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Weyrich im Zoo«, antwortete Stefanie, »er ist mein Nachbar, wissen Sie? Als wir zu den Eisbären kamen, sahen wir schon, daß etwas passiert sein mußte…«

      Stockend und mit vielen Unterbrechungen erzählte sie Julia die ganze Geschichte. Sie zitterte jetzt und hatte Tränen in den Augen, aber Julia war froh, daß sie redete, das konnte ihr nur helfen.

      »Und als dann dieser Mann die Tür zuhielt und damit praktisch Herrn Weyrich und den Wärter mit den Tieren zusammen einsperrte, da bin ich fast verrückt geworden.« Stefanie schluckte. »Ich habe ihn einfach zur Seite geschickt und bin hineingegangen, die Eisbären hatten sich ja an das andere Ende des Geländes zurückgezogen. Es ging dann auch ganz schnell, zwei Männer haben mir geholfen. Aber als ich zuvor dieses riesige Tier plötzlich auf Herrn Weyrich losgehen sah…« Sie schauderte bei der Erinnerung und schloß unwillkürlich die Augen.

      »Nicht«, sagte Julia sanft. »Denken Sie jetzt nicht mehr daran – die beiden Männer sind gerettet worden, und das haben sie zum Teil Ihnen zu verdanken, Frau Wagner.«

      Stefanie machte eine abwehrende Handbewegung. »Was habe ich denn schon getan?« fragte sie leise.

      Julia entschloß sich, ihr eine Spritze zu geben, damit sie zur Ruhe kam. »Soll ich jemanden benachrichtigen, daß Sie hier sind?« fragte sie.

      Stefanie dachte verschwommen an ihren Chef Andreas Wingensiefen und murmelte: »Niemanden benachrichtigen, bitte.«

      »Gut, ganz wie Sie möchten.« Juli zog die Spritze auf, stach behutsam zu und wartete dann, bis die regelmäßigen Atemzüge der jungen Frau ihr verrieten, daß sie eingeschlafen war. Leise ging sie hinaus, um Adrian Bescheid zu sagen, daß es sich bei der Patientin mit dem Schock um eine Frau handelte, die er kannte – doch Adrian stand bereits im OP.

      *

      »Solche Wunden habe ich noch nie gesehen«, sagte der junge Arzt im Praktikum, der Adrian bei der Operation an Marc Weyrich assistierte und mit weit aufgerissenen Augen auf die zerfleischte Brust des Patienten starrte. Man sah ihm an, daß er sich an einen anderen Ort wünschte, einen Ort, wo ihm derart blutige Anblicke möglichst erspart blieben. Er war ziemlich blaß um die Nase und tat Adrian fast leid. Wenn man noch nicht oft im OP gestanden hatte, dann war diese Operation ein echter Härtetest.

      »Es war ein Eisbär«, teilte er dem jungen Kollegen mit, während er begann, die Wundränder sorgfältig abzuschneiden, um die Wunde möglichst schnell zu verschließen. Marc Weyrich hatte bereits zu viel Blut verloren.

      »Ein Eisbär?«

      In wenigen Worten erzählt Adrian ihm und allen anderen, wie es zu dem Unfall gekommen war, denn das Operationsteam war in großer Eile zusammengestellt worden, und die Vorbereitung hatte daher ausfallen müssen. Die meisten Anwesenden wußten, als sie den OP betreten hatten, nicht mehr, als daß es sich bei dem Patienten um einen schwer verletzten Mann handelte.

      »Die Infektionsgefahr ist also groß«, erklärte Adrian am Ende seiner Ausführungen, während er ruhig weiterarbeitete. »Außerdem hat der Patient eine Menge Blut verloren, sein Kreislauf ist schwach. Der Körper befindet sich in einem Schockzustand, und Eile ist geboten.«

      »Sehr richtig«, ließ sich Werner Roloff in diesem Augenblick vernehmen. Er war der Anästhesist, mit dem Adrian am liebsten zusammenarbeitete – bereits fast sechzig und so erfahren, daß es kaum eine Situation im OP gab, die ihm in seinem langen Berufsleben noch nicht begegnet war.

      »Schon gut, Werner«, sagte

      Adrian, fast entschuldigend, obwohl er sich trotz seiner Erläuterungen voll konzentriert hatte und auch nicht langsamer geworden war. So etwas lernte man im Laufe der Zeit.

      »Ich mache mir Sorgen um Herrn Weyrich, muß ich gestehen«, erklärte sein älterer Kollege, »sein Kreislauf ist schwankend, das gefällt mir nicht, Adrian. Eigentlich müßte er stabil sein, aber das ist er nicht – deshalb ändere ich die Zusammensetzung der Infusion auch ständig.«

      Adrian blickte auf, in das besorgte Gesicht des anderen. Wenn Werner Roloff so redete, dann hatte das seinen Grund – er war niemand, der ohne Not Panik verbreitete.

      »Helfen Sie mir«, wies Adrian seinen Assistenten an. »Sehen Sie, wie ich es mache und machen Sie es mir nach! Fangen Sie auf der gegenüberliegenden Seite an!«

      Zögernd und noch unsicher begann der junge Mann, aber er wurde schnell mutiger, und Werner Roloff atmete auf, als er sah, daß sie beiden Chirurgen nun bedeutend schneller vorankamen. Nach zehn Minuten sagte er: »Er stabilisiert sich. Wie lange werdet ihr noch brauchen?«

      »Eine halbe Stunde höchstens«, antwortete Adrian. »Wahrscheinlich kürzer.«

      »Gut – ich denke, das wird er schaffen.«

      Von nun an sprach niemand mehr, es wurde sehr ruhig im Operationssaal.

      *

      Es klopfte so heftig an die Tür von Alida Roths Zimmer, daß sowohl die Patientin als auch Janine, die ihr gerade den Blutdruck gemessen hatte, zusammenfuhren.

      »Ja, bitte?«

      Es war Janines Freundin Andrea Reddemann, die gleich darauf den Kopf hereinstreckte. »Guten Tag, entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte sie höflich zu Alida Roth und wandte sich dann an Janine. »Ich muß dich ganz dringend kurz sprechen.«

      »Jetzt?«

      »Ja, sofort. Kannst du herauskommen?«

      »Ist etwas passiert?« fragte Janine beunruhigt, doch Andrea antwortete nicht, sondern machte nur eine Kopfbewegung, die Freundin möge ihr möglichst schnell nach draußen folgen.

      »Gehen Sie nur«, sagte Alida.

      »Es dauert nicht lange, Frau Roth«, versprach Janine und folgte ihrer Freundin auf den Stationsflur. »Was ist denn los, daß du hier so hereinplatzt?« fragte sie, allmählich neugierig geworden.

      »Dr. Weyrich ist im Zoo von einem Eisbären angefallen worden und wird gerade von Dr. Winter operiert«, erklärte Andrea hastig. »Er ist schwer verletzt, schwebt aber angeblich nicht in Lebensgefahr. Ich wollte nur, daß du es von mir erfährst und nicht von jemand anderem.« Sie sah, daß Janine die Gesichtsfarbe gewechselt hatte und sagte besorgt: »He, ich hab’ dir doch gesagt, daß er wohl nicht in Lebensgefahr schwebt. Kipp mir bloß nicht um, Janine!«

      »Nein, mach’ ich nicht«, brachte Janine heraus. »Von einem Eisbären angefallen, sagst du? Aber dann muß er doch schreckliche Verletzungen haben, Andrea.«

      »Eine schlimme Wunde am Oberkörper – mehr weiß ich nicht«, berichtete Andrea. »Und, wie gesagt, Dr. Winter operiert selbst, weil heute ja auch noch diese Brandkatastrophe war – da sind alle Chirurgen sowieso pausenlos im Einsatz gewesen. Aber das Schlimmste war bis mittags vorüber, deshalb konnten sie sich in der Notaufnahme auch gleich um Dr. Weyrich kümmern. Ein anderer Mann soll auch verletzt sein.«

      »Ich muß wieder rein«, sagte Janine abwesend, »ich will Frau Roth nicht so lange allein lassen.«

      »Natürlich nicht«, erwiderte Andrea. »Wann hast du Schluß? Soll ich dich nachher abholen? Wir könnten zusammen nach Hause gehen, falls wir beide pünktlich aufhören.«

      Janine schüttelte den Kopf, obwohl es eigentlich keinen Grund gab, der sie an diesem Tag länger in der Klinik festgehalten hätte. Aber sie konnte nicht einfach nach Hause gehen, ohne sich zu erkundigen, wie die Operation an Dr. Weyrich verlaufen war. Abwesend sagte sie: »Nein, ich will noch ein bißchen länger bei Frau Roth bleiben heute. Sie ist in einer kritischen Phase, weißt du?«

      »Okay, dann sehen wir uns irgendwann später«, erwiderte Andrea und umarmte Janine. »Geht’s wieder?«

      »Ja, und danke, daß du es mir sofort gesagt hast, Andrea.«

      »Ehrensache«, meinte Andrea, »bis später!«

      Janine sah ihr nach, wie sie den Stationsflur entlangrannte, dann gab sie sich einen Ruck und kehrte zurück zu ihrer Patientin.

      *