In der Zeit zwischen etwa 1650 und 1780 gab es für die Entwicklung der Erdwissenschaften drei wichtige Strömungen, die kaum Überschneidungsbereiche aufwiesen. Eine Strömung umfasst das deskriptive Forschen, das meist auf eng begrenzte Sachverhalte bezogen ist und nicht a priori »welterklärende« Schlüsse wagt.
Eine zweite Strömung lässt sich unter die Termini »Physikotheologie« oder »Lithotheologie« zusammenfassen. Man beschrieb Fossilien und geologische Phänomene und passte sie in das theologisch konzipierte Weltbild ein. Auf diese Art wurde im Kreisschlussverfahren zum einen der rationalistische Beweis der Existenz Gottes geführt, zum anderen konnten die geologischen Beobachtungen bestätigt werden. Ein plakatives Beispiel stellen die Fossilien dar, die man als Opfer der Sintflut »erkannte«.
Die dritte Strömung umfasst spekulativ-theoretische Ideenansätze, die von Bearbeitern entwickelt wurden, die sich vom herrschenden theologischen Weltbild lösten.
Ein typischer Vertreter der ersten Strömung war Nicolaus Steno (1638–1686), ein dänischer Arzt, der durch seine Beobachtungen das gesamte Weltbild der damaligen Geologie revolutionierte (siehe S. 49). Durch das genaue Studium konnte er unter anderem einen schlagenden Beweis für die organische Natur der Fossilien finden. Er konnte auch als Erster das »Lagerungsgesetz« formulieren, wonach jüngere Sedimentschichten sich über bereits verfestigte ältere entwickelt haben. Und er erkannte an Mineralien das »Gesetz der Winkelkonstanz«, dass nämlich alle zur selben Kristallart gehörenden Einzelkristalle zwischen analogen Flächen stets gleiche Winkel einschließen.
Ein Vertreter der zweiten Strömung war der am Gymnasium in Zürich unterrichtende Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), der vor allem durch seine fatale Missdeutung von Fossilien als Reste der Sintflut bekannt wurde. Scheuchzer, der Sohn eines Stadtarztes in Zürich, studierte Medizin in Altdorf bei Nürnberg und in Utrecht, wo er 1694 promovierte. Im gleichen Jahr unternahm er eine erste Forschungsreise in die Alpen. Ab 1695 war er als Mediziner angestellt und stand zugleich als Direktor der Bürgerbibliothek und der Kunst- und Naturalienkammer in Zürich vor.
Bekannt wurde Johann Jakob Scheuchzer durch seine paläontologischen Arbeiten. In seiner »Lithographia Helvetica« beschrieb er die Fossilien als »Naturspiele« (»lusus naturae«) oder Überreste der Sintflut. 1726 publizierte Scheuchzer in den »Philosophical Transactions of the Royal Society« das im westlichen Bodenseegebiet gefundene Skelett »eines in der Sintflut ertrunkenen Menschen« (»Homo diluvii testis«). Etliche Jahre später wurde die Bestimmung durch Georges Cuvier (siehe S. 78) als das Skelett eines ausgestorbenen Riesensalamanders berichtigt.
Der dritten Strömung kann man Athanasius Kircher (1602–1680) zuweisen. Sein überragendes »geologisches Werk« ist das 507 Seiten umfassende Buch »Mundus Subterraneus« [»Die unterirdische Welt«] aus dem Jahr 1664. Kircher, ein deutscher Jesuit, der die meiste Zeit seines Lebens am Collegium Romanum in Rom lehrte und forschte, legte diesem Werk seine Erfahrungen vom Besuch des Vesuv-Kraters und des großen kalabrischen Erdbebens zugrunde, das er 1638 auf einer Süditalienreise miterlebte. Die Eruptionen von Lava durch vulkanische Tätigkeit einerseits und der Austritt von Wasser aus dem Boden durch Quellen andererseits veranlassten ihn, im Inneren der Erde Vorratsräume für Lava (»Pyrophylacien«) und Wasser (»Hydrophylacien«) anzunehmen.
Wie alt?
Dem irischen anglikanischen Theologen und Erzbischof von Armagh (Irland), James Usher (1581–1656), gelang wohl die scheinbar genaueste Datierung des Alters unseres Planeten. In seinen »Annales veteris testamenti, a prima mundi origine deducti« [»Annalen des Alten Testaments, hergeleitet von den frühesten Anfängen der Welt«], die er 1650 veröffentlichte, berechnete er den Schöpfungsakt mit Hilfe der im Alten Testament angegeben Abstammungsbäume und Lebenszeiten der Patriarchen. Demnach entstand die Welt am Vorabend des 23. Oktober im Jahre 4004 vor Christi Geburt. Die Sintflut fand nach dieser Berechnung 2501 v. Chr. statt.
Georges Louis Marie Leclerc, Comte de Buffon (1707–1788), war seit 1739 Direktor des Königlichen Botanischen Gartens in Paris und entwickelte eine Theorie der »Geschichte der Erde«, die rund 75000 Jahre gedauert und in sieben Phasen sich abgespielt haben soll.
Während der Phase 1 stieß ein Komet mit der Sonne zusammen und schleuderte dabei Material heraus, aus dem sich die Planeten bildeten. Auch die Erde entstand bei diesem Zusammenprall, war zuerst schmelzflüssig und bildete nach etwa 3000 Jahren durch Abkühlung eine feste Kruste.
In der Phase 2 hatte sich die Erde bis zum Mittelpunkt verfestigt. Innerhalb der Gesteinsrinde entstanden nun durch Ausgasungen Hohlräume. Durch das unregelmäßige Zusammenziehen der Erdrinde entstanden Becken und Hauptgebirge. Die Atmosphäre bildet sich. In Spalten der Erdrinde kamen Erze und Minerale zur Ausscheidung.
Nach 15000 bis 20000 Jahren setzte sich in der Phase 3 das Wasser aus der Atmosphäre ab und bedeckte das Land etwa 2000 Toisen hoch (= 3900 Meter). Das noch heiße Wasser verwandelte die Gesteine in Tone, Mergel und Sande. Durch das Einbrechen von Hohlräumen senkte sich der Meeresspiegel. Im Meer existierten bereits Lebewesen, Pflanzen konnten das frei werdende Festland besiedeln und bildeten dabei die Steinkohlenflöze.
Die Phase 4 war durch einen etwa 5000 Jahre anhaltenden Vulkanismus geprägt, der durch die in der Erdrinde enthaltenen brennbaren Substanzen gespeist wurde. In weiterer Folge entstanden durch Volumenreduktion wieder Einbrüche, die erneut einen Rückgang des Meeres zur Folge hatte.
Die zunehmende Abkühlung während der Phase 5 bewirkte die Bildung der Klimazonen.
In der Phase 6 fanden erneute Einbrüche statt, die zur Trennung der Landmasse und zur jetzigen Verteilung von Land und Meer führte. Der Mensch war zu dieser Zeit bereits auf der Erde und erlebte diese Katastrophe als Sintflut.
Phase 7 stellt die Gegenwart dar und ist durch die Herrschaft des Menschengeschlechts gekennzeichnet. Diese Phase wird solange andauern, bis die Erde eine Temperatur erreicht hat, die 25-mal kälter ist als jetzt und alles zum Erstarren bringt.
Wenngleich dies die letzte spekulative Theorie war, die die Erdentstehung mit der Erdgeschichte koppelte, so räumte sie doch den Naturforschern eine etwas längere Zeitspanne ein, in der die beobachtbaren, oberflächenverändernden Prozesse stattzufinden hätten.
William Thomson, seit 1892 Lord Kelvin (1824–1907), schätzte im Jahr 1862 das Alter der Erde auf 25 bis 400 Millionen Jahre, wobei 98 Millionen Jahre seiner Meinung nach der wahrscheinlichste Wert darstelle. Zu diesem Ergebnis (das er dann auf 24,1 Millionen Jahre verringerte) kam er über Berechnungen des Abkühlungsalters der Erde. Erst später wurde bekannt, dass der Erdwärme über radioaktive Prozesse im Erdinneren ständig Energie zugeführt wird.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Ernest Rutherford (1871–1937) eine physikalische Methode (»Absolute Datierung«), die die Zerfallsgeschwindigkeit bestimmter radioaktiver Elemente in Gesteinen nutzt, um das Alter der Erde exakt zu datieren.
Nach unserem heutigen Wissen beträgt das Alter der Erde 4,56 Milliarden Jahre.
Der Weg zur Wissenschaft
Bereits 1665 publizierte Robert Hooke (1635–1703), ein englischer Physiker und Mathematiker, der sich als Wegbereiter der mikroskopischen Forschung einen Namen machte, in seinem Werk »Micrographia« wichtige Gedanken über Fossilien. Unter anderem glaubte er, dass man aus dem Fossilinhalt der Gesteine eine zeitliche Abfolge der sich verändernden Umweltbedingungen rekonstruieren könne.
Die Idee, die Geschichte der Erde aus den Gesteinen und vor allem aus deren Abfolge zu lesen, setzten Johann Gottlob Lehmann (1719–1767) und Georg Christian Füchsel (1722–1773) erstmals um.
Lehmann unternahm eine genaue Aufzeichnung der Lagerungsfolgen von Gesteinsschichten und maß deren Mächtigkeiten. Mit seinem 1756 erschienenen Werk »Versuch einer Geschichte