»Herrlich ist das! Soll ich einmal schreien, ganz toll und laut?«
»Das wäre nicht ratsam«, lachte er. »Denn die Menschen, die sich im Wald befinden, könnten es für Hilferufe halten, herbeieilen – und wie stände ich dann da?«
»Als Raubritter –«, blitzte sie ihn an. »Man würde Sie in das Burgverlies werfen, ich würde Ihnen heimlich Speise und Trank bringen und Sie endlich gar befreien –«
»Und ich würde Sie aus Dankbarkeit an mein Herz drücken«, spann er den Faden weiter, »dann zu mir auf das Roß heben und mit Ihnen davonsprengen.«
»Wohin?« fragte sie neugierig.
»Zur Jagdhütte.«
»Das wäre ja ein schöner Dank –!« lachte sie übermütig. »Mich da einsperren und mit den Eulen um die Wette klagen lassen, das könnte Ihnen noch so passen. Sie Blaubart.«
Bei dem fröhlichen Spiel war ihnen die Zeit so schnell vergangen, daß sie erstaunt aufsahen, als sie die Allee erreicht hatten, die zum Schloß führte. Sie lachten sich an wie zwei Verschwörer, als sie unter dem Portal den Diener stehen sahen, der nun tadelnd sagte: »Wir sind um das Ausbleiben des gnädigen Fräuleins und des Herrn Grafen bereits sehr beunruhigt –«
»Wir waren im Land der Raubritter, verstehen Sie das, Stephan?«
»Wir verstehen alles, gnädiges Fräulein.«
Lachend huschte Almut an ihm vorbei in die Halle, und ihr herzfrohes Lachen klang an den hohen Wänden wider, bis eine Tür im oberen Stockwerk zuschlug.
*
»Almut, das ist doch unerhört –«
»Schilt jetzt nicht, Möpschen«, schnitt sie ihr mit einer hastigen Handbewegung das Wort ab. »Deiner Empörung kannst du später Luft machen. Jetzt muß ich mich schnellstens umziehen, denn in zehn Minuten ist Essenszeit –.
Lieb von dir, mein Möpslein, daß du mir alles schön zurechtgelegt –«
Schon flogen Mantel, Stiefel und andere Kleidungsstücke in die Gegend. Mit flinken Händen kleidete Almut sich um, immer wieder dabei auf die Armbanduhr schielend.
Das wäre dem Mädchen zu Hause nicht eingefallen, da ging und kam es, wie es ihm beliebte. Doch hier wäre es ihm peinlich gewesen, auch nur eine Minute zu spät an der Mittagstafel zu erscheinen.
Und hier hätte man Almuts Unpünktlichkeit noch nicht einmal gerügt, während man zu Hause andauernd darüber schalt, was sie absolut nicht berührte. Aber der strafende Blick Stephans, das nachsichtige Lächeln der Gastgeber – so wie man die Unarten eines Kindes belächelt –, das wäre ihr ganz einfach auf die Nerven gegangen.
So, nun hatte sie es geschafft. Die zierlichen Füße steckten in eleganten Wildlederschuhen, das Kleid aus feinem Wollstoff schmiegte sich um den grazilen Körper.
Jetzt noch die Locken gebürstet, bis sie glänzend wie Goldgespinst den Kopf umbauschten, die Hände gewaschen und rasch manikürt – und schon klang der Gong wie ein tiefer Glockenton durch die stille Burg.
»Komm, Möpschen«, drückte Almut einen Kuß auf die frische Wange der Getreuen. Schob den Arm unter den ihren und ging mit ihr zum Speisezimmer, wo die andern sich auch bereits einfanden.
Während Stephan mit einem jungen Diener servierte, sprach man nur über belanglose Dinge. Doch als man in dem traulichen Stübchen am Kamin beim Mokka saß, da schilderte Almut sprühend vor Übermut ihr Erlebnis in Wald und Jagdhütte. Sie tat es so drollig, daß die andern aus dem Lachen nicht herauskamen.
»Na, Marbod«, neckte der Vater. »Da hast du dich ja heute schön blamiert. Eine Dame mit deinen Riesenschritten zuerst schachmatt machen und ihr dann noch Nägel als Erfrischung anbieten, das steht wohl einzig da.«
»Man muß seinen Gästen immer etwas Besonderes bieten«, verteidigte sich der Geneckte schmunzelnd. »Scheint dem Gast auch gut bekommen zu sein. Das Zünglein ist jedenfalls klar zum Gefecht.
Und nun bitte ich um die Erlaubnis, mich entfernen zu dürfen. Will zum Vorwerk hinüberreiten, um da ein wenig nach dem Rechten zu sehen. Morgen kann das Wetter bereits umgeschlagen sein, das ja launenhaft ist wie eine verwöhnte Dame.«
»Du ungalanter Bengel –«, drohte die Mutter lachend. »Das dürfen Sie unmöglich auf sich sitzen lassen, Fräulein Almut.«
»Warum soll gerade ich mich wehren, Frau Gräfin?« tat sie harmlos. »Sie sind doch auch eine Dame und ›Möpschen‹ gleichfalls.«
»Aber verwöhnt bist du allein, mein Kind«, gab letztere zur Antwort. »Oder willst du das abstreiten?«
»Dazu bin ich augenblicklich zu friedfertig. Doch wie ich höre, beabsichtigen Sie auszureiten, Herr Graf?«
»Allerdings. Wollen Sie mich begleiten?«
»Erraten.«
»Ich bin aber kein guter Reitlehrer.«
»Hab auch keinen Bedarf daran. Nicht wahr, Möpschen?«
»Wahrlich nicht. Reiten ist nämlich so ziemlich alles, was dieses unnütze Mädchen kann.«
»Na also. Nehmen Sie mich nun mit, Herr Graf?«
»Da mir Ihre Reitkenntnis von einer seriösen Dame bestätigt worden ist, von Herzen gern.«
»Darf ich, Frau Gräfin?« bettelten die wunderschönen Mädchenaugen zu ihr hin, und sie nickte lächelnd.
»Ich habe gewiß nichts dagegen, mein liebes Kind, zumal ich Sie bei meinem Sohn in bester Obhut weiß.«
Impulsiv, wie Almut manchmal war, drückte sie ihre Lippen auf die feine Frauenhand. Dann eilte sie nach ihrem Zimmer, um den Reitanzug anzulegen. Als sie unten anlangte, standen die Pferde bereits vor dem Portal.
Marbods Blick ging forschend über Almut hin, die wohl die pelzgefütterte Reitjacke trug, deren Reißverschluß sie jedoch nur bis zur Hälfte zugezogen hatte. Außerdem war der Kopf unbedeckt. –
»Wollen Sie etwa so reiten, gnädiges Fräulein?«
»Natürlich.«
»Du kannst gehen –«, entließ er den Stallburschen, der die Pferde am Zügel hielt. Der Jüngling trollte ab, und der Graf wandte sich wieder Almut zu.
»Schließen Sie die Jacke soweit es geht, gnädiges Fräulein«, sagte er in dem herrischen Ton, der ihm eigen war und der Almut genauso reizte wie sein ironisches Lächeln. So durfte man mit ihr natürlich nicht sprechen. Der Kopf flog in den Nacken, Trotz funkelte in ihren Augen auf.
»Mir ist warm genug. Außerdem –«
»Außerdem sind Sie augenblicklich viel zu trotzig, um zu wissen, was Ihnen dienlich ist«, unterbrach er sie gelassen. »So nehme ich Sie jedenfalls nicht mit.«
Almut glaubte wohl nicht recht zu hören. Ja, was fiel dem denn ein?
»Wie sprechen Sie eigentlich mit mir, Herr Graf?«
»Wie mit einem ungezogenen kleinen Mädchen. Soll ich den Burschen zurückrufen, damit er Ihr Pferd in den Stall zurückführt? Ich zähle bis drei –«
In den Sekunden, die nun folgten, kämpften Vernunft und Eigenwillen des Mädchens einen harten Kampf. Einesteils mochte es auf den Ritt durch den herrlichen Wintertag nicht verzichten – andererseits sich auch nicht dem Willen des Mannes fügen. Sie wußte nicht, wie deutlich sich dieser Kampf auf ihrem Gesicht widerspiegelte.
Bei zwei stand das vertrotzte Menschenkind noch immer unbeweglich – doch bei drei fuhr der Reißverschluß hoch bis zum äußersten. Der Kragen reichte bis über die Nasenspitze, die Augen funkelten aufsässig darüber hin –.
»Können wir reiten?« fragte sie herrisch.
»Augenblick mal –«
Die