Schilderungen des Treibens im Leben und Handel in den Vereinigten Staaten und Havana. Julius Ries. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Ries
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Путеводители
Год издания: 0
isbn: 4064066112257
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Mr. Kings Locale unter polizeiliche Aufsicht gestellt und er selbst eingezogen worden ist. Diebereien werden hier sehr hart bestraft, Mordthaten hingegen mit weniger Strenge als in Europa instruirt, weshalb sehr viele Mörder der verdienten Strafe entgehen. Das Treiben in Chatham ist großartig; jüdische Actionaire halten ihre Verkäufe auf einem Karren, worauf sich die zu verkaufenden Gegenstände befinden (über diese Straße später ein Mehreres).

      Als ich von Chatham zurückkehrte, fand ich in meinem Logis ein Schreiben von einem jungen Berliner vor, für welchen ich von seinen dortigen Verwandten einen Brief mitgebracht hatte. In jenem Schreiben wurde ich ersucht, ihn doch im Stadt-Hospitale, wohin er wegen eines Armbruchs gebracht worden sei, zu besuchen. Ich war um so begieriger, diese Anstalt kennen zu lernen, da sie mir früher, bei meinem Kranksein, von unserm Schiffs-Capitain empfohlen worden war. Nach dessen Schilderung erwartete ich etwas dem Hamburger Krankenhause oder der Berliner Charité Aehnliches; die Fonds, erzählte er, müßten beträchtlich sein, da jeder Capitain der in New-York ankommenden Schiffe für jeden Reisenden 1½ Piaster und für jeden Matrosen 1 Piaster zu diesem Fonds einliefern müsse, und die Einkünfte dieser Art werden nur zur Bequemlichkeit der Kranken verwendet; es sei in ganz New-York kein Haus, was in Betreff der Pflege, Reinlichkeit und Aufwartung etwas Aehnliches zu leisten im Stande sei. Ob ich Recht oder Unrecht gehabt, den Rath des Capitains unbefolgt zu lassen, war mir sehr interessant zu erfahren.

      Die Apotheke dieser Anstalt, welche ich passirte, fand ich geregelter als die sogenannten Droguist-Shops, da sich in derselben nicht, wie in den letztern, Spielkarten, Wachslichte, Zahnbürsten, Cigarren etc. sondern nichts als Medicamente befanden. Das Zimmer Nro. 10, in welchem der Kranke lag, wurde mir geöffnet. Es war von ziemlicher Breite; an jeder Seite befanden sich 5–6 Lager, aber keins derselben war eine Bettstelle, es waren Bretter, auf welchen sich ein mit wenigem Stroh gefüllter Sack, ein sehr dünnes Kopfkissen, und eine sehr dünne wollene Decke befand. Da indessen der Brodherr dieses jungen Mannes für die meisten Chirurgen New-Yorks die Instrumente verfertigt, so hatte man dem Patienten vorzugsweise ein kleines Kissen, auf welchem der gebrochene Arm ruhte, hergegeben. In den klinischen Anstalten zu Berlin, und Deutschland überhaupt, liegen doch die Patienten auf Betten und nicht auf Stroh. Am meisten wunderte ich mich, diese Jämmerlichkeit in einem Lande anzutreffen, in welchem man das Geld sonst wegwirft für lumpige Kleinigkeiten. Wie pries ich mich glücklich, daß ich nicht hierher gerathen war! Unterdessen wurde während meiner Anwesenheit das Essen aufgetragen, und zwar auf einen in der Mitte des Zimmers befindlichen langen Tisch, an dessen beiden Seiten sich Bänke ohne Rückenlehne befanden; jeder der Patienten erhielt eine Schale voll Suppe, und eine Portion gekochtes Rindfleisch mit einem Stück Brod. Dem kranken Landsmanne wurde seine Portion auf den Fensterkopf neben seinem Lager mit einer ungewöhnlichen Gefühllosigkeit hingesetzt. Mittlerweile kam der Oberarzt, gefolgt von 8–9 sehr jungen Unterärzten, oder vielleicht Studenten, welche ihm die Krankheit der Patienten vortrugen; zuletzt sagte er: „nun will ich das deutsche Gesicht sehen!“ Die jungen Chirurgen zeigten ihm flüchtig die Stellen des doppelten Armbruchs, „schon gut!“ sagte er, und hiermit zogen sie ab. „Ach Gott!“ rief der Kranke aus, „wie gleichgültig wird ein Ausländer in diesem Lande behandelt: so ist es vom ersten Augenblick an gewesen, als ich hierher gebracht wurde, und drei volle Stunden ohne Hülfe blieb, und so bleibt es immer.“ Welcher Deutsche im Auslande auch sonst wenig an sein theures Vaterland denkt, der vermißt es sicherlich, wenn er krank wird; diese Erfahrung habe ich auch oft an mir selbst gemacht; nirgends, in keinem Lande, in keiner Stadt habe ich die deutsche Herzlichkeit gefunden. Wir wollen sehen, junger Mann, dachte ich, als ich den Kranken verließ, ob du sechs Jahre, wie du dir vorgenommen, hier aushalten wirst!

      Ich ging jetzt nach dem Platze Wall (nach der Straße dieses Namens), um mehreren Wein-, Colonial- und andern Waaren-Auctionen beizuwohnen. Da stehen die Auctions-Commissarien auf den Fässern, Säcken u. s. w. und jeder derselben hat seine Anzahl von Kauflustigen um sich; sie rufen die gebotenen Preise wohl funfzig Mal mit einer erstaunlichen Schnelligkeit und Unverständlichkeit aus, so daß ihre Mäuler in einer wirbelnden Bewegung bleiben; nur dann weiß man, daß der Zuschlag nicht mehr fern ist, wenn sie going rufen; beim zweiten going ist der gebotene Preis vernehmbar, jedoch nur für die in der englischen Sprache sehr geübten. Täglich giebt es in New-York hunderte von Auctionen; rothe Flaggen, an welchen Cataloge baumeln, sind die Zeichen, daß im Hause, oder auf dem Platze, wo sie wehen, Auctionen statt finden. Es soll, so ist mir versichert worden, hier Auctions-Commissarien geben, die ein jährliches Einkommen von 200,000 Piaster haben.

      Es giebt in New-York Importeurs, welche ihre Waaren nur per Auction absetzen, indem die Commissarien gegen Abzug von sieben Procent Zinsen pro Anno und 2½ Procent Provision, sofort den Belauf auszahlen. Da das Creditgeben in diesem Lande sehr riskant ist, so ist diese Verkaufsweise die sicherste. Der Gewinn ist natürlich sehr gering, ja häufig ist sogar Verlust damit verbunden. Jedoch gegen den letztern kann man sich einigermaßen dadurch sichern, daß man die Auctionen nur in der Frühjahrs- oder Herbst-Season, wenn sich alle Käufer aus dem Innern in New-York eingefunden haben, statt finden läßt. Der solide Handel wird freilich dadurch zu Grabe gebracht; denn in der Voraussetzung, daß die Land-Krämer, von den Zwischenhändlern kaufen werden, haben diese ihre Waaren-Läger gepfropft voll, und sind den Importeurs dafür alles schuldig; ist nun auch der eine oder der andere von den Land-Krämern wirklich gesonnen, seinen Bedarf von einem Zwischenhändler zu erstehen, so wird er durch die rothen Fahnen, die in den Gewölben der Commissarien, zwischen denen der Kaufleute aushängen, abgezogen. Er geräth in ein den Commissarien zugehöriges Lokal, und wird gesättigt. Die Folge ist, daß die Zwischenhändler ihre Vorräthe per Auction zu verkaufen gezwungen sind.

      Siehet man die Waarenmassen, die in den Stadttheilen liegen, in welchen das Waarengeschäft betrieben wird (welche Massen unstreitig bedeutender sind, als die auf allen Meßplätzen Deutschlands zusammengenommen) sieht man die hohen Häuser von den Böden bis zu den Kellern hinab vollgepfropft von Waaren jeder Art, so muß man erstaunen und kann die Frage nicht unterdrücken: Wie, wann und wo soll dieses Alles verbraucht werden? Man kann sich keine Idee von der Größe des Fabrications-Wesens in Europa machen, wenn man nicht in New-York gewesen ist, und die Waaren-Vorräthe daselbst gesehen hat; ich gestehe, daß ich von Furcht und Schrecken ergriffen wurde, als ich mich orientirt hatte. Der Gedanke, mich von meinen Waaren sobald und so gut wie möglich los zu machen, gelangte nach jenem Augenblick bei mir zur völligen Reife. Meines Erachtens geht man im Waarenfache einer fürchterlichen Zeit entgegen; es dürfte in einigen Jahren eine weit gefährlichere Krisis eintreten, als diejenige war, die wir vor zwei Jahren erlebten. Amerika hat zu viel Ressourcen, um nicht fortwährend groß zu bleiben; wenn selbst die große Hälfte der Waaren-Händler untergehen müßte, wird Amerika nichts von seiner Größe eingebüßt haben. Die Regierung ist sehr vernünftig, sie hält den Waaren-Händlern die Zügel kurz; durch die hohen Preise, welche der europäische Fabrikant für die prima Materie hergiebt, verliert er oft das ganze Arbeitslohn, und vielleicht noch mehr. Dieses war vor zwei Jahren der Fall, und dieser Fall wird wiederum, noch ehe zwei Jahre vergangen sind, eintreten. Daß es der americanischen Regierung nur darum zu thun ist, den Ackerbau, und nicht die Fabriken zu begünstigen, beweist sie dadurch klar und deutlich, daß sie jedem Kaufmann den Zoll für seine eingehenden Waaren auf sechs Monate creditirt; thäte sie dieses nicht, so würden weit weniger Waaren eingeführt werden, indem die Summen für Zollgefälle von vielen Importeurs nicht ohne Mühe würden angeschafft werden können, und ein großer Theil derselben vom Importiren würde abstehen müssen, wodurch die in Amerika fabricirten Waaren bessern Absatz finden würden. Allein die Regierung denkt, Ackerbau ist einträglicher als Fabriken, und denkt, so lange europäische Fabrikanten das Arbeitslohn verlieren wollen, sehr richtig (hierüber weiterhin ein Mehreres).

      Nach dem, was ich hier im Geschäft wahrgenommen habe, muß jede zwei, spätestens drei Jahre eine allgemeine Stockung im Zahlen eintreten, und die nächste dürfte die furchtbarste von allen bisherigen werden, da England jetzt nicht im Stande ist, wie vor zwei Jahren, eine Baarsendung von 2 Millionen L. Sterl. zum Stützen der für die englischen Fabrikanten unentbehrlichen americanischen Banken zu machen. Am deutlichsten kann der Schwindel bemerkt werden, wenn man sich während der Börsenzeit unter den Stock-Jobbers und Broakers umsieht. Unter den letztern findet man Subjecte, welche 60,000 Piaster Courtage jährlich verdienen; sie arbeiten darauf hin, einen Wirrwarr zu Stande zu bringen. Der Handelsstand