»Der alte Herr wird froh sein, wenn wir zurückkehren,« hub Glowacz nach einer Weile wieder an – »und auch in Zgorzelic werden sie sich freuen.«
In diesem Augenblick sah Zbyszko Jagienka so deutlich vor sich, wie wenn sie ihm gegenüber auf dem Schlitten säße. Und so war es immer, so oft er an sie dachte, stand sie ihm auch deutlich vor Augen.
»Nein,« sagte er sich, »sie wird sich nicht freuen, denn wenn ich nach Bogdaniec zurückkehre, so wird Danusia bei mir sein – und Jagienka mag einen andern nehmen!« Hier zogen Wilk aus Brzozowa und der junge Cztan aus Rogow vor seinem geistigen Auge vorüber und plötzlich war ihm der Gedanke unangenehm, daß das Mägdlein einem von diesen beiden in die Hände fallen könne. »Wenn sie doch einen andern, bessern fände!« dachte er. »Sie ist so züchtig, so redlich und gut, jene Burschen aber sind Biersäufer und Spieler.«
Er wußte auch schon im voraus, daß sein Oheim höchst ungehalten sein werde, wenn er erfuhr, was geschehen war, aber der Gedanke tröstete ihn wieder, daß Macko in erster Linie Wert auf Herkunft und Vermögen legte und darauf bedacht war, das Ansehen seines Geschlechtes zu erhöhen. Jagienka stand ihm zwar näher und war die Tochter seines nächsten Nachbarn, hingegen war aber Jurands Grundbesitz größer als der Zychs aus Zgorzelic, und so konnte man leicht voraussehen, daß Macko nicht lange über dies Ehebündnis zürnen werde, zumal ihm die Neigung seines Bruderssohnes bekannt war und er auch wußte, wieviel Dank dieser Danusia schuldete. Brummte er also anfangs, so beruhigte er sich gewiß auch wieder und dann gewann er wohl Danusia so lieb wie sein eigenes Kind.
Und plötzlich empfand Zbyszko große Sehnsucht nach seinem Oheim, an dem er mit ganzer Seele hing und der, obwohl er kein weichherziger Mensch war, ihn doch liebte wie seinen Augapfel, der ihn in allen Kämpfen besser als sich selbst geschützt, sich nur um seinetwillen durch Beute bereichert hatte, nur um seinetwillen darauf ausging, sein Hab und Gut zu mehren. Sie standen ja auch ganz allein auf der Welt, sie hatten keine Blutsverwandten außer dem Abte, und gewöhnlich, wenn sie sich trennen mußten, wußte der eine nicht, was er ohne den andern beginnen sollte, vornehmlich aber dem alten Mann ging es so, welcher für sich keinen Wunsch mehr hatte.
»Hei! Er wird sich freuen! Er wird sich sicherlich freuen!« sagte sich Zbyszko unablässig, »und ich wollte nur, daß Jurand mich so aufnehme, wie Macko mich aufnehmen wird.«
Und er suchte sich vorzustellen, was Jurand sagen und wie er sich gebärden werde, wenn er von der Trauung erfuhr. Dieser Gedanke beunruhigte ihn wohl einigermaßen, bereitete ihm aber keinen großen Kummer, weil die Sache nun einmal geschehen und nichts mehr daran zu ändern war. Zum Kampfe durfte er Jurand nicht herausfordern, wenn dieser aber seine Zustimmung durchaus nicht geben wollte, konnte Zbyszko folgendermaßen zu ihm sprechen: »Willigt ein, ich bitte Euch darum, denn Ihr habt ja nur ein menschliches Anrecht auf Danusia, ich aber habe ein Anrecht, daß mir von Gott verliehen worden ist – und jetzt gehört sie nicht mehr Euch, die Meine ist sie nun!«
Von einem in der heiligen Schrift bewanderten Kleriker hatte der Jüngling gehört, das Weib müsse Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen, daher war er überzeugt, daß ihm die Gewalt über sein Weib zustand. Doch glaubte er nicht, daß es zwischen ihm und Jurand zu einem dauernden Zwiste kommen werde, weil er durch Danusias Bitten viel zu erreichen hoffte und eben so viel, wenn nicht mehr, durch die Vermittlung des Fürsten, dessen Unterthan Jurand war, sowie durch die Fürsprache der Fürstin, welche er als Pflegemutter seines Kindes hochschätzte.
In Przasnysz riet man Zbyszko, Nachtrast zu machen, indem man ihn vor den Wölfen warnte, welche sich des Frostes wegen in großen Rudeln zusammenscharten und die Straßen noch unsicherer machten als sonst. Doch Zbyszko beachtete diese Warnung nicht, weil er zufälliger Weise in der Schenke einige masovische Ritter mit ihrem Gefolge traf, die sich ebenfalls zum Fürsten nach Ciechanow begeben wollten, sowie einige bewaffnete Kaufleute aus Ciechanow, die mit ihren schwerbeladenen Wagen aus Preußen kamen. Im Verein mit all diesen Leuten war nichts zu befürchten, und so brachen sie denn bei Anbruch der Nacht auf, obwohl sich schon gegen Abend ein heftiger Wind erhoben hatte, der die Wolken vor sich hertrieb, und ein dichtes Schneegestöber begonnen hatte. Unterwegs hielten sie sich dicht aneinander, doch kamen sie so langsam vorwärts, daß Zbyszko befürchtete, sie würden ihr Ziel schwerlich am heiligen Abend erreichen. An einigen Stellen war es nötig, den Schnee wegzuschaufeln, da die Pferde nicht weiterkommen konnten. Zum Glück war der Weg durch den Forst nicht zu verfehlen, doch langten sie erst am Christabend in Ciechanow an. Möglicherweise wären sie durch Schnee und Wind rings um die Stadt gefahren, ohne zu ahnen, daß sie sich schon ganz nahe befanden, wenn sie nicht auf dem Hügel, wo das neuerbaute Schloß stand, ein hellloderndes Feuer erblickt hätten. Niemand wußte, ob das Feuer an diesem heiligen Abend angezündet worden war, um einsamen Wanderern als Wegweiser zu dienen, oder ob es nach althergebrachter Sitte geschah, aber keiner von Zbyszkos Reisegefährten sann jetzt darüber nach, denn alle waren vornehmlich darauf bedacht, so rasch wie möglich eine Unterkunft in der Stadt zu finden.
Mittlerweile ward der Sturm immer stärker. Ein scharfer kalter Wind wehte große Schneemassen empor, rüttelte an den Bäumen, heulte, raste, riß ganze Schneelawinen mit sich fort, wirbelte sie umher, überschüttete damit Wagen und Pferde, trieb die naßkalten Flocken in die Gesichter der Reisenden, nahm ihnen den Atem und erstickte ihre Worte. Das Geläute der an den Deichseln angebrachten Glocken war nicht mehr zu hören, hingegen ließen sich mitten durch das Brausen und Pfeifen des Sturmes zuweilen klagende Laute vernehmen, die bald wie das Geheul von Wölfen, bald wie das ferne Gewieher von Rossen klangen, zuweilen aber auch wie die in namenloser Angst ausgestoßenen Hilferufe eines Menschen. Die ermatteten Pferde drängten sich noch dichter aneinander und kamen immer langsamer vorwärts.
»Hei! Welch ein Schneesturm ist dies! Welch ein Schneesturm!« sagte der Böhme mit vom Sturme halberstickter Stimme. »Ein wahres Glück, Herr, daß wir uns in der Nähe der Stadt befinden und das Feuer dort uns leuchtet, sonst wäre es uns schlimm ergangen.«
»Wer sich jetzt auf freiem Felde aufhält, dem ist der Tod gewiß!« entgegnete Zbyszko. »Aber ich sehe das Feuer gar nicht mehr.«
»Der Schein kann nicht durch den aufgewirbelten Schnee dringen. Oder vielleicht hat der Wind das aufgehäufte Holz auseinandergetrieben.«
Auch auf den andern Wagen sprachen die Kaufleute und Ritter von dem Unwetter. Alle meinten, wer fern von menschlichen Behausungen von einem solchen Schneesturm überrascht werde, für den würden am anderen Morgen keine Glocken mehr läuten.
Und Zbyszko, der plötzlich unruhig geworden war, hub wieder an: »Gott verhüte, daß Jurand jetzt unterwegs ist.«
Der Böhme, der unausgesetzt nach der Richtung blickte, wo das Feuer gebrannt hatte, wandte sich nun um, indem er sagte: »Wird denn der Herr aus Spychow hierher kommen?«
»Ja!«
»Mit dem Jungfräulein?«
»Fürwahr, die Flamme scheint erstickt zu sein!« war Zbyszkos Antwort.
In der That war das Feuer erloschen. Auf dem Wege, dicht bei den Wagen und Pferden zeigten sich nun einige Reiter.
»Weshalb reitet Ihr geradewegs auf uns zu?« rief der wachsame Böhme, die Armbrust ergreifend. »Wer seid Ihr?«
»Wir sind Mannen des Fürsten, die ausgesandt wurden, um bedrängten Reisenden Beistand zu leisten.«
»Gelobt sei Jesus Christus!«
»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!«
»Geleitet uns zur Stadt!« sprach Zbyszko.
»Ist keiner von Euern Gefährten unterwegs zurückgeblieben?«
»Keiner!«
»Woher kommt Ihr?«
»Von Przasnysz!«
»Und mit fremden Reisenden seid Ihr nicht zusammengetroffen?«
»Nein!