Die Rote Beete hatte die Haushälterin im Pfarrgarten geerntet und süßsauer eingelegt. Sie war eine pikante Beilage zu den Klopsen. Max nahm noch eine Portion davon.
»Daß er sich beschweren will, ist mir ja völlig eins«, meinte er dabei. »Mein Chef lacht sich höchstens kringelig, wenn Pfarrer Eggensteiner ihm mit der Geschichte kommt. Was mich ärgert, ist die Zeit, die er mir damit raubt. Jetzt behauptet er auch noch, ich würd’ die Angelegenheit verschleppen. Dabei kann davon überhaupt keine Rede sein. Du weißt selbst, daß ich inzwischen mehrmals nach Engelsbach gefahren bin und versucht hab’, Licht in das Dunkel zu bringen. Aber da ist nix. Es gibt keine Zeugen, und außer der Aussage von der Frau Wollschläger hab’ ich überhaupt nix, was ich irgendwie verwerten könnt’.«
Sebastian nickte. Zweimal hatte er Max bei seinen Ermittlungen begleitet. Schließlich lag ihm selbst daran, daß die Sache aufgeklärt, und der Verdacht von Franz Mooser genommen wurde. Doch sein Bruder hatte recht: das Ergebnis seiner Untersuchungen war mehr als mager.
Indes beschäftigte den guten Hirten von St. Johann noch ein anderes Problem, das betraf seinen Vorgesetzten, Bischof Meerbauer.
Seit dem gestrigen Besuch im Bischöflichen Ordinariat ließ Sebastian der Gedanke nicht mehr los, Ottfried könne ihm etwas verheimlichen. Nur zu gut erinnerte er sich an den merkwürdigen Ausdruck in dessen Gesicht, als er sich erkundigte, ob er krank sei, weil der Bischof sich Gedanken um seinen Nachfolger machte.
Zunächst hatte der Bergpfarrer nichts darauf gegeben, doch dann beim Abschied, wie Ottfried seine Hand an den Leib preßte…, und wieder dieser Schmerz, den Sebastian zu sehen glaubte.
Natürlich – sein Vorgesetzter war nicht mehr der Jüngste, und von irgendwelchen Leiden wurde jeder mal heimgesucht. Doch hier war es etwas anders, das sagte ihm sein Gefühl.
Sebastian war beinahe sicher, daß es Ottfried Meerbauer längst nicht so gut ging, wie dieser behauptete, er wußte nur noch nicht, wie er es herausfinden konnte.
Den Sekretär zu fragen, war unmöglich. Der Mitbruder stand schon seit Jahren im bischöflichen Dienst und war verschlossen wie eine Auster, was die Interna im Ordinariat betraf. Er würde sich eher die Zunge abbeißen, als gegen einem Landpfarrer etwas über den Gesundheitszustand des Bischofs verlauten zu lassen.
»Du scheinst aber auch mit irgend etwas beschäftigt zu sein«, vermutete Max. »Dein Gesicht spricht Bände.«
»Ja, da gibt’s tatsächlich einiges, über das ich mir Gedanken mach’«, nickte der Geistliche. »Ich hab’ dir doch von meinem Besuch beim Bischof erzählt…«
»Ja, und daß er auch nix mehr von der leidigen Angelegenheit wissen will.«
»Das mein’ ich net«, meinte Sebastian. »Als ich bei ihm war, hatte ich den Eindruck, daß es ihm net besonders gut gehe. Aber Ottfried bestreitet, krank zu sein.«
»Was du ihm aber net glauben willst.«
»Richtig. Ich kenn’ ihn ja nun schon lang’ genug, um zu wissen, wie ich die Anzeichen deuten soll, die ich an ihm bemerke. Ich mach’ mir wirklich Sorgen; seine Äußerungen über einen Nachfolger waren vielleicht net ernst gemeint, vielleicht aber auch ein unbewußter Hilferuf.«
»Was willst’ denn da jetzt unternehmen?«
Sebastian schaute seinen Bruder nachdenklich an.
»Das weiß ich, ehrlich gesagt, überhaupt net.«
*
Wenn Adrian Greininger geglaubt hatte, sein Erscheinen in St. Johann würde niemandem auffallen, so irrte er sich gewaltig. Am dritten Abend war er in die Gaststube gegangen und hatte dort über eine Stunde gesessen. Er glaubte, daß ihn niemand erkennen würde, obgleich er selbst nicht wenige der Anwesenden von früher her kannte. Doch die Männer, Bauern und Knechte meist, saßen an ihren Tischen und unterhielten sich, ohne einen Blick auf den einsamen Gast zu werfen, der sich einen Platz am Fenster ausgesucht hatte.
Allerdings wurde er hin und wieder doch unauffällig gemustert, und so mancher fragte sich, wer der junge Mann wohl sein mochte, der alleine saß, sein Bier trank und dabei aus dem Fenster blickte.
Nachdem Adrian gezahlt und die Gaststube verlassen hatte, wurden Fragen laut.
»Sepp«, rief einer der Bauern den Wirt, »wer war denn das?«
»Ein Gast unseres Hauses«, erklärte Sepp.
»Und wie heißt er? Wo kommt er her?«
Der Gastwirt und Hotelier schüttelte den Kopf.
»Was ihr alles wissen wollt«, meinte er. »Sein Name ist Winkler, er kommt aus München.«
»Und was macht er so?« wollte der Fragesteller wissen.
»Woher soll ich das wissen?« gab Sepp Reisinger ungeduldig zurück. »Wahrscheinlich macht er Urlaub hier.«
Tobias Wagner, der den Wirt mit seinen Fragen genervt hatte, wandte den Kopf zu den anderen um.
»Ich weiß net, irgendwie kommt mir der Bursche merkwürdig vor«, sagte er in die Runde. »Außerdem hab’ ich das Gefühl, als würd’ ich ihn von irgendwoher kennen.«
Ein Tischnachbar zuckte die Schultern.
»Ich kenn’ ihn jedenfalls net«, sagte er.
Der Fremde blieb weiterhin Thema des Gesprächs, obwohl niemand sagen konnte, was eigentlich so interessant an ihm war. Dennoch wurden Vermutungen angestellt, Behauptungen aufgestellt, und am Ende wußte niemand etwas Genaues, weil alles nur Spekulation war.
Trotzdem blieb davon etwas hängen und machte bald die Runde durch das Dorf. Und wie immer, wenn etwas weitergetratscht wurde, war Maria Erbling mit von der Partie. Die Witwe und gefürchtete Klatschtante von St. Johann tat sich immer ganz besonders hervor, wenn es darum ging, Neuigkeiten zu verbreiten. Wobei der Wahrheitsgehalt der Neuigkeiten stets nebensächlich war.
Adrian Greininger bekam von alldem nichts mit. Nicht einmal, daß die Leute, denen er begegnete, ihn musterten und die Köpfe zusammensteckten, wenn er vorüber war.
Wie er es sich vorgenommen hatte, kaufte er jeden Tag einen Blumenstrauß und brachte ihn zum Grab seiner Eltern. Die Verkäuferin in dem Geschäft begrüßte ihn inzwischen schon wie einen alten Stammkunden und schien sichtlich erfreut, wenn er hereinkam.
Jedesmal, wenn er dann zum Friedhof ging, steckten die Blumen vom Vortag in der Vase, und gestern standen sogar zwei auf der Grabstelle. Offenbar war der gestrige Strauß noch frisch genug gewesen, so daß Sophie Tappert der Meinung gewesen war, daß es zu schade wäre, sie schon auf den Kompost zu werfen.
Daß nur die Haushälterin des Geistlichen es sein konnte, die sich darum kümmerte, stand für Adrian außer Zweifel. Allerdings ahnte er auch noch nicht, daß gerade dieser Umstand der Grund dafür war, daß seine Tarnung schon bald auffliegen sollte…
Doch noch schien niemand den Fremden zu kennen, auch wenn man sich hinter seinem Rücken viele Fragen über ihn stellte und die tollsten Gerüchte in Umlauf setzte. Adrian verbrachte die Tage zwischen Hotelsuite und Friedhof und gelegentlichen Einkäufen in dem Tabakladen, die sich allerdings auf die Zeitungen beschränkten, die nicht im Hotel auslagen. Das Rauchen hatte sich Adrian nie angewöhnt, obwohl beinahe jeder Arbeiter der Bohrinsel in der Freizeit an Land fast immer eine Zigarette im Mund hatte.
Gerne wäre er einmal zum Hof hinaufgefahren und hätte sich dort umgeschaut. Doch er hatte Angst, daß das vielleicht falsch sein könnte. Immerhin mochte es seltsam anmuten, daß ein Fremder dort auftauchte, und andererseits konnte es geschehen, daß Tina in ihm den Mann wiedererkannte, mit dem sie in der Passage zusammengeprallt war.
Adrian Greininger hatte seitdem