausblieb, war es weitaus weniger, als ich selbst gedacht hätte.
Als verantwortungsbewusster Vater hatte ich mir auch schon vor dem Zerfall Erwachsenenfilme mit den Kindern angesehen. Ich habe ihnen von den Zombie-Romanen erzählt, die ich gelesen hatte, oder sie haben meine Videospiele gesehen, wo ständig Blut spritzte und Köpfe rollten. Ich habe nicht versucht, sie von der Gewalt abzuschotten, so wie es manche irrigerweise tun; vielmehr setzte ich sie ihr aus und erläuterte ihnen, was sie sahen, falls es einer Erläuterung bedurfte. Wissen ist wirklich Macht, und nicht zu wissen, wie es auf der Welt zugeht – wie brutal sie sein kann –, stellt beim Überleben ein wirkliches Handicap dar.
Als irgendwann alles kaputtging und wir endlich wussten, womit wir es zu tun hatten, belog ich meine Familie nicht, dass alles wieder gut werden würde. Ich kündigte ihnen an, dass wir kämpfen müssten, um es durchzustehen, und erklärte Hannah, Olivia und William sofort, dass uns eine infizierte Person, die sie sehen, sofort bemerken und dann töten wird, wenn sie schreien oder zu weinen anfangen. Von da an