»Aber ich hab’ ihn sehr, sehr lieb«, bekannte sie.
»Überstürz nix«, mahnte ihre Mutter. »Wer weiß, was für einer er ist…«
»Keine Angst«, schüttelte Tina den Kopf. »Ich glaub’ net, daß Andreas mir was Böses will.«
Dazu war er in der vergangenen Nacht viel zu zärtlich gewesen. Sie erinnerte sich an seine Küsse und die Worte, die er ihr ins Ohr geflüstert hatte.
Sie trocknete die Tasse ab und stellte sie zu den anderen.
»Laß nur«, winkte ihre Mutter ab, als sie das Geschirr in den Schrank räumen wollte. »Ich mach’ das schon. Laß deinen Andreas net zu lang’ warten.«
Tina lächelte und schlüpfte hinaus.
Daß ihr Vater dem Besucher den Hof zeigte, wertete sie als ein gutes Zeichen. Zwar war sie längst volljährig und konnte sich verlieben, in wen sie wollte, aber Tina war harmoniebedürftig und legte Wert darauf, daß die Eltern ihre Freunde mochten und akzeptierten.
Bei Andreas schien das jedenfalls der Fall zu sein.
Als er sie in der Nacht vor dem Haus von Angela verabschiedet hatte, da hatte die Freundin noch auf sie gewartet.
»Na, wie ist sie denn so, deine Eroberung?« hatte Angela gefragt. »Umgibt den Mann wirklich ein großes Geheimnis, wie alle Welt behauptet?«
»Quatsch«, schüttelte Tina den Kopf. »Andreas ist kein Millionär, jedenfalls glaub’ ich das net. Er hat nur ganz gut verdient und viel gespart.«
»Na, dann ist er auf jeden Fall eine gute Partie«, meinte die Freundin.
»So weit sind wir noch lang’ net«, erwiderte Tina. »Wir kennen uns ja erst ein paar Stunden.«
Sie saß im Sessel, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schloß träumerisch die Augen. Dabei sah sie sein Gesicht, das ihr entgegenlächelte.
»Komm, es wird Zeit, schlafen zu gehen«, sagte Angela. »Morgen siehst’ ihn ja wieder.«
»Ja, stell’ dir vor, Mutter hat ihn zum Kaffee eingeladen!«
»Na, das ging ja schnell. Offenbar scheint sie ihn zu mögen, deinen Andreas.«
Mit dieser Vermutung schien die Freundin recht zu haben, und auch Tinas Vater war wohl von Andreas ganz angetan. Jedenfalls standen sie immer noch am Zaun und unterhielten sich.
Zumindest sah es so aus. Doch als Tina an der Hausecke stand, hörte sie die Stimmen der beiden Männer, und deren Ton deutete keinesfalls auf eine freundliche Unterhaltung hin.
Abrupt blieb sie stehen und lauschte, von Andreas und ihrem Vater unbemerkt, dem Streit, der zwischen ihnen entbrannt war.
Zunächst verstand sie überhaupt nichts.
Wieso redete Vater Andreas mit Herrn Greininger an?
Tina stockte der Atem, als sie hörte, was Andreas ihrem Vater entgegenschleuderte, und erst zögernd begriff sie die Zusammenhänge.
Und daß der Mann, den sie liebte, nicht Andreas Winkler hieß, sondern Adrian Greininger.
In diesem Moment schien über ihr eine Zentnerlast zusammenzubrechen. Tina war unfähig, sich zu rühren. Wie gelähmt stand sie da und hörte, worüber die Männer sprachen. Von Betrug war die Rede und von Unrecht, das geschehen war.
Die junge Frau wollte schreien, doch aus ihrem Mund kam kein Laut. Alles, was sie wußte, war, daß von diesem Augenblick an nichts mehr so war wie bisher.
Endlich ging ein Ruck durch ihre Gestalt. Sie drehte sich um und ging ins Haus zurück. Ihre Mutter war immer noch in der Küche beschäftigt. Tina lief die Treppe hinauf in das Zimmer, das sie bewohnte, wenn sie zu Hause war.
War es früher vielleicht sein Zimmer gewesen? Hatte sie all die Jahre hier geschlafen, während Adrian Greininger haßerfüllt an sie und ihre Familie gedacht hatte?
Hastig raffte sie ihre Sachen zusammen und stopfte sie in die große Tasche. Als sie die Treppe herunterkam, stand plötzlich ihre Mutter in der Diele. Sie sah ihre Tochter mit großen Augen an.
»Was ist denn los?« fragte die Bäuerin überrascht. »Wo willst’ denn hin?«
Tina drängte an ihr vorbei.
»Fort«, rief sie. »Fort aus diesem Haus, das mit Lügen und Betrug erworben worden ist.«
Hedwig Reindls Hand preßte sich auf den Mund.
Woher hatte Tina erfahren, was nur sie und ihr Mann noch wissen konnten, nachdem Kurt verstorben war?
Sie wollte sie zurückhalten, doch da war Tina schon durch die Tür. Hedwig eilte ihr nach.
»Tina, bleib doch«, rief sie. »Wir erklären dir alles!«
Die junge Frau war schon bei ihrem Wagen, hatte die Tasche auf die Rückbank geworfen und sich hingesetzt. Der Motor heulte laut auf, als sie das Gaspedal durchtrat und davonfuhr.
Hedwig Reindl stand mit hängenden Armen da und schaute ihr erschüttert und ratlos hinterher.
*
Als Sebastian Trenker den Berghof erreichte, lag eine merkwürdige Stille über dem Anwesen. Mit einem Blick registrierte der Geistliche, daß Adrians Wagen neben den anderen stand. Er parkte sein eigenes Auto daneben und stieg aus.
Vor der Haustür hörte er erregte Stimmen, die nach draußen klangen. Sebastian klopfte kurz an und drückte die Klinke herunter. In der Diele standen sich der Reindlbauer, seine Frau und Adrian Greininger gegenüber.
»Ich fürcht’, ich komme zu spät«, sagte der Bergpfarrer, als er die Situation erkannte.
»Um Jahre«, stöhnte Friedrich Reindl, während Hedwig aufschluchzte und in ihr Taschentuch weinte.
Adrian stand mit regloser Miene daneben.
»Wo ist Tina?« fragte Sebastian.
»Fort«, antwortete der Bauer. »Sie hat ihre Sachen genommen und ist gefahren.«
»Nachdem sie wohl unseren Streit gehört hat«, bemerkte Adrian.
Der Geistliche streifte ihn mit einem Blick und sah dann den Bauern und dessen Frau an.
»Ich denk’, es wird höchste Zeit, daß wir uns einmal ausgiebig unterhalten«, sagte er. »Du hast eben ganz richtig bemerkt, Reindlbauer, daß ich um Jahre zu spät komm’. Aber vielleicht ist es doch noch net zu spät, und alle Beteiligten können dazu beitragen, daß aus dieser verfahrenen Situation doch noch was Rechtes wird.«
»Sollten wir net lieber Tina folgen?« fragte Adrian.
»Die läuft uns net davon«, schüttelte Sebastian den Kopf. »Sie wird in die Stadt gefahren sein, in ihre Wohnung. Du, Adrian, solltest dich ohnehin fragen, ob sie dich überhaupt jemals wiedersehen will.«
»Aber wieso…?«
»Tina wird denken, daß du dich nur an sie herangemacht hast, um so deine Rache zu erfüllen. Und ich kann’s sogar versteh’n.«
Er sah den Bauernsohn forschend an.
»War es vielleicht auch so?«
Adrian schüttelte den Kopf.
»Nein, Hochwürden, Sie müssen mir glauben«, erwiderte er. »Als ich ihr nach all den Jahren wieder gegenüberstand, da war ich selbst überrascht, daß ich keinen Haß gegen sie empfand. Immerhin ist sie die Tochter des Mannes, der meinen Vater um seinen Hof betrogen hatte. Bevor ich herkam, da hab’ ich mir oft vorgestellt, wie es sein würde, wenn ich jemandem aus dieser Familie begegne. Doch als es dann soweit war, da war es ganz anders.
Als ich Tina dann näher