Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur. Julius Hoxter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Hoxter
Издательство: Bookwire
Серия: Judaika
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843800242
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      Wenn er am Šabbatmorgen aufstand, um zur Synagoge zu gehen, kamen viele angesehene Männer der Gemeinde, um ihn abzuholen und ihn zu begleiten. In der Synagoge war schon am vorhergehenden Tag eine hölzerne Kanzel für ihn errichtet worden, deren Länge sieben Ellen und deren Breite drei Ellen betrug. Man breitete über sie prächtige seidene blaue, purpur- und scharlachrote Decken, so dass sie ganz bedeckt war und nichts von ihr selbst gesehen werden konnte. Unter die Kanzel traten auserwählte Jünglinge mit wohlklingenden und geschulten Stimmen, welche in den Gebeten und in all ihren Formen geübt waren. Der Exilarch saß abgetrennt an einem besonderen Platz, zusammen mit den Häuptern der Hochschulen, und die Jünglinge standen unter der Kanzel. Niemand saß hier. Der Vorsänger der Synagoge begann nun das Gebet »Baruch scheamar« (Gelobt sei, auf dessen Spruch die Welt geworden), und die Jünglinge antworteten nach jedem Absatz des Gebetes: »Baruch hu« (Gelobt sei er). Wenn er den »Psalm des Šabbattages« sang, antworteten sie: »Gut ist es, dem Ewigen zu danken.« Das ganze Volk las gemeinsam »Pesuke desimra« (die ersten Lobgesänge) bis zu ihrem Ende. Dann stand der Vorsänger auf und begann das Gebet: »Die Seele alles Lebenden«, und die Jünglinge antworteten ihm: »Lobe deinen Namen«; er sang immer einen Satz, und sie antworteten darauf, bis sie zur Keduscha gelangten. Diese sprach die Gemeinde leise und die Jünglinge laut. Dann schwiegen die Jünglinge, und der Vorbeter allein vollendete das Gebet bis zu »Er erlöste Israel«. Dann erhob sich das ganze Volk, um die »Těfilla« zu sprechen. Wenn der Vorbeter bei der Wiederholung an die »Kěduscha« kam, antworteten die Jünglinge mit lauter Stimme: »Der heilige Gott«. Wenn die Těfilla beendet war, setzte sich die ganze Gemeinde nieder. Dann kam der Exilarch von seinem abgetrennten Platz hervor. Und wenn man ihn erblickte, stand alles Volk auf, bis er auf der Kanzel niedersaß, die für ihn gemacht worden war. Dann trat das Oberhaupt der Hochschule von Sura vor, verbeugte sich vor ihm und setzte sich, nachdem jener die Verbeugung erwidert hatte, gleichfalls auf die Kanzel nieder. Dann erschien das Oberhaupt der Hochschule von Pumbadita, verneigte sich gleichfalls und nahm zu seiner Linken Platz. Während all dieser Zeit stand die Gemeinde, bis diese drei gebührend Platz genommen hatten: der Exilarch saß in der Mitte, das Haupt der Hochschule von Sura zu seiner Rechten und das Haupt der Hochschule von Pumbadita zu seiner Linken; doch waren leere Plätze zwischen den Schuloberhäuptern und dem Exilarchen gelassen worden. Über seinem Platz, über der Kanzel war eine prächtige Decke ausgebreitet worden, die mit Stricken aus Byssus und Purpur befestigt war. Dann beugte der Vorbeter seinen Kopf vor die Kanzel des Exilarchen und segnete ihn mit Segenssprüchen, die an den vorhergehenden Tagen für ihn vorbereitet worden waren, mit leiser Stimme, so dass sie nur von denen gehört werden konnte, die um die Kanzel saßen, und von den Jünglingen, die unter ihr standen. Als er ihn gesegnet hatte, antworteten die Jünglinge mit lauter Stimme: »Amen!« Das ganze Volk schwieg, bis er seine Segenssprüche beendet hatte. Dann begann der Exilarch, Einzelnes aus dem Wochenabschnitt dieses Tages auszulegen, oder er erlaubte dem Oberhaupt der Hochschule von Sura, mit der Auslegung zu beginnen, und dieser gab dem Schuloberhaupt von Pumbadita Erlaubnis, es zu tun. Sie wollten so einander Ehre bezeigen; zuletzt begann das Oberhaupt der Hochschule von Sura mit der Auslegung. Der »Übersetzer« stand nahe bei ihm, und laut wiederholte er dem Volke seine Worte. Er trug mit Ehrfurcht vor; seine Augen waren geschlossen, und er stand in seinen Tallit (Gebetmantel) gehüllt, so dass seine Stirn bedeckt war. Während seines Vortrages verharrte die Gemeinde in völligem Stillschweigen. Geschah es, dass irgendjemand sprach, so brauchte er nur die Augen zu öffnen, und Furcht und Erbeben kam über die Gemeinde. Dann stand der Vorbeter auf und sagte das Kaddisch. Als er an die Worte kam »zu euren Lebzeiten und in euren Tagen«, setzte er hinzu »zu Lebzeiten unseres Fürsten, des Exilarchen, und zu euren Lebzeiten und zu Lebzeiten des ganzen Hauses Israel«. Als er das Kaddisch beendet hatte, segnete er den Exilarchen und dann die Häupter der Hochschulen. Dann stand er auf und sagte: »Die und die Summe wurde von der und der Stadt und ihren Dörfern bezahlt«, und er erwähnte alle die Städte, welche Spenden für die Hochschulen gesandt hatten, und segnete sie; dann segnete er die Männer, denen zu verdanken war, dass diese Beiträge die Hochschulen erreicht hatten. Dann nahm er die Torarolle und rief einen Priester und nach ihm einen Leviten auf.

      Während alles Volk stand, brachte der Vorbeter der Synagoge die Torarolle dem Exilarchen, welcher sie in die Hand nahm, aufstand und einen Abschnitt aus ihr vorlas. Die Häupter der Hochschulen standen bei ihm, und das Oberhaupt der Hochschule von Sura übersetzte. Dann gab er dem Vorbeter die Rolle zurück, welcher sie in die Lade zurückbrachte. Dann setzte sich der Vorbeter nieder und hierauf auch die Gemeinde. Nach dem Exilarchen lasen die Lehrer aus der Tora vor, ihnen folgten die Schüler der Hochschulen; aber die Häupter der Hochschulen selbst lasen nicht an diesem Tag, weil schon andere vor ihnen zur Vorlesung zugelassen waren … Als der Maftir (der abschließende Vorleser) das letzte Stück las, stand ein angesehener und reicher Mann bei ihm und übersetzte es. Dies war eine Ehre und Auszeichnung für jenen Mann. Als er fertig gelesen hatte, segnete der Vorbeter wiederum den Exilarchen durch die Torarolle, und alle erfahrenen und geübten Vorbeter standen um die Lade und sprachen: »Amen!« Danach segnete er die zwei Häupter der Hochschulen und brachte die Gesetzesrolle in den Schrein zurück. Dann beteten sie das Mussaf-Gebet und verließen die Synagoge.

      (Aus »Seder Hadorot« von Jechiel Heilprin, der um 1725 Rabbiner in Minsk war. Bustanai (um 660) wurde von Ali, dem Schwiegersohn des Propheten, als Exilarch oder Resch-Geluta im persisch-babylonischen Reich bestätigt.)

      … Bustanai wuchs nun heran; er war ein gelehriger Knabe, lernte Tora, Mischna, Talmud, Gesetzeskunde und sonst Weisheit und Vernunft. Als dem König von den Fortschritten des Jünglings erzählt wurde, wünschte er, ihn zu sehen und ließ ihn vor sich kommen. Der König und alle seine Weisen staunten über diesen Jüngling; liebreizende Anmut, ein ihm von Gott verliehenes Erbteil Davids, war über dem schönen Gesichte ausgebreitet. So stand er nun bewegungslos vor dem König bis zum Abend, er bewegte nicht den Kopf und rührte nicht den Fuß; da setzte sich ihm auf die Schläfe eine Wespe, die ihn stach, dass das Blut hervorquoll, er aber verscheuchte sie nicht. Da fragte der König den Jüngling, warum er die Wespe nicht verscheucht habe. Dieser antwortete: »Es ist bei uns eine ererbte Sitte von der Zeit her, da uns die Krone unseres Königtums genommen ward, dass, wenn die Gelegenheit uns in einen Königspalast ruft, wir nicht reden, nicht lachen und die Hand nicht erheben vor dem Angesicht des Königs.« Diesem gefiel diese Rede, und er erkannte in dem Jüngling einen Mann von Verstand, und es befahl der König, ihn mit reichen Geschenken auszustatten und ihn den königlichen Wagen besteigen zu lassen, und er ließ ihn zum Exilarchen Israels ausrufen. Unter den Juden herrschte über die Ehrung, die ein Nachkomme aus dem Davidischen Hause erfuhr, große Freude. Der König befahl ihm, Richter einzusetzen und sich den Regierungsgeschäften zu widmen. Die Vorsitzenden der Hochschulen, die seine engste Begleitung bildeten, rechts der Vorsitzende der Hochschule zu Sura und links die Häupter der Hochschulen zu Nehardea (?) und Pumbadita, sollten, von ihm bevollmächtigt, als Richter in ganz Israel ihres Amtes walten. So ist es nun lange Zeit in Israel geblieben bis zur Herrschaft des mohammedanischen Königs, der Richter für alle Nationen seines Reiches einsetzte, wodurch die jüdischen Richter überflüssig wurden. Nur die Exilarchenwürde besteht heute noch, und heute noch führen die Exilarchen eine Wespe in ihrem Siegel zur Erinnerung an die Begebenheit, da Bustanai bewegungslos vor dem König stehengeblieben, als eine Wespe ihn in die Schläfe gestochen. Von den andern Auszeichnungen, die Bustanai vom König erfuhr, berichtet die »Chronik des Hauses David«. Ich möchte noch eine Erzählung aus seinem Leben hinzufügen, welche auf das Ansehen, in welchem Bustanai stand, schließen lässt.

      Eines Tages kam der Kalif Ali ibn Abutalib mit großer Begleitung nach der Stadt Bustanais. Dieser ging ihm, gefolgt von vielen Mitgliedern der Gemeinde, mit einer Gesetzesrolle und den andern heiligen Büchern entgegen. Der Kalif freute sich sehr über diese Ehrung und erbat von ihm seinen Segen. Darauf beschenkte er ihn mit schönen Gewändern, die er aus seinem Kriegszuge gegen Persien mitgebracht hatte. Erstaunt war er aber, von ihm auf die Frage nach seinen Kindern zu hören, dass er, obwohl er schon fünfunddreißig Jahre alt war, noch unverheiratet sei, weil er keine rechte Gemahlin gefunden. Darauf gab Ali ihm die schöne Jungfrau Dara, eine gefangene Prinzessin (die Tochter des persischen Königs Chorus?)