Ich fügte der fertigen Ballade noch eine Strophe hinzu, die ich ihm schickte:
In der Christnacht hört er’s noch einmal ziehn
Durch die Lüfte mit brausenden Hufen:
Die Kavalkade der Cherubim,
Draus hat ihm Tecla gerufen.
Die sterbenden Frauen waren überhaupt ein Sonderfach, das dieser wunderliche Künstlergeist unter den Ärzten mit Vorliebe pflegte, denn er liebte die Frauen, nicht nur die jungen und schönen, sondern das ganze Geschlecht an sich. Irgendeiner armen glücklosen Seele die letzte Stunde zur schönsten ihres Lebens zu machen, ihr den Übergang durch die Fantasie zu verklären, dafür erfand er immer neue zärtliche Formen: die eine führte er im bewimpelten Boot hinweg, die andere ließ er in einem glückseligen Waldspaziergang zu zweien, wofür er ihr eine dichte Mooslage unter die Füße und Waldkräuter unter das Kopfkissen schob, die Seele verhauchen. Solche Kräuter, in Wald und Wiesen gepflückt, trug er immer frisch in der Tasche und erquickte damit den Schlaf seiner Fieberkranken, dass sie das Bett vergaßen und sich in das Grün der Wälder und Felder hinausträumten. – Meine Ballade »Peregrinas Schlaflied«, zuerst unter dem Titel »Euthanasia« in der »Jugend« gedruckt, geht gleichfalls auf den Einfluss der von dem ärztlichen Freunde geübten Euthanasie zurück; sie ist dichterisch vollkommener geraten als die »Kavalkade«, weil sie keine Züge der Wirklichkeit, die im anderen Falle bestimmend waren, mitzuführen brauchte.
Es versteht sich, dass ein solcher Frauenlob nicht nur mit den sterbenden Frauen sich abgab. Ihm gefielen alle. Es gab für ihn eigentlich keine hässliche Frau. An jeder Vorübergehenden entdeckte er eine Schönheit, und wenn sie gar nichts für sich hatte als einen anmutigen Gang, so entzückte ihn dieser. Und es versteht sich ebenfalls, dass ihm seine Gefühle noch feuriger zurückgegeben wurden, woraus sich die vielen kleinen Dramen entwickelten, aus denen er sich ebenso leicht wieder herauswickelte, denn in der Nähe solcher Naturen gibt es keine Tragik. Man könne die Frauen nur ein Stück weit tragen, meinte er, dann machten sie sich allemal schwer und man müsse sie wieder absetzen. Wenn die also Abgesetzten ihre Klagen erhoben, so tröstete er sein Gewissen damit, dass sich doch eine jede früher oder später wie alle ihre Vorgängerinnen, wenn sie in irgendeine ernstliche Not geriet und eines Helfers bedurfte, wieder an ihn wenden würde, und nie vergebens. Man konnte ihn dem Gösta Berling vergleichen, der an jedem Finger ein Frauenwesen hängen hat und doch immer allein bleibt. – Einmal hatte er sich auf Mütterleins Zureden zu einer reichen Witwe entschlossen. Allein er war so zerstreut, dass er die Verlobung vergaß und ohne es böse zu meinen der Braut keine Zeile mehr schrieb, bis sie die Geduld verlor und ihm seinen Ring zurückschickte, worüber er sich freute wie über ein großes Geschenk. Den von ihr empfangenen, den er nicht getragen hatte, betrachtete er bei dieser Gelegenheit zum ersten Male genau und fand, dass wer einen so protzigen Diamanten schenke, gewiss kein guter Mensch sei.
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An einem der glücklichen Sommer von Forte – oder waren es zwei? – erschien auch D’Annunzio unter den Badegästen. Er wohnte auf einer älteren landeinwärts gelegenen Villa – mit der Duse, so hieß es, die aber nie zum Vorschein kam –, und mit Pferden von edelster Zucht, sowie ebensolchen Hunden, einer ganzen Meute, die zuweilen mit ihrem Getobe den Übergang über den Fiumetto wehrten.
Vor allen andern Dichtern jener Tage war er der wahre Exponent und zugleich der großartigste Auswuchs des Zeitgeistes. Sein bacchantischer Ruf: Gioire! Gioire! (genießen!) schlug in der Jugend aller Völker ein, die Maßlosigkeit seiner Genusssucht wirkte wie eine Seuche. Ich hörte von Fällen, wo wie in Goethes »Vergöttertem Waldteufel«, hinter dem sich ja auch ein Großer aus dem Reiche des Geistes barg, junge Töchter von ihren Müttern dem neuen Naturgott vorgestellt wurden, damit sie anbeteten und seinen Segen empfingen. Ich wünschte diesem Manne niemals zu begegnen. Man brauchte mir gar nichts von seinem unritterlichen Verhalten gegen edle Frauen zu erzählen, ein einziges Wort von ihm in seinen Romanen genügte, um seine schnöde Überheblichkeit der Frau gegenüber zu kennzeichnen. In der italienischen Sprache heißt der männliche Partner in der Liebe l’amante – der Liebende – ebenso wie der weibliche. Bei D’Annunzio aber hieß der Liebhaber, unter dem er sich selber verstand, denn er konnte ja von nichts anderem reden, betonterweise nur l’amato, also derjenige, der geliebt wird, der Gegenstand der Liebe! – Einmal sah ich ihn doch vorübergaloppieren; er hatte dem edlen Tiere, das er ritt, in der glühenden Hitze den Schweif abnehmen lassen und schwang das flatternde Prachtstück wie eine Trophäe vor sich her. Die Pein des Pferdes, das sich der umschwirrenden Stechmücken und Bremsen nicht mehr erwehren konnte, klagte die Fühllosigkeit des Besitzers an. Damals kannte ich freilich seine Laudi nicht, die um jene Zeit entstanden sein mögen und die mir nachmals eine andere Meinung, nicht von dem Menschen, aber von dem Dichter D’Annunzio gaben. Ein solches Singen, Quellen, Sprudeln, Schillern, Schäumen, Sichkräuseln und Wirbeln der Sprache, in die alle Zauber des Meeres und der Wälder gebannt sind, gab es in der italienischen Dichtung nie zuvor; er hat sie aus der starren Statik erlöst, in die Carduccis Monumentalstil sie gebannt hielt, und wenn alles andere an diesem Manne kalter Glanz war, so doch eines nicht: seine tiefe Andacht zur Sprache, der er mit der Inbrunst eines Verliebten nachging, wo er sie aus dem Munde alter toskanischer Bäuerlein als an ihrem Ursprung auffangen konnte. Nach den Laudi konnte man ihm viel verzeihen, nur nicht die verratene bloßgestellte Duse.
An jenem Sommer begegnete Freund Fasola vor dem Dorf einem Bäuerlein, das mit einem verdeckten Korb aus der Berggegend herunterkam und sich bei ihm nach dem Wohnsitz der Signora Nunzia erkundigte. Fasola, der von dieser Dame nichts gehört hatte, fragte seinerseits nach dem Zweck der Frage, da deckte der Landmann eine Birne von ungeheurem Umfang auf und sagte, diese Riesenfrucht sei in seinem Baumgut gewachsen, aber da oben könne sie niemand bezahlen, deshalb habe man ihm geraten, sie der Signora Nunzia unten am Strande zu bringen, das sei eine sehr großspurige und auf alles Außerordentliche erpichte Dame, die sie ihm gewiss abnehmen werde. Nun wusste der Frager Bescheid, riet jedoch dem Bäuerlein, sich das Suchen nach besagter Dame zu sparen und lieber ihm die Birne zu verkaufen, da auch er ein Liebhaber von großen Dingen sei. So kam die Luxustafel des Dichters an jenem Tage um eine Merkwürdigkeit. Ich erzähle den Spaß nicht des Spaßes halber, sondern als Warnung für die Ruhmgierigen: unten am Strand der Dichter Italiens, der »Poeta« – d. h. der