Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur. Julius Hoxter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Hoxter
Издательство: Bookwire
Серия: Judaika
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843800242
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Die Karäer.

      Anan, der Stifter des Karäertums. (30)

      (Simcha ben Moses stammte aus Luzk in Polen, war zu Kale in der Krim ansässig und verfasste hier 1767 das Werk »Orach Zaddikim«, in dem er auch das Leben Anans ben David behandelt, der um 767–770 gegen die Rabbaniten und den Talmudismus die Sekte der Karäer, d. h. Anhänger der Schrift, mit sadduzäischen Anschauungen begründete.)

      R. Anan – er ruhe in Frieden –, der heilige und fromme Nassi, war der größte und ausgezeichnetste unter allen Weisen Israels, überaus bewandert in der Heiligen Schrift, in der mündlichen Überlieferung, nämlich in der Mischna und im Talmud und auch in aller Weisheit und Wissenschaft. Er war sehr fromm und sehr demütig, redlichen und geraden Sinnes, gottesfürchtig und das Böse vermeidend. Auch war er ein Fürst von der vornehmsten Herkunft und Abstammung, von den Nachkommen des Königs David – er ruhe in Frieden –, angesehen und groß in Israel, beliebt bei der Menge seiner Brüder; er förderte das Wohl des Gottesvolkes und redete zum Heile für alle Nachkommen Israels. Er wohnte aber in Babel, gehörte der Sekte der Gerechten (Zaddikim, gemeint Karäer) an und ward wegen seiner ausgezeichneten Weisheit, Frömmigkeit und Bescheidenheit von dem ganzen Hause Israel, nämlich von beiden Sekten, den Gerechten und den Pharisäern, zum Fürsten eingesetzt, d. h. nach ihrem damaligen Gebrauche zum Vorsitzenden des Gerichts und Exilarchen; denn wer diese beiden Ämter bekleidete, war, und zwar mit Bewilligung des mohammedanischen Herrschers, der damals über Babel regierte, gleichsam ein König über das ganze in der Verbannung lebende Israel.

      Nachdem also R. Anan, der Nassi, mit Genehmigung des mohammedanischen Herrschers und Einwilligung von ganz Israel zum Vorsitzenden des Gerichts und Exilarchen eingesetzt worden war, legte er das Gewand des Eifers an und eiferte für Gott, den Herrn Israels, für seine vollkommene, wahrhafte, von der Sekte der Pharisäer schon seit vielen Jahren und Geschlechtern gekränkte Lehre. Er wollte dem alten Diadem neuen Glanz verleihen, begann öffentlich zu predigen, gegen die überlieferte Lehre, nämlich die Mischna, anzukämpfen, ihre Autorität zu leugnen und gänzlich zu beseitigen. Als die Gemeinde der Pharisäer solches sah und hörte, versammelten sich die verwünschten Bösewichte alle, erhoben sich gegen ihn und trachteten danach, ihn umzubringen. Da sie sich aber vor dem König fürchteten, ihn zu töten, verleumdeten sie ihn und gaben bei dem König an, er habe sich gegen das königliche Gesetz aufgelehnt und sei des Todes schuldig. Aber Gott hatte sein Herz wahrhaft befunden und ließ ihn Gunst und Gnade in den Augen des Königs erlangen, so dass dieser sich seiner erbarmte, ihn aus ihren Händen rettete, und so blieb er am Leben.

      Als nun R. Anan, der Nassi, solches sah, dass die Gemeinde der Pharisäer seinen Rat nicht hören, seinen Befehl nicht annehmen und zur Wahrheit nicht zurückkehren wollte, verachtete er den Rang, verzichtete auf die Herrschaft und erbat sich vom König die Erlaubnis, nach der heiligen Stadt zu gehen, daselbst zu wohnen und ein Bethaus zu erbauen. Gott ließ ihn Gnade in den Augen des Königs finden, so dass dieser ihm seine Bitte gewährte. Alsbald machte sich R. Anan, der Nassi, auf, verließ sein Haus, gab sein Erbe und alles Gut auf, das er in Babel erworben hatte, nahm seine Kinder, Schüler und Genossen sowie alle seine Freunde und Anhänger mit sich, und sie zogen nach der heiligen Stadt Jerusalem und ließen sich dort nieder. Dort erbaute er das Bethaus, einen Tempel Gottes, ein kleines Heiligtum, das noch heutigen Tages in der Obhut unserer Brüder, der Karaiten, sich daselbst befindet, damit man darin weine und bete abends, morgens und mittags und während der drei Nachtwachen und das Bekenntnis unserer und unserer Voreltern Sünden und Vergehungen ablege. Damit erfüllt werde, was geschrieben ist: Über deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt, den ganzen Tag und die ganze Nacht schweigen sie nicht, die Gottes gedenken.

      Als nun der heilige R. Anan, der Nassi, sah, dass die Gemeinde der Pharisäer immer mehr zunahm und größer wurde, die Gemeinde der Gerechten hingegen abnahm und verfiel, da fürchtete er, es möchte in Zukunft die Lehre der Wahrheit gänzlich in Vergessenheit geraten und wohl gar nach vielen Jahren die Gemeinde der Gerechten zu der Sekte der Pharisäer übergehen. Darum ließ er an seine Schüler, Freunde und Anhänger, an die ganze Gemeinde der Gerechten den Befehl ergehen, dass sie sich gänzlich von der Gemeinde der Pharisäer fernhalten, trennen und absondern und stets gesondert, getrennt und geschieden bleiben sollten.

      Aus der Literatur der gaonäischen Zeit.

      1. R. Achai aus Schabcha. (3a. 31)

      (Lebte um 750 und wanderte von Babylonien nach Palästina aus.)

      Von der Wohltätigkeit (zu II. Mos. 25, 2).

      Ein jüdisches Haus ist verpflichtet, aus seinem Besitze Wohltätigkeit zu üben und den Bedürftigen zu spenden. Wer sich in Mitgefühl des Armen annimmt, der bietet dadurch gleichsam dem Ewigen eine Gabe, denn so heißt es II. Mos. 2 5, 2: »Mögen sie für mich eine Gabe nehmen.« Die Wohltätigkeit soll im Geheimen geschehen; wer sie im Geheimen übt, ist vor dem Himmel größer als unser Lehrer Mose; heißt es doch von diesem V. Mos. 9, 19: »Ich fürchte mich vor dem Zorn und dem Groll«, während von dem selbstlosen Wohltäter gesagt ist Spr. 21, 14: »Eine Gabe im Geheimen verdrängt den Zorn.« – Es lehrten die Rabbinen: Die Gelder der Armenkasse werden eingesammelt durch zwei, verteilt durch drei Männer. Eingesammelt durch zwei, denn es darf keine öffentliche Verwaltung durch weniger als zwei Männer versehen werden; verteilt durch drei, weil die Verteilung einem Zivilgericht gleicht. Speisen für die Armen werden eingefordert und verteilt durch drei Männer … Speisen werden täglich, Gelder einmal wöchentlich (Freitags) eingefordert; jene für die Armen aller Welt, diese nur für die städtischen …

      Wer besonders in Not- und Hungerjahren freigebig ist, dem werden die Lebensjahre verlängert. Von Benjamin dem Gerechten wurde Folgendes erzählt: Er war Verwalter einer Unterstützungskasse im Jahre einer Hungersnot. Einst kam eine Frau mit sieben Kindern zu ihm und sprach: »Rabbi, ernähre mich!« Darauf erwiderte er: »Bei Gott, in der Armenkasse ist nichts mehr vorhanden.« – »Wenn du uns nichts zum Leben gibst«, rief die Frau, »nun gut, so werde ich mit meinen sieben Kindern den Hungertod sterben.« Daraufhin übernahm es Benjamin, sie aus eigenen Mitteln zu ernähren. Nach einiger Zeit erkrankte Benjamin und war nahe daran, zu sterben; da sprachen die Engel vor Gott: »Herr der Welt! wer eine einzige Seele in Israel erhält, hat gleichsam eine ganze Welt erhalten, und dieser Gerechte, der eine Frau und sieben Kinder vom Tode gerettet, sollte in so jungen Jahren sterben?« Da wurden ihm vom Himmel einundzwanzig Jahre zum Leben hinzugefügt. – Selbst der von Almosen lebende Arme soll einen Teil von dem, was er empfängt, jährlich wieder verteilen. Dem Reichen aber steht es frei, von seinem Vermögen so viel zu spenden, als ihm beliebt …

      (Saadia ben Josef, geboren 892 zu Fajjum in Ägypten, wurde wegen seiner ausgezeichneten Gelehrsamkeit im Jahre 928 vom Exilarchen David ben Sakkai zum Schuloberhaupt (Gaon) von Sura berufen, verlieh dem Gaonat den höchsten Glanz und starb nach kurzer Lebensdauer, aber erfolgreichem Wirken 942. Seine bedeutendsten Werke sind eine arabische Bibelübersetzung und das religionsphilosophische Buch »Emunot wědeot« = Glaubenslehren und Vernunftansichten.)

      (Aus R. Natan Hakohen ben Isaak Hababli; vgl. XVIII, 1.)

      (Im Alter von sechsunddreißig Jahren kam Saadia nach Sura und entfaltete als Gaon sogleich eine ungewöhnliche geistige Tätigkeit, so dass die Hochschule an Schülerzahl zunahm und sich bald eines bedeutenden Rufs erfreute.)

      Aber nicht lange dauerte es, da brach zwischen dem Exilarchen und R. Saadia ein Streit aus, und die Bevölkerung Babyloniens teilte sich in zwei Parteien; die Reichen, die Schüler der Hochschulen, die Angesehenen Suras stellten sich auf die Seite Saadias und versprachen, ihm durch Geld und ihren Einfluss beim König, seinen