Sie gibt mir eine harte, verbindliche Antwort, die eine Zwölfjährige nicht über die Lippen bringen sollte: »Hab's verstanden, Daddy. Bleib einfach nur aus meiner Schusslinie.«
Ich gerate immer noch ein wenig aus der Fassung, wenn ich so etwas aus dem Mund eines meiner Kinder höre. Immer wieder nehme ich mir vor, diesen jungen Menschen mehr Hochachtung dafür entgegenzubringen, dass sie mit den Zuständen in dieser Welt umgehen können. Schon vor Beginn dieses Überlebenskampfes gab es Zwölf- bis Vierzehn-Jährige, die sich wie Erwachsene grässlicher Taten schuldig gemacht haben, harte Drogen nahmen oder vergewaltigten und einander die Köpfe einschlugen. Kids und Teenager sind ebenso zu extremen Gewalttaten fähig. Meine Kinder wohnten jedoch nicht in einer Stadt, wo Gewalt an der Tagesordnung war, und pflegten auch keinen Umgang mit dem Schlag, der Verbrechen beging; das traf auf uns alle zu. Dementsprechend erschüttert mich dieser Wandel in ihnen, zum Ernst und zweckmäßigen Denken hin, wobei sie nicht einmal vor der Ermordung eines Mitmenschen zurückschrecken. Darum gilt auch das Sprichwort, die Unschuld sei stets das erste Opfer eines Krieges.
»Hannah, Olivia, William: Ich möchte, dass ihr wisst, wie stolz ich auf euch drei bin. Eure Mom und ich haben Dinge von euch verlangt und erwartet, dass ihr Verantwortung übernehmt, die für uns in eurem Alter überhaupt nicht infrage gekommen wären. Ich weiß deshalb, dass ich mich um keines meiner Kinder sorgen muss, sobald ihr wieder im Haus seid, denn ihr haltet immer zusammen und versteht euch unglaublich gut. Wenn ich euch allerdings einen letzten Rat geben darf, bevor ich losgehe, dann diesen: Bitte lasst einander in Zukunft stets wissen, was euch besorgt und womit ihr hadert, verstanden? Stellt Fragen und verlasst euch nicht immer auf den Plan, der zuerst vorgeschlagen wird. Meine eigenen Pläne sind auch nicht immer die besten. Ich vergesse oft Aspekte, die ich eigentlich hätte bedenken sollen. Solltet ihr also jemals skeptisch werden oder Vorschläge haben, seht zu, dass ihr euch Gehör verschafft, denn eure Ideen könnten eines Tages jemandes Leben retten. Nun gut, hat noch irgendjemand etwas zu sagen, bevor wir anfangen?«
Hannah hatte es offenbar. »Ich finde, ich sollte an deiner Stelle gehen, Dad. Wenn du mich fragst, greifen du und Mom nicht oft genug auf uns zurück, wenn ihr auf Fremde zugehen wollt. Wir wirken schließlich nicht so bedrohlich, und in diesem speziellen Fall könnte ich mich dem Haus nähern, ohne dass der Kerl ausflippt, wo ein anderer Erwachsener bestimmt viel eher als Gefahr angesehen werden würde.«
Ich lächele kurz Simone an und überlege schnell, wie ich Hannah die Gründe dafür darlegen soll, dass ich gehen werde und nicht sie. »Dass du weniger bedrohlich wirken würdest, ist richtig, Hannah, aber es ist ja nicht so, dass ihm dieses Grundstück gehören würde. Er ist ein Eindringling, weshalb ich sogar will, dass er sich bis zu einem gewissen Grad bedroht fühlt. Der Eindruck, den ich bei ihm hinterlassen will, und dein Laserpunkt an seiner Brust sollen ihm begreiflich machen, dass er seine Waffe besser auf den Boden legt und nichts Dummes versucht. Würdest du zu ihm gehen, wäre das genauso, als wolle man jemanden mit einer Minipistole in Schach halten. Die mag zwar genauso tödlich sein wie eine größere, doch was imposanter aussieht, wird oft auch als schwerere Bedrohung angesehen … Nimm nur den Unterschied zwischen einem kräftigen, dicken Infizierten und einem kleinen, kranken Kind. Größe trägt seit jeher im Wesentlichen dazu bei, wie wir etwas wahrnehmen.«
Sie nickt, aber ich spüre, dass sie nicht vollends überzeugt ist.
»Außerdem übernehme ich es auch aus dem Grunde selbst, weil ich gebissen wurde. Falls eine Gefahr von unserem Haus ausgeht, könnte diese so groß sein, dass niemand, der dort unten am Tor erscheint, lebendig davonkommt. Ich würde euch nur vorschicken, um mit einem Fremden zu sprechen, nachdem wir sie sehr lange beobachtet und herausgefunden haben, wie sie ihrerseits auf Fremde reagieren. Letzten Endes ist dein Leben einfach viel wertvoller als meines.« Ich mache eine Pause, ehe ich hinzufüge: »Wenn du gebissen worden wärst, würde ich dich vermutlich wirklich lassen, okay?«
Daraufhin scheinen keine Fragen mehr offen zu sein. Nach einem schnellen Ich liebe euch, seit vorsichtig und Macht es gut in die Runde begebe ich mich zum Tor und rufe: »Hallo, Sie da hinter dem Zaun.«
Wir können kurz aufatmen, denn der Mann hält sich eine Hand über die Augen, um zu den Bäumen hinüberzuschauen, wo er meine Stimme gehört hat, statt in Erwartung eines Kampfes sofort zu seiner Waffe zu greifen.
»Ich komme jetzt aus dem Wald zu Ihnen«, lasse ich ihn wissen, während ich mich lässig nähere und dabei deutlich mache, dass er derjenige ist, der sich hier zu erklären hat. »Ich heiße Eddie Keeper und bin der Eigentümer dieses Grundstücks, auf dem Sie gerade stehen. Ich komme nicht allein und möchte, dass Sie sich mir gegenüber in keiner Weise aggressiv zeigen, haben Sie mich verstanden?«
Er nickt und bejaht laut, zieht dann aber dummerweise sein Gewehr, das an einem Schultergurt an seinem Rücken hängt, und zielt damit auf mich, als ich etwa die Hälfte des Weges zwischen Wald und Zaun zurückgelegt habe. Dann sagt er, so abwegig es auch erscheinen mag: »Das ist weit genug. Jetzt sagen Sie mir, wer Sie sind.«
Na toll, denke ich. Auf meinem Grundstück steht jemand, der sich nicht daran erinnern kann, was ich ihm vor ein paar Sekunden mitgeteilt habe. Trotzdem bleibe ich stehen und erwidere: »Das sagte ich Ihnen doch bereits: Ich bin Eddie Keeper, und dieses Land gehört mir. Außerdem wollte ich, dass Sie keinerlei Aggression an den Tag legen, doch das haben Sie, weshalb Sie jetzt einmal auf Ihre Brust schauen sollten.«
Der rote Punkt lässt sich deutlich auf seinem blauen Oberteil erkennen, obwohl es noch nicht dunkel ist. Als er an sich hinunterschaut und den Punkt sieht, komme ich nicht umhin, zu grinsen. Ich schätze mal, mein Kampfunterricht mit dem Mädchen hat sich ausgezahlt, denn der Laser zielte zuerst auf seine Brust und wanderte dann langsam hinunter bis über seinen Schritt. Sein Gewehr senkt er praktisch analog zur Bewegung des Punktes.
»Also gut«, rufe ich, damit er wieder auf mich und mein erhobenes Gewehr achtet. »Ich wollte ruhig mit Ihnen umspringen, doch anscheinend sind Sie entweder außerstande oder nicht willens, Anweisungen zu befolgen. Sie werden Ihre Waffe nun langsam auf den Boden legen, vortreten und es hinter Ihnen liegen lassen. Und zwar sofort.« Diesem Befehl zumindest leistet er Folge. Ich gehe weiter, nachdem er sein Gewehr niedergelegt und einen Schritt darüber hinweg gemacht hat.
»Wer sind Sie und was haben Sie auf meinem Anwesen verloren? Wo sind die anderen Familien, die hier wohnen?«, frage ich, als ich den Zaun schließlich erreiche.
»Meine Frau wurde verletzt, und ich habe hier Hilfe gesucht. Mein Sohn Mike hat das schon gestern Abend probiert und ist auf irgendeine Samantha mit ihrem Gefolge gestoßen. Sie meinte, das hier sei Ihr Haus, und hier würde auch eine Krankenschwester wohnen, die vielleicht etwas für meine Frau tun könnte, aber diese Krankenschwester ist nicht da.«
Ich trete in Hannahs Schusslinie und strecke meinen linken Daumen nach oben aus, weil er während seiner Schilderung leicht hysterisch geworden ist. Sie soll seine fahrigen Gesten beim Sprechen nicht als Empörung deuten, da sie vom Waldrand aus, nicht hören kann, was er sagt.
»Dass Sie Angst um Ihre Frau haben, begreife ich, aber Sie sind mir immer noch Ihren Namen schuldig geblieben. Ich möchte nun mit meiner Familie zurück in unser Haus. Jetzt werde ich mir mein Gewehr wieder umhängen, eine Pistole ziehen und meine Schlüssel herausnehmen, um das Tor aufzusperren. Bleiben Sie währenddessen bitte ruhig, und zwar vollkommen, denn dieses Mal drücke ich bei Ihrer ersten Bewegung sofort ab. Haben Sie das kapiert?«
Er nickt wieder, aber ich beeile mich wohl trotzdem besser, denn dieser Kerl steht zweifellos kurz vor dem Ausrasten. Seine sprunghaften und nahezu hibbeligen Bewegungen lassen durchblicken, dass er ganz offensichtlich einen Knacks hat. Ich mache einen Schritt nach rechts, sodass Hannah wieder auf ihn zielen kann. Während ich das Tor öffne, gibt er an, Carl zu heißen und als Buchhalter in Grants Pass gearbeitet zu haben. Nun säßen sie irgendwie schon seit einer Weile in Rogue River fest und müssten jetzt endlich weiter. Er plappert