»Nichts von beiden, Frau Gräfin«, antwortete Adele. »Diese überstürzte Reise entsprang ganz einfach ihrer Langeweile, da sie das Wohlleben zu Hause wieder einmal satt hatte. Dazu kam noch, daß sie einen Freier abgewiesen hatte – na, kurz und gut: Sie fuhr ohne jedes Ziel los, immer dahin, wohin die Nase zeigte.«
»Und Sie machen da einfach ganz lieb und brav mit, gnädiges Fräulein?« zwinkerte Graf Veit ihr zu, und sie seufzte: »Muß ich schon. Ich kann das unbedachte Mädchen doch nicht allein in die Weltgeschichte hineingondeln lassen. Dazu ist mir das Kind viel zu sehr ans Herz gewachsen.«
»Und was sagt der Bruder der jungen Dame zu alledem?« fragte Marbod.
»Nichts, weil er weiß, daß das eigenwillige Schwesterlein sich von keinem Vorhaben abbringen läßt, nicht im Guten, auch nicht im Bösen. Daher läßt er es resigniert gewähren. Außerdem weiß er die Kleine so sicher bei mir aufgehoben, daß er sich keine Sorge um sie macht.«
»Also sind Sie sozusagen der gute Engel dieser kapriziösen jungen Dame?« fragte der Hausherr amüsiert, und sie schmunzelte: »Ein Engel bin ich nicht. Der würde bei der eigenwilligen kleinen Person mit seiner Sanftmut gewiß nichts erreichen. Ich muß im Gegenteil oftmals die Kandare recht fest anziehen, damit das übermütige Füllen nicht zu arg über die Stränge schlägt und dabei Schaden nimmt.
Übrigens kann ich meine Behauptung gleich bekräftigen, denn ich höre mein Sorgenkind nahen –«
Schon öffnete sich die Tür, und Almut betrat an Stephan vorbei das Zimmer. Die Augen blitzten in dem vom Frost geröteten Gesicht, der Mund lachte. Als sie jedoch das reservierte Verhalten der vier Menschen bemerkte, wurde sie unsicher.
»Möpschen, mach bitte ein anderes Gesicht«, bat sie verlegen. »Ich habe wirklich nicht gewußt –«
»Du sollst dich schämen, Almut«, unterbrach Adele sie unwillig. »Wenn du auch zu Hause auf keine Hausordnung Rücksicht nimmst, so hast du sie doch hier als Gast zu respektieren.«
»Sei doch nicht so ungemütlich, mein liebes Möpslein. Ich will für meine Unpünktlichkeit auch reumütig um Verzeihung bitten.
Nicht wahr, Frau Gräfin, Sie verzeihen mir?« bettelte sie mit Augen und Lippen – und da war die Dame entwaffnet. Lächelnd sah sie in das bezaubernde Mädchengesicht.
»So arg ist Ihr Vergehen nun auch wieder nicht, Fräulein Almut –«
»Siehst du, Möpschen!« triumphierte sie nun mit befreitem Lachen. »Andere sind gar nicht so streng mit mir wie du, sie erteilen viel leichter Absolution für meine Sünden. Nun mache auch nicht mehr ein so böses Gesicht, sonst fliehe ich zu unsern braven Wanderkameraden, brause ab – und du kannst dich von deinem Quälgeist erholen.«
»Täte mir wahrlich gut, du Unband. Dann hätte ich einmal die Ferien, die mir seit fünfzehn Jahren zustehen –«
»Und sorgst dich in der Zeit um mich halb zuschanden«, unterbrach das Mädchen spitzbübisch, rieb ihre Wange schmeichelnd an der ihrer Getreuen und lachte dann ihr mitreißendes Lachen.
O ja, es war schon ein betörendes Menschenkind in seiner frischfröhlichen Keckheit. Eine entzückende kleine Hexe, wie der Hausherr schmunzelnd bei sich feststellte. Vergnügt zwinkerte er ihr zu.
»Was haben wir denn so lange getrieben, meine kleine Gnädigste? Warum waren Sie nicht pünktlich zum Mittagessen hier?«
»Das hat Stephan mich auch schon gefragt«, blitzten die schönen Augen zu ihm hin. »Und zwar recht strafend. Es hätte nur noch der erhobene Zeigefinger gefehlt –.
Ah, da ist ja mein Freund«, zeigte sie auf den Diener, der auf einem Tablett eine Platte mit belegten Brotscheiben trug, die er vor Almut auf den Tisch stellte.
»Soll das etwa für mich sein –?«
»Sehr wohl. Weil das gnädige Fräulein zum Mittagessen nicht pünktlich waren. Wir lassen keinen Gast hungern.«
»Guter Stephan«, lachte sie ihn zutraulich an. »Weil Sie so nett sind, sollen Sie auch einen guten Platz in meinem Herzen haben.«
Mit unbewegtem Gesicht hörte er sich diese Schmeichelei an, stellte einen Teller auf den Tisch, legte Besteck nebst Serviette daneben und entfernte sich gemessenen Schrittes.
»So ein kleiner Racker!« schmunzelte Graf Veit. »Wie mir scheint, haben wir nicht einmal Ehrfurcht vor dem Würdigsten der Wettersburg?«
»Er ist trotz aller Würde immer nur ein Mann, Herr Graf«, lächelte sie ihn unschuldig an. Dann zur Hausherrin gewandt: »Muß ich mich umkleiden, Frau Gräfin – oder darf ich, so wie ich bin – in Stiefeln –?«
»Sie dürfen, mein Fräulein.«
»Herzlichen Dank. Ich habe auch einen Mordshunger, wie er bei meinem Möpslein chronisch ist.«
Unter der Heiterkeit der andern ließ sich Almut am Tisch nieder, schüttelte die Locken ordnend nach hinten und begann zu schmausen. Nahm dankend die gefüllte Mokkatasse entgegen, die die Hausherrin ihr reichte –.
»Wie wunderschön es hier ist –«, sah sie sich in ehrlicher Bewunderung um. »So ein trautes Gemach haben wir zu Hause nicht. Nicht wahr, Möpschen?«
»Nein, das kann sich eine Familie Niemand nicht leisten«, sagte sie so stark betont, daß das Mädchen stutzig wurde. Unsicher ging sein Blick zu Adele hin.
»Möpschen, du hast doch nicht etwa –?«
»O ja, ich habe mir erlaubt, deine unverfrorene Personenangabe richtigzustellen. Ich müßte mich ja schämen, wollte ich mich hier als Frau Niemand einnisten.«
Nun wurde Almut blutrot vor Verlegenheit. Da sie die Augen gesenkt hielt, bemerkte sie nicht die lächelnden Blicke, die sich die andern zuwarfen. Befangen zerrte sie an ihrem Pullover und sah unsicher auf, als Adele sagte: »Laß das gute Stück ganz, Almut, sonst muß ich es wieder heilmachen.«
Die unruhigen Finger ließen von ihrem Opfer ab, die Augen gingen von einem zum andern – und dann war die Keckheit des Mädchens wieder obenauf.
»Oh, Frau Gräfin, ich sehe Ihnen an, daß Sie mir nicht böse sind – wunderbar ist das! Ach, wenn ich mein Möpschen nicht hätte, das wieder einmal eine Riesendummheit von mir in Ordnung gebracht hat – Möpslein, dafür will ich auch fortan stets auf dich hören.«
»Na –«, zweifelte sie. »Auf diese Brücke wage ich mich nicht, mein Kind. Und nun erzähle, wo du dich herumgetrieben hast.«
»Werde ich, mein Möpslein. Wie bin ich doch froh, daß nun alles klar ist. Als Fräulein Niemand fühlte ich mich gar nicht wohl in meiner Haut«, bekannte sie offen. Dann stärkte sie sich erst einmal an einem guten Happen, nippte an dem Mokka, strahlte alle der Reihe nach an und erzählte: »Zuerst führte mich mein Freund Stephan in die Garage, wo ich unsern Wagen vorfand, blitzblank gescheuert. Hat der Chauffeur gemacht. Guter Kerl, der sich meinen Dank freundlich gefallen ließ. Als ich dann aus der Garage trat, erspähte ich einen Schlitten – und schon war ich Feuer und Flamme. Denn eine Schlittenfahrt ist etwas, das ich nur vom Hörensagen kenne. Es ging auch alles nach Wunsch. In dem Gefährt saß nämlich ein Herr, der mir meine Bitte, mich mitzunehmen, nicht abschlug. Fescher Junge –«
»Almut –!« rief Adele halb lachend, halb ärgerlich dazwischen, doch sie winkte beruhigend ab: »Keine Angst, Möpschen. Das ist genau so Heideldeidel, wie ich es nach deiner Aussage bin. Und gleich und gleich gesellt sich nicht immer gern. Das wird auf die Dauer langweilig. Aber nett ist Herr Hinrichs schon. Wir haben uns während der Fahrt gut angefreundet.
Denke dir nur, Möpslein, den Weg, der sich an den Dünen entlangzieht, sind wir gefahren. War das einzig schön! Ich wußte wirklich nicht, wohin ich zuerst schauen sollte, ob auf die wilde See oder auf den Wald zur andern Seite oder auf die verschneite Landschaft. Und dann das Dorf mit seiner kleinen romantischen Kirche – nein, ich bin einfach futsch –! Was haben Sie nur für eine wunderschöne Heimat, Frau Gräfin!« schloß sie begeistert – und die Dame lächelte nachsichtig: