Mörderisches Schicksal. Heide-Marie Lauterer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heide-Marie Lauterer
Издательство: Bookwire
Серия: Vera Roth
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944587998
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      Ich wollte gerade Fango aus seiner Box ziehen, da tauchte im Gegenlicht eine Gestalt schwarz wie ein Schatten auf. Ich zuckte zusammen und rüttelte an der Schiebetür, die wieder einmal klemmte. Die Fremde stand mitten in Fangos Box.

      „Haben Sie mich erschreckt!“, blaffte sie mich an.

      Warum kam ich mir vor wie eine Einbrecherin? „Was haben Sie mit meinem Pferd vor?“, sagte ich, forscher als mir zu Mute war.

      „Ihr Pferd? Fango gehört Gerson! Ich soll ihm die warme Decke abnehmen!“

      „Wer hat Ihnen das gesagt?“

      „Gerson, wer sonst?“, sagte sie. „Wer sind Sie?“

      Sie legte ihren Unterarm auf Fangos Rücken und blickte mich herausfordernd an. Sie war größer als ich und schlanker; mein Blick glitt hinunter zu ihren schwarz-glänzenden Reitstiefeln, die kein Stäubchen verunzierten.

      Ich zögerte einen Augenblick, dann sagte ich: „Ich bin Vera Roth, Gersons Reitbeteiligung!“ Eine ziemlich blöde Bemerkung, keine Ahnung, was ich damit bezwecken wollte. Schließlich war ich Fangos Besitzerin, zu 50 Prozent zumindest.

      „Ha, ha!“, lachte sie, „alles klar!“

      Mir war überhaupt nicht zum Lachen zumute, aber jetzt dämmerte mir, wen ich vor mir hatte. Es war die Neue, mit der Gerson manchmal auf der Stallgasse plauderte.

      „Ich bin Tissa Krell, oder einfach Tissa. Wir können du sagen!“

      „Okay, ich bin Vera.“ Ich wollte es nicht gleich am Anfang mit ihr verderben, schließlich hatte sie Gerson helfen wollen, doch von mir aus hätten wir ruhig beim Sie bleiben können!

      Ihr Händedruck war fest, beinah schmerzhaft, aber ich widerstand tapfer dem Bedürfnis, meine gequetschte Hand auszuschütteln. Fango, der die ganze Zeit mit stoischer Ruhe dagestanden hatte, stieß mich mit der Nase an.

      „Hast du schon meinen Bio-Dyn-Flyer?“, fragte Tissa. „Wird dich bestimmt interessieren!“

      Sie steckte mir unaufgefordert einen bunten Prospekt zu; ich warf schnell einen Blick darauf, dann faltete ich ihn so klein wie möglich zusammen und stopfte ihn in die Minitasche meiner Reithose. „Und hier ist noch etwas ganz besonderes für dich!“, sagte Tissa.

      Es war ein Papierröllchen, mit einer roten Kordel zusammengebunden.

      „Dein persönliches Tageshoroskop“, sagte sie.

      Wir kannten uns doch gar nicht, woher wollte sie denn mein Sternzeichen wissen? Ich stopfte das Blatt schnell in meine Westentasche, mit diesem Eso-Kitsch konnte ich jetzt wirklich nichts anfangen.

      „Los geht’s, an die Arbeit!“, rief Tissa und klatschte Fango aufmunternd aufs Hinterteil.

      Ich streifte Fango das Stallhalfter über und zog ihn aus der Box. Vor der Sattelkammer fing ich an ihn zu striegeln. Nach kurzer Zeit stand ich knöcheltief in dicken Pelzflocken; als ich mich bückte, um den Striegel auszuklopfen, fiel ein Schatten auf mich. Tissa, ich stieß fast an ihre überkreuzten Beine, so dicht stand sie vor mir.

      “Willst du?“ Sie hielt mir einen Coffee-to-go-Becher vor die Nase, aber ich schüttelte den Kopf.

      „Nicht vor dem Reiten, danke!“ Der Becher trug ein knallrotes Logo, irgendein unheimliches Insekt – ein Skorpion vielleicht?

      Tissa deutete auf die braunen Flocken, mit denen man ein ganzes Kopfkissen hätte füllen können. „Einer von euch scheint kein großer Putzfreund zu sein!“

      Meinte sie Gerson oder etwa mich? Statt zu antworten, verschwand ich lieber in der Sattelkammer; als ich mit Sattel und Trense zurückkam, wurde sie von drei jungen Frauen umringt, die alle einen Bio-Dyn-Flyer in der Hand hielten, den sie studierten, als enthielte er die frohe Botschaft. Ich hatte die drei auf dem Leierhof noch nie gesehen.

      „25 Euro der einfache Sack, wenn du zwei nimmst, gibt es Rabatt“, hörte ich Tissa sagen.

      Gerade da tuckerte ein Dieselmotor. Doktor Abnemers blauer Kombi bog in die Hofeinfahrt ein. Sofort drehte Tissa eine Pirouette auf ihrem Absatz und stürzte, kaum war er ausgestiegen, auf den Tierarzt zu; sie drückte ihm einen Flyer in die Hand und sagte: „Gern auch ein Pröbchen, oder gleich einen ganzen Sack, wenn Sie wollen!“ Dann drehte sie sich zu Tom um, der auf den Tierarzt gewartet hatte und begann auf ihn einzureden.

      Im Vorbeigehen bekam ich einiges mit. „Wir bauen einen neuen Offenstall!“, sagte Tissa.

      „Und wie soll ich das Ganze finanzieren?“, fragte Tom.

      „Hansi Helm vermittelt dir einen Kredit mit einzigartigen Konditionen“, stellte Tissa in Aussicht.

      Sie will den ganzen Leierhof umkrempeln, sagte ich mir. Aber in Tom hatte sie sich garantiert getäuscht! Unser Hofpächter hatte seine eigenen Ideen, da brauchte er weder Hansi noch Tissa.

      T-I-SS-A – die Zungenspitze stieß beim Aussprechen des ersten, steil aufragenden Buchstabens an die Zähne, die Lippen verzogen sich breit zum I, dann kam ein gefährliches und schlangenartiges Zischen und schließlich entlud sich alles in einem seufzenden A. Diese Tissa wird mich noch länger beschäftigen, dachte ich.

      Sogar im Reisebüro wurde ich mit ihr konfrontiert, allerdings auf eine völlig andere Art und Weise.

      „Massimo, trägst du heute einen besonderen Duft?“, fragte ich meinen Chef am Nachmittag.

      Er warf mir einen überraschten Blick zu: „Das merkst du? Es riecht prickelnd und belebend, findest du nicht? Hansi Helm, mein Banker, hat mir das Parfüm geschenkt, der Gute will mich bei Laune halten! Seine Frau Tissa vertreibt es. Vielleicht kennst du sie? Sie hat drei Pferde, sie sind vor ein paar Tagen zu euch in den Stall gekommen.“

      Ich lächelte matt und verkniff mir weitere Fragen. Durch das notdürftig mit Pappe geflickte Fenster zog es, und ich fröstelte trotz meiner Daunenweste, die ich mir vom Stall mitgebracht hatte.

      „Ach so?“, sagte ich und wartete darauf, dass Massimo weitersprach. Massimo brauchte immer etwas länger, um die richtigen Worte zu finden.

      „Ich muss schauen, dass ich aus den roten Zahlen komme. Hansi Helm will mir in der augenblicklichen Situation keinen Kredit mehr geben. Ich brauche Geld und das heißt: Sparen. Sobald ich Land sehe, kriegst du deinen Job wieder, das verspreche ich dir!“

      Ich saß unbeweglich auf meinem Drehstuhl und vor meinen Augen tanzten Schlieren. Was hatte mir Massimo gerade gesagt? Dass er sparen müsse? Und was genau bedeutete das für mich? Nein! Nein! Nein!

      Massimo hatte mir die Kündigung ausgesprochen! „Massimo, bitte! Du kannst mir doch nicht so einfach kündigen! Ich brauche das Geld – nächste Woche kommt Nine zurück und Alles Paletti …“

      „Vera!“ Mein Chef saß vor mir mit einem roten Kopf und zusammengepressten Lippen. Er rang um seine Fassung, dann sagte er: „Es geht nicht anders, wenn ich es dir doch sage. Und ich verspreche dir …“

      „Wann muss ich meinen Arbeitsplatz räumen?“, unterbrach ich ihn. Massimo würde sich von mir nicht umstimmen lassen, nicht einmal wenn ich mich auf den Kopf stellen würde.

      „In drei, vier Wochen?“, sagte er. „Lass dir Zeit, Vera.“ Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und suchte ein paar Papiere zusammen. „Ich hab noch einen Außentermin.“ Er schaute mich so liebevoll an, als ob er mir etwas Tröstendes hätte sagen wollen. „Wenn jemand nach mir fragt, dann sage einfach, ich hätte heute meinen freien Tag.“ Dann war er weg.

      Nur drei Wochen? Und Iris wollte mir schon nächste Woche Nine und Alles Paletti bringen!